DIW-Chef kritisiert Politik der Notenbanken
Archivmeldung vom 10.06.2013
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtDer Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hat die Bundesbank und die Europäische Zentralbank (EZB) im Vorfeld der Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht hart kritisiert: "Durch diesen schwelenden Konflikt riskieren die Notenbanken ihre Glaubwürdigkeit", sagte Fratzscher dem "Handelsblatt" (Dienstagausgabe).
Glaubwürdigkeit sei "das höchste Gut einer Zentralbank". Der Ökonom war bis Ende Januar in leitender Position bei der EZB in Frankfurt tätig und leitet seit Februar das DIW in Berlin. Er ist einer der Sachverständigen, die am Dienstag und Mittwoch beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sprechen werden. In der Anhörung wird es um die Frage gehen, ob die EZB in der Euro-Krisenpolitik ihr Mandat überschritten hat. Insbesondere das Staatsanleihekaufprogramm OMT wird im Fokus stehen.
Fratzscher kritisiert vor allem die Kommunikation der Notenbanken: "So fundamentale Fragen wie das Staatsanleihekaufprogramm OMT müssen sachlich diskutiert werden - nicht emotional, nicht über die Medien", sagte er. "Der große Schwachpunkt ist die Kommunikation mit den Medien", meint der Ökonom. Nach eigener Aussage teilt Fratzscher die Sorge, "dass das OMT-Programm Risiken und unerwünschte Effekte auf das Verhalten von Regierungen und auf Banken verursacht".
Fakt sei aber auch, dass Europa bisher sehr knapp einer tiefen Depression entgehen konnte; und zwar nicht wegen einer gut durchdachten und koordinierten Krisenpolitik der Regierungen, sondern vor allem durch das entschiedene Handeln der EZB, meint er. Fratzscher: "Die Ankündigung des OMT-Programms im Sommer 2012 hat vor allem Vertrauen der Märkte in den Euro zurückgebracht."
SPD-Haushälter: Pro-EZB-Kurs der Bundesregierung verstößt gegen Bundestagsbeschluss
Der Chefhaushälter der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, hat der Bundesregierung vorgeworfen, mit ihrer offenen Unterstützung der umstrittenen Krisenpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) gegen einen Bundestagsbeschluss verstoßen zu haben. Schneider verwies dabei auf eine Entscheidung des Bundestages vom 26. Oktober 2011.
In einem Entschließungsantrag einer breiten Koalition aus Union, SPD, FDP und Grünen sei damals einem Einsatz der Mittel des Euro-Krisenfonds EFSF auch für Anleihekäufe nur unter der Bedingung zugestimmt worden, dass die EZB ihr Staatsanleihenankaufprogramm (SMP) einstelle. "Inzwischen wurde sogar eine Ausweitung der Staatsanleihenkäufe beschlossen", sagte Schneider "Handelsblatt-Online". "Die Bundesregierung hat dabei das neue Programm (OMT) sogar noch ausdrücklich begrüßt und damit gegen die Vorgaben des Parlaments verstoßen."
Schneider ist überzeugt, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wegen ihres unzureichenden Euro-Krisenmanagements die umstrittene Krisenpolitik der Zentralbank mit befördert habe. "Weil die Bundeskanzlerin nicht über eine belastbare eigene Mehrheit im Bundestag verfügt, wurde die EZB zum Rettungsakteur der letzten Instanz umgebaut", sagte er.
Durch die Aktivitäten der EZB würden aber Risiken zwischen den Steuerzahlern in Europa umverteilt. "Dies geschieht ohne notwendige Kontrolle und Legitimation, obwohl gleichzeitig beim OMT auch in die Fiskalpolitik der Mitgliedsstaaten eingegriffen werden soll", sagte Schneider und fügte hinzu: "Bei der mündlichen Verhandlung steht deshalb auch das Krisenmanagement der Bundeskanzlerin vor Gericht."
Grüne sehen Kontrolle der EZB-Krisenpolitik durch Bundestag gewährleistet
Die Ankündigung der Europäischen Zentralbank (EZB), für die Beruhigung der Finanzmärkte Anleihen klammer Euro-Staaten in unbegrenzter Höhe anzukaufen, entzieht sich aus Sicht der Grünen nicht der Kontrolle durch den Bundestag. Zwar sei die EZB auf dem Höhepunkt der Krise durch die Untätigkeit der Bundesregierung in der Euro-Krise zum Handeln gezwungen worden.
"Da die Notenbank das Anleiheprogramm OMT allerdings an ein laufendes Programm des Rettungsschirms bindet, halte ich die demokratische Kontrolle für gegeben", sagte die Chefhaushälterin der Grünen-Bundestagsfraktion, Priska Hinz, "Handelsblatt-Online". Denn jedes Programm von ESM oder EFSF müsse im Bundestag beschlossen werden. Zudem habe die EZB kürzlich weitere Grenzen und Bedingungen des Programms definiert, gab Hinzu zu bedenken.
"Wünschenswert wäre allerdings eine größtmögliche Transparenz der EZB-Aufkäufe, sodass die Öffentlichkeit über Umfang und Risiken informiert ist", fügte die Grünen-Politikerin hinzu. Zugleich warnte Hinz vor den Folgen eines Urteils gegen die EZB. "Eine grundsätzliche Entscheidung gegen die Anleiheankäufe birgt die Gefahr, neue Turbulenzen auszulösen."
Umfrage: Verfassungsrichter sollen EZB in die Schranken weisen
Das Programm der Europäischen Zentralbank (EZB) zur Rettung des Euros durch den Ankauf von Staatsanleihen aus Krisenländern sollte nach Meinung von fast der Hälfte der Bundesbürger durch das Bundesverfassungsgericht gestoppt werden, nur ein Drittel ist anderer Meinung. Das ergab eine repräsentative Forsa-Umfrage für "Handelsblatt-Online".
48 Prozent der Befragten plädierten dafür, dass das Bundesverfassungsgericht bei der Beratung der Klagen gegen das EZB-Programm an diesem Dienstag und Mittwoch den Euro-Rettern in der Notenbank in den Arm fällt. 31 Prozent halten die Klagen der Euro-Kritiker für nicht gerechtfertigt. Ein relativ großer Anteil der Deutschen (21 Prozent) hat in dieser für das Überleben der Euro-Zone entscheidenden Frage keine Meinung.
Vor allem Anhänger der Liberalen und der Linken plädieren für ein Ende der Rettungsmaßnahmen durch das Bundesverfassungsgericht: Bei den FDP-Anhängern sind es 62 Prozent, bei der Linkspartei 53 Prozent. Weniger Probleme mit dem Anleihenprogramm haben die Wähler der SPD (48 Prozent), CDU (47) und Grünen (39).
Die Skepsis gegenüber den Euro-Rettungsprogrammen ist in Ostdeutschland überproportional hoch und steigt mit zunehmendem Alter. Das Bundesverfassungsgericht verhandelt am Dienstag und Mittwoch über Klagen gegen den Europäischen Rettungsschirm (ESM) und das EZB-Anleihenaufkaufprogramm OMT.
Im Eilverfahren im vergangenen September hatte das höchste deutsche Gericht den ESM prinzipiell gebilligt. Daher geht es jetzt vor allem um die Anleihenkäufe. Ein Richterspruch gegen die EZB gilt als unwahrscheinlich. Sollte sich das Bundesverfassungsgericht dennoch dazu durchringen, würde das dazu führen, dass sich die Bundesbank nicht mehr an den für verfassungswidrig befundenen Aktionen beteiligen dürfte. In letzter Konsequenz müsste Deutschland aus dem Euro-System aussteigen.
EZB-Direktor verteidigt Niedrigzins-Politik
EZB-Direktor Jörg Asmussen hat die Niedrig-Zins-Politik der Europäischen Zentralbank verteidigt. In einem Interview mit der "Bild-Zeitung" (Montagausgabe) sagte er: " Die EZB muss bei ihren Zinsentscheidungen die Gegebenheiten in der gesamten Euro-Zone in Betracht ziehen. Und wenn die Lage in den Problemländern sich bessert, wird das Zins-Niveau sich in Deutschland wieder normalisieren." In Deutschland seien die Zinsen aber auch deshalb niedrig, " weil derzeit sehr viel Kapital in den sicheren Hafen Deutschland fließt", so Asmussen. Sparen lohne sich aber noch immer.
Zugleich zeigte Asmussen Verständnis für die Inflationsängste vieler Deutschen. Asmussen: " Die Angst vor Inflation ist Teil unserer kollektiven Erinnerung. Aber die Bundesbürger können sicher sein: Die EZB wird alles tun, um stabile Preise in allen Eurostaaten zu sichern. Für 2013 erwarten wir gerade mal 1,4 Prozent Inflation."
Quelle: dts Nachrichtenagentur