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"Die russische Wirtschaft wird vernichtet" – Eine trügerische Hoffnung aus Yale

Archivmeldung vom 27.08.2022

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 27.08.2022 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Sanjo Babić
Russische Föderation mit Integrationsbemühungen (2014): Sanktionen gegen die Förderation führen zu Schäden bei jenen, die Sanktionieren.
Russische Föderation mit Integrationsbemühungen (2014): Sanktionen gegen die Förderation führen zu Schäden bei jenen, die Sanktionieren.

Foto: Fremantleboy
Lizenz: CC BY 2.5
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Wer hat sich nur diese Sanktionen ausgedacht, dürfte sich jeder fragen, der den kommenden Winter fürchtet. Eine Studie aus Yale gibt einen tiefen Einblick in das Denken der Sanktionserfinder, und verrät sogar die Urheber dieses ganzen Schlamassels. Dies berichtet Dagmar Henn im Magazin "RT DE".

Weiter berichtet Henn auf RT DE: "Allmählich wird klar, auf welcher Grundlage westliche Staaten auf die Idee kamen, sie könnten "Russland zerstören" (Baerbock). Eine ganze Truppe Professoren der Universität Yale hat Ende Juli ein Papier veröffentlicht, das mit dem kühnen Titel versehen wurde: "Business Retreats and Sanctions are Crippling the Russian Economy", übersetzt "Firmenrückzüge und Sanktionen verkrüppeln die russische Wirtschaft".

Nun sollte man vorab sagen, dass das Papier zwar eine Menge Zahlen enthält, sich an manchen Punkten sogar auf russische Quellen beruft, aber für seine Angaben keine überprüfbaren Quellen nennt und – etwa für die Entwicklung einzelner Wirtschaftssektoren –  nicht einmal angibt, in welcher Währung die Zahlenwerte ursprünglich erhoben wurden. Es gibt sogar einen gewichtigen Grund, viele dieser Zahlen für komplett unglaubwürdig zu halten – aber den werde ich erst als krönenden Abschluss nennen.

Unverkennbar ist das ganze Papier von neoliberalen Ansichten geprägt. Das ist nicht wirklich hilfreich, wenn man reale ökonomische Verhältnisse bewerten will. Es gibt einige grundlegende volkswirtschaftliche Fakten, die Neoliberale prinzipiell übersehen. Dazu zählt unter anderem die Tatsache, dass es einen entscheidenden Unterschied ausmacht, ob ein Staat Geld in einen Konzern pumpt, eine Bank rettet oder Schuldverschreibungen aufkauft, oder ob dieses Geld in Wertschöpfung investiert wird. Investitionen in Infrastruktur beispielsweise führen zu einem positiven Rückfluss; Aufwendungen, wie sie etwa die Bundesregierung in Milliardenhöhe getätigt hat, um völlig überteuerte pharmazeutische Waren zu erwerben, sind volkswirtschaftlich ein Nettoverlust.

Das fällt in der aktuellen westlichen Zählweise nicht mehr auf, weil der Kursanstieg von Aktien so behandelt wird, als handele es sich um real geschaffene "Werte". Aktien sind aber nur in jenem kleinen Bruchteil, der sich in materiellen Ausrüstungsgegenständen verkörpert, Anteile von realen Werten; sie sind – gerade bei Unternehmen wie etwa BioNTech – nur Ansprüche auf mögliche Erlöse. Die ebenso gut erfüllt wie vielleicht auch nicht erfüllt werden können.

Aber fangen wir einmal mit der allgemeinen Beschreibung der Sanktionswirkungen an. "Wie Schlagzeilen der jüngsten Zeit belegen, hat für Europa die Notwendigkeit, den Energieverbrauch zu verringern, während die Energieversorgung diversifiziert wird, herausfordernde politische und wirtschaftliche Folgen. Aber die Belege zeigen deutlich, dass die Wirkungen asymmetrisch waren: für jedes bisschen Schmerz, den der Westen durch seine Abwendung von russischen Rohstoffen erleidet, ist der Schaden, der Russland zugefügt wird, weit größer."

Nun, die erlebbare Wirklichkeit sieht anders aus. Nicht in Russland sind die Regale der Supermärkte leer. Es gibt ein langes, halbstündiges Video mit einem Gang durch einen großen Supermarkt, in dem das anschaulich belegt wird. Ich höre jetzt von meinen Freunden aus Deutschland andererseits immer wieder, dass einfachste Dinge fehlen; Paracetamol beispielsweise, oder Speiseöle. Natives Olivenöl mag hier, beim gegenwärtigen Wechselkurs, teurer sein als in Deutschland, aber es gibt mehrere Sorten zur Auswahl; Online-Supermärkte bieten zwanzig, dreißig unterschiedliche Sorten Tomaten an, oder fünfzig Sorten Mehl ... noch so ein Gut, das phasenweise in Deutschland nicht einmal mehr zu finden ist.

Aber kommen wir zurück zum Erdgas: "Ein Kernpunkt des Plans ist die Ersetzung der verlorenen russischen Gaslieferungen durch eine Mischung aus Erdgasproduktion in der EU, Importen per Pipeline aus Norwegen und Aserbaidschan, und, wichtiger noch, LNG-Importen aus Katar, Algerien und den USA."

Soso. Das mit Katar hat sich längst als Fantasie entpuppt. Übrigens berichtete eine indische Zeitung kürzlich, dass Deutschland inzwischen Gasdiebstahl betreibt. Die deutsche Tochter von Gazprom war das Mutterunternehmen einer Gazprom-Enkelin, die Lieferverträge für LNG mit Indien hatte. Dieses LNG wird mit russischen Tankern nach Belgien transportiert und dort in indische Tanker umgeladen. Mit der Beschlagnahme der deutschen Gazprom-Tochter wurden dann auch gleich noch die für Indien vorgesehenen Lieferungen einbehalten: "Im Juli liefen vier große und drei kleine Tanker Zeebrugge an, aber nicht mehr als eine Ladung konnte von dem Terminal aufgenommen werden. Der Gasspeicher kann 112 Millionen Kubikmeter aufnehmen – ein bisschen mehr als die Kapazität eines Tankers. Im Ergebnis konnten bis zu 380 Millionen Kubikmeter nach Belgien geliefert und dann ins deutsche Gasnetz eingespeist werden." In Indien sorgte das nicht gerade für Begeisterung.

Was der Yale-Bericht völlig beiseitelässt, ist der Preisunterschied zwischen dem russischen Erdgas, das per Pipeline geliefert wird, und dem LNG-Gas – zumindest, wenn es nicht gerade geklaut wird. Für die europäische Wirtschaft ist das aber ein entscheidender Faktor; Gas, das zu teuer ist, macht die Produktion unrentabel. Die Konsequenz ist, dass Betriebe ganz schließen oder sogar abwandern werden. Selbst wenn es ein ausreichendes Angebot an LNG-Gas gäbe, würde eine Umstellung die europäische, insbesondere die deutsche Industrie immer noch ruinieren.

Die Yale-Professoren haben auch eine eigenartige Sicht auf Vertragstreue. Sie erklären, Gazprom habe, weil sich Russland weigert, Litauen und Polen für Bezahlung in einer anderen Währung als Rubeln Erdgas zu liefern, seine Glaubwürdigkeit als Handelspartner verletzt. Nun, ein Handel ist immer ein Tausch Ware gegen Geld. Wenn kein Geld fließt, weil das den Verkäufer dank gewisser Sanktionen gar nicht mehr erreichen kann, dann kommt dem Handel die Rechtsgrundlage abhanden, weil dann eben kein Tausch Ware gegen Geld mehr zustande kommt. Jede andere Bestimmung in Kaufverträgen, ganz egal für welche Ware, ist sekundär gegenüber diesem einen, simplen Punkt, der überhaupt erst einen Kaufvertrag ins Leben ruft. Vermutlich ist bei den ehrwürdigen Herren aus Yale die Einführung ins Handelsrecht schon zu lange her.

Jedenfalls kann sich diesen folgenden Satz jeder Westeuropäer im kommenden Winter eingerahmt über die kalte Heizung hängen, gewissermaßen als Trost von der westlichen Wissenschaft: "Insgesamt ist die Herausforderung an die europäische Energiesicherheit und Wirtschaft insgesamt zwar wirklich, aber beherrschbar." Ein kleiner, handlicher Spickzettel dieser "Erkenntnis" für den eigenen Geldbeutel wäre eventuell auch anzuraten, um sich vor leeren Supermarktregalen wieder daran zu erinnern, dass doch alles gut ist.

Aber schauen wir doch einmal genauer an, wie die Herren die russische Wirtschaft betrachten, Gazprom zum Beispiel: "Gazproms Rolle als Anhängsel des Kreml wird weiter durch seine bedeutsamen Inlandsverpflichtungen widergespiegelt, da es 2018 nur ein Drittel seiner Produktionskapazität von 725 Milliarden Kubikmetern exportierte – und den Rest des Gases in Russland beließ, um ihn zu vergünstigten Preisen an die eigene Bevölkerung zu verkaufen, zum Nachteil seiner Profitabilität."

Also, die russische Regierung achtet darauf, dass das überwiegend staatliche Unternehmen Gazprom der eigenen Bevölkerung einen Nutzen bringt, statt so viel Gas wie möglich zu exportieren, um maximale Gewinne zu erwirtschaften. Wie verwerflich! Wie kann man nur die staatliche Kontrolle über ein Unternehmen dazu nutzen, dem Pöbel ein komfortables Leben zu ermöglichen, statt hohe Gewinne zu machen und diese brav zur Wall Street zu tragen! Ein Blick auf die Deutsche Bahn AG könnte lehren, wie man das besser macht – global investieren und den eigentlichen Eigentümern, den deutschen Fahrgästen, mit jeder Fahrt ein neues Abenteuer bescheren.

Natürlich richtet sich die Bewertung des Unternehmens Gazprom bei den Herren aus Yale vor allem nach dem Aktienkurs, der seit Februar eingebrochen ist – für ausländische Anleger, die es zahlreich gab, ist es inzwischen fast unmöglich, Dividenden zu erhalten. Nur, die Aktienkurse werden erst dann wieder eine reale Information über den Wert eines Unternehmens liefern, wenn die gesamte gigantische Finanzblase des Westens geplatzt ist. Augenblicklich sind so gut wie alle entsprechenden Daten allein durch die seit 2008 massiven Aktienkäufe westlicher Zentralbanken und den extrem hohen Spekulationsanteil an Kursen von Firmen wie Tesla völlig verzerrt.

Die ganze Studie feiert außerdem den Mythos der überlegenen westlichen Technologie. Selbst in dem Abschnitt zu Nord Stream 2: "Der Rückzug der holländisch-schwedischen Firma Allseas [Anm.: in der Tat eine schweizerische Firma] nach der Verabschiedung des EU-Gesetzes 'Zum Schutz der europäischen Energiesicherheit' brachte das ganze Projekt zum Stehen, was Russlands technologische Inkompetenz zeigte: Russland fehlten hochkomplexe Pipeline-Verlegeschiffe, und Russland brauchte länger als ein Jahr, um seine Akademik Tscherski und Fortuna anzupassen, um Nord Stream 2 zu verlegen."

Witzigerweise gibt es weltweit sehr, sehr wenige Firmen, die Unterwasserpipelines verlegen können. Die Schiffe müssen nämlich bei der Verlegung komplex ausbalanciert werden, da die Rohrstücke einer solchen Pipeline ein enormes Gewicht haben. Um die Rohre ist ein Betonmantel; ich habe die Teilstücke in Mukran gesehen, jedes einzelne davon wird mit einem Schwerlasttransporter gefahren, der 50 Tonnen laden kann. Man könnte ja mal nachfragen, welche westliche Industrienation es innerhalb eines Jahres geschafft hätte, Schiffe entsprechend umzurüsten. Ich schätze mal, Südkorea und China hätten da vielleicht gute Karten ... die USA eher nicht.

Außerdem war die Fahrt eines der beiden Schiffe an den Einsatzort sehr langwierig, weil aus verständlichen Gründen der Vorsicht das letztendliche Ziel der Fahrt so lange wie möglich verborgen bleiben sollte. Alles miteinander eigentlich mitnichten ein Beleg für "Russlands technische Inkompetenz".

Es mag ja sein, dass ein großer Teil der ingenieurtechnischen Kompetenzen Russlands in den letzten Jahren in die Entwicklung neuer Waffen floss, notgedrungenermaßen. Aber wenn man sich dann die Ergebnisse namens Kinschal oder Zirkon betrachtet, nur als Beispiele, dann wäre es äußerst vermessen zu behaupten, dass die westliche Technologie immer und überall überlegen sei. Bemerkungen wie "Russland produziert nur 3 Prozent des weltweiten GDP" gehen am Ziel vorbei, weil sie nicht berücksichtigen, wie aberwitzig die Zählweise des GDP inzwischen ist.

Ein besonders hübsches Beispiel für diese etwas bizarre Sicht auf die technologischen Fähigkeiten in Russland ist folgender Satz: "Die Sanktionen erstreckten sich auch auf einzelne Teile von Bohrtürmen, Teile für horizontale Bohrungen und arktisgängige Schiffsausrüstung." Arktisgängige Schiffsausrüstung ... welches Land war es noch einmal, das die größte Flotte an Eisbrechern unterhält? Die USA? Nein, die waren es nicht. Kanada? Grönland? Es will mir doch partout nicht einfallen. Aber es muss irgendwo im Westen liegen, das Land mit den meisten arktisgängigen Schiffen, denn schließlich haben Yale-Professoren das geschrieben.

An manchen Stellen schimmert dann doch, verborgen und eher versehentlich, etwas von der veränderten globalen Wirklichkeit durch. Nachdem erst ausgeführt wird, dass Russland seinen Einfluss in der OPEC+ verlieren würde und so viele OPEC-Länder doch ihre Produktion erhöhen könnten, was Russlands Öl vom Markt verdrängen könnte (nein, die Autoren dieser Studie müssen nicht wissen, dass Öl nicht gleich Öl ist und Raffinerien nicht einfach mal anderes Öl verwenden können, sie sind doch nur aus Yale), kommt ein etwas enttäuschter Kommentar: "Saudi-Arabien hat in der Vergangenheit öfter einmal Produktionserhöhungen von bis zu 3 Millionen Barrel pro Tag praktisch über Nacht verkündet, aber behauptet jetzt, ernsthafte Probleme zu haben, die Produktion auch nur um ein paar Hunderttausend Barrel über das bereits geplante hinaus zu erhöhen."

Nun, die Saudis sind da nicht die Einzigen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck konnte sich gar nicht tief genug bücken, um in Katar erhört zu werden. Nigeria dürfte Ursula von der Leyen ebenfalls die kalte Schulter zeigen. Aber um das zu wissen, müsste man politische Nachrichten mitlesen, und das könnte die Bemühungen zunichte machen, das in der Überschrift gewünschte Ergebnis halbwegs glaubwürdig zu erreichen.

"Das alles bedeutet kurzfristig, dass Russland bedeutende Steuereinnahmen verliert und seine globale Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit als Mitglied der OPEC+-Allianz – und darauf reduziert wird, zu weit vergünstigten Preisen um chinesische und indische Käufe zu betteln."

Es ist faszinierend. Besonders hübsch ist dabei der subtile rassistische Unterton, der suggeriert, dass allein die Tatsache, an Inder und Chinesen zu verkaufen statt an die edlen, weißen Europäer, schon einen Abstieg darstellt. Weil Inder und Chinesen natürlich keinen wirklichen Bedarf an Öl haben, und Russland bei ihnen darum betteln muss, es verkaufen zu dürfen. Kein Wort vom stetig wachsenden Energiehunger Chinas.

2021, so diese Studie, seien 75 Prozent der Konsumgüter außerhalb des Nahrungsbereichs Importwaren gewesen. Wenn dem tatsächlich so wäre, und, wie die Studie behauptet, nicht nur westliche, sondern auch z.B. chinesische Importe deutlich zurückgegangen wären, müssten sich tatsächlich irgendwo leere Regale finden. Drei Viertel der Konsumgüter? Das hieße mehr leere als volle Regale. Das reale Angebot kann jeder selbst überprüfen, z.B. auf Yandex oder in Onlineshops wie Ozon.ru. In einzelnen Bereichen, wie Duschgel oder Shampoo, ist die Breite des Angebots zurückgegangen (zum Vergleich empfehle ich mal Besuche der Supermärkte etwa in Griechenland; dort gibt es kein einziges im Inland hergestelltes Kosmetikprodukt mehr), aber Mangel? Und, ehrlich gesagt, zwanzig Sorten Tomaten finde ich interessanter als zwanzig Sorten Shampoo.

Wieder ein besonders hübsches Zitat: "Wie Wirtschaftsministerin Gina Raimondo in einer Senatsanhörung kürzlich bezeugte, 'haben wir Berichte von Ukrainern, dass russisches Militärgerät, wenn sie es am Boden finden, mit Halbleitern gefüllt ist, die aus Geschirrspülern und Kühlschränken stammen', was das Ausmaß wiederspiegelt, wie sehr russische Hersteller Teile kannibalisieren und recyceln müssen, weil ausländische Lieferungen fehlen."

In der wirklichen Welt gibt es weder einen Mangel an Kühlschränken und Geschirrspülern, noch an Raketen. Die es schon längst nicht mehr geben dürfte, wenn der Bericht so solide wäre, wie er behauptet, schon gar nicht in den Mengen, die den Ukrainern täglich um die Ohren fliegen.

Scott Ritter hat kürzlich einen interessanten Vergleich gebracht. Im gesamten zweiten Irakkrieg (bei dem er dabei war) hat die US-Armee 60.000 Granaten verschossen. Das ist weniger, als die russische Armee gerade pro Tag durch die Rohre jagt, um die ukrainischen Befestigungen im Donbass zu zertrümmern. Wenn jedes dieser Geschosse Teile aus Kühlschränken oder Geschirrspülern bräuchte ...

Allerdings bin ich auf die gleiche Geschichte schon in einem ganz anderen Zusammenhang gestoßen, und zwar als Antwort auf die Frage, warum im Frühjahr dieses Jahres so viele türkische Lkw in Bayern unterwegs waren. Da lautete die Lösung des Rätsels, BMW würde sich inzwischen Chips aus Waschmaschinen holen, um die Produktion nicht anhalten zu müssen. Lassen wir einmal offen, welche Variante glaubwürdiger ist.

Sehr hübsch ist auch die Feststellung, die über 1.000 westlichen Firmen, die sich inzwischen aus Russland zurückgezogen hätten, wären für 40 Prozent des russischen GDP verantwortlich gewesen. Das erzeugt die Illusion, diese Produkte gäbe es nun schlicht nicht mehr. Und irgendwie denkt man dann an ganze Fabriken, die fortgekarrt werden. Das aber ist nicht passiert. Die Fabriken stehen noch, viele davon können auch produzieren. Welcher Name oben am Fabriktor steht, ist nämlich nicht das Entscheidende.

Und Lieferketten? Das interessante Nebenergebnis der westlichen Sanktionen ist, dass die westliche Industrie mindestens ebenso sehr unter einer Unterbrechung von Lieferketten leidet wie die russische. Die Aussage, dass die Automobilproduktion in Russland massiv zurückgegangen ist, wird wahrscheinlich stimmen. Das ist sie in Deutschland aber auch. In diesem Jahr liegt die Produktion nur noch bei weniger als der Hälfte des Standes von 2019. Und Deutschland ist das Land, in dem weltweit am stärksten die Entwicklung von Automobilen konzentriert ist. Wenn globale Lieferketten unterbrochen werden, trifft das alle gleichermaßen, und die USA nur deshalb etwas weniger, weil dort im eigenen Lande nicht mehr so viel produziert wird wie früher.

Es wird natürlich etwas dauern, bis Russland in der eigenen Entwicklung nachgezogen hat. Aber auch wenn es auf den ersten Blick so scheint, als hätte der Erwerb fertiger Technologien im Ausland große Vorteile, volkswirtschaftlich trifft das nicht zu. Und wenn die Herren aus Yale daran zweifeln, dass Russland die Importsubstitution gelingen kann – dann ist das historisch kein neues Problem, denn kein Land hat mehr Erfahrung als Russland darin, eine eigene Industrie schnellstmöglich aufzubauen. Im Verlauf der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts vollzog es dieses Kunststück gezwungenermaßen sogar zweimal.

Werfen wir noch einen Blick auf die Maßnahmen, mit denen die russische Regierung einen sofortigen ökonomischen Zusammenbruch abgewendet hat, zumindest nach Ansicht der Herren aus Yale: "Diese Maßnahmen beinhalteten subventionierte Kredite und Tilgungsunterstützung für Firmen; Transferzahlungen an betroffene Industrien; subventionierte Hypotheken und Unterstützung bei der Tilgung derselben [dazu muss man wissen, dass die meisten Russen keine Mieter sind]; Erhöhungen direkter Zahlungen an Individuen, einschließlich Familien, schwangere Frauen, Regierungsangestellte, Rentner, Militär, Personen mit niedrigen Einkommen; Erhöhung des Kapitals des Nationalen Vermögensfonds; Nationalisierung und Rekapitalisierung bestimmter Firmen und Anlagegüter (…); subventionierte Infrastrukturentwicklung."

Die Rezepte zur Krisenbekämpfung unterscheiden sich von jenen, die im Westen ebenfalls praktiziert werden, nur in zwei Punkten – in den sozialen Maßnahmen sowie in realen Investitionen in reale Infrastruktur. Ich sage nur Deutsche Bahn AG. Der Anteil, der in Investitionen oder direkt an die Bevölkerung ging, dürfte wesentlich höher sein als im Westen. Die Bundesrepublik bringt es ja sogar noch fertig, eine Sondersteuer auf zu hohe Gaspreise zu erheben, die Habeck-Umlage.

"Und obwohl das Infrastrukturprogramm gerade angefangen hat, hat die russische Regierung bereits ihr Investitionsbudget dafür allein im ersten Quartal um 35 Prozent erhöht, und um 34 Prozent auf der Ebene der Regionen."

Ach ja, Infrastruktur. Das ist das, was in Deutschland missachtet vor sich hin bröselt, weil man die Milliarden für BioNTech brauchte, und neuerdings für Erdgas und Geschenke an die Ukraine braucht. Nebenbei, reale Investitionen in Infrastruktur erzielen einen volkswirtschaftlichen Effekt, der etwa beim Anderthalbfachen der eingesetzten Mittel liegt.

Aber es sind eben Neoliberale, für die alles, was nicht in die Unternehmergewinne fließt, von Übel ist, wie oben an den Klagen über das nicht ordentlich gewinnorientierte Unternehmen Gazprom zu erkennen war.

Werfen wir noch einen Blick auf die Verlautbarungen über den russischen Haushalt. Und bitte erst hinsetzen vor dem Lesen und insbesondere, wenn man an die USA oder Deutschland denkt, alle Zahlen bezüglich dieser beiden Länder aus dem Gedächtnis löschen: "Ein Zeichen, wie hoch die Ausgaben gestiegen sind – und die Herausforderung, vor der der Nationale Vermögensfonds steht – ist die Tatsache, dass Finanzminister Anton Siluanow bereitwillig eingestanden hat, dass das russische Staatsbudget dieses Jahr vermutlich ein Defizit einfahren wird, ungefähr in der Höhe von 2 Prozent des russischen GDP – verglichen mit den vorhergehenden rosigen Erwartungen eines Überschusses, wie es die letzten Jahre üblich war."

Nochmal: ein Defizit von zwei Prozent. Und jetzt bitte den Kopf wenden und die entsprechenden Zahlen aus den USA und aus Deutschland betrachten. Und dann an die mehr als 60.000 Granaten täglich denken, die damit auch noch abgedeckt sind.

Im Englischen gibt es das hübsche Spottwort "Hopium", eine Zusammenziehung aus hope wie Hoffnung und Opium, um etwas zu bezeichnen, das mit falscher Zuversicht den Verstand zudröhnen soll. Dieser Satz ist Hopium allererster Güte: "Ob die Öl- und Gaserlöse weiter steigen, liegt natürlich vor allem in den Händen der verbündeten Länder der Welt." Gemeint sind damit selbstverständlich jene 15 Prozent der globalen Bevölkerung, die den kollektiven Westen bevölkern, der sich nach wie vor mit Händen und Füßen weigert, eine Niederlage einzugestehen. Schließlich werden "für die durchschnittlichen russischen Bürger in den nächsten Jahren diese massiven Störungen der russischen Wirtschaft ihre direkteste und sichtbarste tägliche Erinnerung an die Konsequenzen von Putins Invasion sein". Leider waren die Herren Professoren nicht so nett, die Moskauer Adresse mitzuteilen, unter der man diese ihre Erscheinungen betrachten kann. Ich wäre gern zur Besichtigung vorbeigefahren.

Aber lassen wir es jetzt mit dem Unfug, und kommen wir zur Ursache dieses eigenartigen Ergebnisses. Und ich fürchte fast, wir kommen damit auch zur Ursache, warum diese Sanktionen so ungeheuer selbstzerstörerisch wirken: "Die Ergebnisse unseres Forschungsteams, die die zerstörerischen Folgen der Firmenrückzüge und der Selbstsanktionierung (sic!) auf die russische Wirtschaft beweisen, stimmen sehr mit den Erkenntnissen vertrauenswürdiger, glaubhafter Partner wie jener der Kiewer Schule für Wirtschaft überein, deren Wirtschaftsexperten die Folgen der Firmenrückzüge aus Russland in einem parallelen Projekt untersucht haben." Und es kommt noch besser: "Die Kiewer Schule für Wirtschaft und die McFaul-Yermak-Arbeitsgruppe unter dem ehemaligen US-Botschafter in Russland, Mike McFaul, waren führend beim Vorschlag zusätzlicher Sanktionen, von individuellen Sanktionen, Energiesanktionen bis zu Finanzsanktionen. Im Vorausblick gibt es keinen Weg aus der wirtschaftlichen Vernichtung für Russland, solange die Verbündeten darin einig bleiben, den Sanktionsdruck gegen Russland zu erhalten und zu steigern."

Die Kiewer Schule für Wirtschaft – aus jenem Land, dessen Einwohner das Schwarze Meer gegraben haben. Der Heimat des Geistes von Kiew, der Sieger von der Schlangeninsel. Das erklärt nicht nur die abgrundtiefe Bösartigkeit, die dieses Sanktionsregime antreibt. "Vernichtung" ist eine Vokabel, die im Zusammenhang mit Russland in eine ziemlich eindeutige Richtung weist. Es erklärt auch die grenzenlose Dummheit dieser Sanktionen. Wenn diese Aussage der Herren aus Yale auch nur halbwegs der Wahrheit entspricht, hieße das, dass nicht nur der überaus vermeidbare Tod von womöglich bereits 200.000 ukrainischen Soldaten (nach neuesten kursierenden Angaben) auf das Konto dieser bizarren Allianz USA – Kiew geht, sondern die Sanktionen auch noch unter Beteiligung der brillanten Hirne der Bandera-Anhänger ausgekocht wurden. Mal abgesehen von dem Abstieg der USA – wenn das Rezept für den deutschen Untergang aus Kiew stammt, sollten auch verantwortliche deutsche Politiker langsam ernsthaft darüber nachdenken, ob sie nicht die falsche Seite unterstützen. "

Quelle: RT DE

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