Zahlungsziel: Neue EU-Richtlinie benachteiligt viele deutsche Unternehmen
Archivmeldung vom 21.10.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDeutsche Unternehmen stehen einer neuen EU-Richtlinie skeptisch gegenüber, die europaweit einheitliche Zahlungsziele von maximal 60 Tagen für gewerbliche und öffentliche Auftraggeber vorschreiben will. So lautet das Ergebnis einer Umfrage des Kreditversicherers Atradius unter fast 4.000 Unternehmen in 22 Ländern.
43 Prozent der deutschen Unternehmen halten die Rechtsänderung, die das Europäische Parlament heute beschliessen will, demnach für wirkungslos, ein Viertel erwartet sogar negative Konsequenzen. Grund: Deutsche Unternehmen setzen heute schon deutlich kürzere Zahlungsziele. Knapp ein Drittel der Deutschen erwartet denn auch, dass ihre Kunden demnächst unter Berufung auf die EU-Richtlinie versuchen werden, spätere Zahlungen durchzusetzen. "Die EU-Richtlinie, die eigentlich vor allem kleine und mittelständische Unternehmen vor säumigen Zahlern schützen soll, könnte einen gegenteiligen Effekt haben und für eine Verschlechterung der Zahlungsmoral in Deutschland sorgen", sagt Atradius Deutschland Chef Dr. Thomas Langen. Vorteile können dabei nur die Unternehmen erzielen, die ihr Forderungsmanagement im Griff haben. "Diese Unternehmen können längere Zahlungsziele dann auch als Verkaufsargument nutzen", so Langen weiter.
Um steigende Umsätze im Aufschwung finanzieren zu können, nehmen die Unternehmen gerne den Lieferantenkredit beim Geschäftspartner in Anspruch. Laut aktuellem Atradius Zahlungsmoralbarometer wollen deutsche Unternehmen nach durchschnittlich 19 Tagen bezahlt werden und erhalten nach rund 24 Tagen ihr Geld. Damit zahlen die inländischen Unternehmen im Durchschnitt zwei Tage später als noch im Frühjahr 2010. Ein Drittel der Befragten wurde um eine Ausdehnung des Zahlungsziels gebeten, jedes fünfte Unternehmen bat den Geschäftspartner um eine höhere Kreditlinie.
Deutsche im europäischen Vergleich pessimistisch
Länderübergreifend zeigten sich grössere Unternehmen (54 Prozent) und Industriebetriebe (58 Prozent) im Hinblick auf die EU-Richtlinie optimistischer als kleinere Firmen und Finanz- und Dienstleistungsunternehmen. Die Deutschen gehören im europäischen Vergleich in Bezug auf die Richtlinie zu den Pessimisten. Insgesamt erwarten 46 Prozent aller international befragten Unternehmen positive Auswirkungen der EU-Richtlinie auf ihr Geschäft. In Deutschland sind es nur 34 Prozent. Am positivsten gestimmt sind Unternehmen aus Spanien (64 Prozent), Grossbritannien (61 Prozent) und Italien (59 Prozent). "Spanien und Italien gehören traditionell zu den Ländern mit den längsten Zahlungszielen", erklärt Langen von Atradius. Ob die neue Richtlinie hier allerdings tatsächlich zu schnelleren Zahlungseingängen führen wird, bezweifelt er. "Standardisierte Zahlungsziele sind noch lange kein Garant dafür, dass Rechnungen auch wirklich bezahlt werden." Laut aktuellem Atradius Zahlungsmoralbarometer brauchen italienische Unternehmen durchschnittlich 58 Tage um ihre Forderungen zu begleichen und damit fast doppelt so lang wie bisher europaweit geregelt.
Über die EU-Richtlinie
Die neue Richtlinie soll ein EU-Regelwerk aus dem Jahr 2000 modifizieren. Sie sieht unter anderem vor, dass die bisher geregelte Zahlungsfrist von 30 Tagen vertraglich auf maximal 60 Tage erhöht werden kann. Private Unternehmen können zudem Zahlungsziele von mehr als 60 Tagen vereinbaren, wenn dabei keinem der Geschäftspartner ein ungerechtfertigter Schaden entsteht. Um speziell Handwerksbetriebe vor säumigen Zahlern zu schützen, wurde eine 30-Tage-Frist für die Abnahme von Leistungen eingeführt. Erst danach gilt das Zahlungsziel von 30 bzw. 60 Tagen.
Über den Lieferantenkredit
In Deutschland ist der Lieferantenkredit eine der wichtigsten Kreditformen überhaupt. Hierzulande leihen Lieferanten ihren Kunden durch die Einräumung von Zahlungszielen rund 300 Milliarden Euro. Das ist mehr Geld als deutsche Banken in Form von kurzfristigen Krediten zur Verfügung stellen.
Quelle: Atradius