Überraschend unpopulär - Fallstudie zur Akzeptanz einer einmaligen Besteuerung hoher Vermögen
Archivmeldung vom 30.05.2014
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtAngesichts hoher Staatsschulden in den westlichen Industrieländern mehren sich die Stimmen, die einmalige Steuern auf hohe Vermögen fordern. Dadurch könnten der Schuldenabbau beschleunigt und neue öffentliche Investitionen ermöglicht werden. Aber ist eine solche Maßnahme volkswirtschaftlich zweckmäßig? Stößt sie auf gesellschaftliche Akzeptanz? Mit diesen Fragen befassen sich die Bayreuther Ökonomen Prof. Dr. David Stadelmann und Dr. Simon Loretz in einer kürzlich veröffentlichten Fallstudie. Sie greifen darin auf ein historisch weit zurückliegendes, aber spektakuläres Beispiel zurück, das – wie sie in ihrer Untersuchung zeigen – in heutigen politischen Diskussionen Beachtung verdient.
Klare Ablehnung einer einmaligen Vermögensabgabe in der Schweiz
Am 3. Dezember 1922 fand in der Schweiz, die sich nach dem Ersten Weltkrieg in einer wirtschaftlichen Krise befand, eine Volksabstimmung über eine einmalige Besteuerung hoher Vermögen statt. Es ging um die Frage, ob Vermögen ab einer Höhe von 80.000 Franken – was einem heutigen Wert von rund 1,7 Millionen Euro entspricht – progressiv besteuert werden sollten. Vorgesehen war eine einmalige Mindestabgabe von 6 Prozent, Vermögen von über 32,7 Millionen Franken sollten einmalig mit 60 Prozent besteuert werden. Die Maßnahme sollte helfen, den Staatshaushalt zu konsolidieren, und hätte insgesamt nur etwa 0,6 Prozent der Schweizer Bevölkerung betroffen. Umso überraschender war das Ergebnis der Volksabstimmung: Der Vorschlag wurde mit 87 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt. Dabei war die Wahlbeteiligung mit 86,3 Prozent die höchste, die jemals in der Schweiz beobachtet wurde. „Uns ist historisch und aus verschiedenen Ländern kein anderer Fall bekannt, in dem eine einmalige Vermögensabgabe auf eine so klare gesellschaftliche Ablehnung stieß“, erklärt Prof. Stadelmann, Professor für Entwicklungsökonomik an der Universität Bayreuth.
Das Abstimmungsverhalten in der Schweiz war durchaus unterschiedlich: In städtischen Milieus und in Kantonen mit einer starken gewerblichen Wirtschaft gab es überdurchschnittlich viele Ja-Stimmen, was die Autoren mit dem höheren Arbeiteranteil in diesen Regionen erklären. In katholisch geprägten Kantonen mit zahlreichen landwirtschaftlichen Grundbesitzern war die Ablehnung besonders stark. In allen Kantonen aber lag die Zustimmung weit unter 50 Prozent. „Volksabstimmungen sind in einem demokratischen Rechtsstaat wie der Schweiz ein Test für gesellschaftliche Akzeptanz. Es kommt auch heute nicht selten vor, dass politische Forderungen auf diesem Weg den Anschein der Popularität verlieren“, meint Prof. Stadelmann und erinnert daran, dass erst vor kurzem ein Volksbegehren zur Einführung eines hohen Mindestlohns in der Schweiz gescheitert ist.
Ökonomische und sozialpolitische Sachargumente
Was waren 1922 die Gründe für die breite Ablehnung der Vermögensabgabe? Die Autoren der Studie verweisen zunächst einmal auf die gegnerische Plakat-Kampagne, die das Meinungsbild innerhalb der Bevölkerung vermutlich beeinflusst hat. Die Plakate ließen die Abgabe als eine drückende Last für Unternehmer und ihre Industriebetriebe erscheinen und betonten ihren Enteignungscharakter. Zudem zielten sie darauf ab, die behauptete Einmaligkeit der Abgabe als unglaubwürdig hinzustellen. Unabhängig von den Appellen, die hauptsächlich auf Ängste in der Bevölkerung zielten, gab es aber – wie die Bayreuther Ökonomen betonen – eine Reihe von Sachargumenten, die eine Ablehnung miterklären können:
- Eine hohe Steuer, die ausschließlich eine sehr kleine Minderheit trifft, verletzt den Grundsatz, dass Steuern und Abgaben möglichst alle Bürgerinnen und Bürger einbeziehen sollten.
- Die Besteuerung orientiert sich ausschließlich an der Höhe der Vermögen und lässt so die Tatsache außer acht, dass hohe Vermögenswerte nicht notwendigerweise mit überdurchschnittlich hohen Einkünften einhergehen. Von der Höhe der Einkünfte aber hängt die Leistungsfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger wesentlich ab. Insofern verstößt die Vermögensabgabe gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip.
- Eine Sonderabgabe auf Vermögen könnte dazu führen, dass der Faktor Kapital auf eine volkswirtschaftlich schädliche Weise überbelastet wird. Es wächst das Risiko, dass Vermögen ins Ausland verlagert werden und die Sparquote im Inland sinkt.
- Wie hoch die zu zahlende Abgabe ist, hängt davon ab, wie hoch das Vermögen an einem in der Vergangenheit liegenden Stichtag war. Diese Berechnungsgrundlage aber ist problematisch, weil zwischenzeitlich eingetretene Verluste und Gewinne gleichermaßen unberücksichtigt bleiben.
Plädoyer für eine ganzheitliche Steuer- und Abgabenpolitik
„Diese Gründe hat auch der Bundesrat der Schweizerischen Eidgenossenschaft in seinem Bericht zur Volksabstimmung angeführt. Sie dürften für die Schweizer Bevölkerung mit ausschlaggebend gewesen sein“, erläutert Prof. Stadelmann und fügt hinzu: „Es sind Argumente, die bis heute aktuell geblieben sind. Wichtig ist beispielsweise, dass Vermögensabgaben – selbst wenn sie als einmalige Maßnahmen konzipiert werden – nicht isoliert von der Gesamtheit aller Steuern und Abgaben betrachtet werden dürfen. Sie müssen sich auf ökonomisch verantwortungsbewusste Weise in die bereits existierende Steuer- und Abgabenlast der Bürgerinnen und Bürger einfügen lassen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass der Wohlstand zahlreicher Bevölkerungsgruppen langfristig beschädigt wird.“
Die Autoren der Fallstudie bestreiten nicht, dass es einige – wenngleich nur wenige – historische Fälle gibt, in denen sich eine einmalige Vermögensabgabe als ökonomisch sinnvoll erwiesen hat. Ob sie gesellschaftlich akzeptiert waren, kann nicht mehr direkt festgestellt werden. Der Lastenausgleichsfonds in Deutschland aus dem Jahr 1952 bezog sich hauptsächlich auf Immobilienvermögen und half, die Wohnungsnot infolge von Krieg und Vertreibung zu überwinden. „Dies war allerdings eine Ausnahmesituation, von der die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen in den westlichen Industrieländern heute sehr weit entfernt sind“, so Prof. Stadelmann.
Quelle: Universität Bayreuth (idw)