Erschreckend: deutsche Wirtschaft im freien Fall
Archivmeldung vom 14.02.2009
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 14.02.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie deutsche Industrieproduktion befand sich im Dezember 2008 im freien Fall und eine Besserung ist für 2009 nicht in Sicht. Zu diesem erschreckenden Ergebnis kommt eine neue Finanzmarktstudie des Bundesverbandes Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB) aus Berlin.
Der Finanznachrichtendienst www.gomopa.net fragte VÖB-Abteilungsdirektor Dr. Tilo Wendler nach den Einzelheiten.
GoMoPa: Wie sieht denn der freie Fall der deutschen Wirtschaft aus?
Dr. Wendler: Die deutsche Industrieproduktion brach im Dezember um 4,6 Prozent ein. Einen ähnlich markanten Rückgang hatte es zuletzt Anfang 2005 gegeben, noch stärkere in den Jahren 1984 und 1989.
GoMoPa: Ist dieser freie Fall schlimmer als die vorigen?
Dr. Wendler: In allen diesen früheren Phasen stellten die miserablen Ergebnisse jedoch Ausreißer dar. Derzeit ist dies aber nicht der Fall. Der Absturz der Produktion im Dezember bildet lediglich den vorläufigen Höhepunkt einer Serie von vier aufeinander folgenden starken Rückgängen. Kumuliert ist die Industrieproduktion seit August 2008 um 12,8 Prozent eingebrochen. Das Vorjahresniveau wird jetzt um 12,0 Prozent unterschritten. Zum Vergleich: Der Tiefpunkt in der Rezession 1992/93 lag bei minus 10,8 Prozent.
GoMoPa: Was bedeutet das für den Arbeitsmarkt?
Dr. Wendler: Die Rezession zeigt deutliche Spuren am Arbeitsmarkt. Die Zahl der Arbeitslosen ist im Januar saisonbereinigt um 56.000 gegenüber Dezember gestiegen. Die Arbeitslosenquote hat sich damit von 7,7 Prozent auf 7,8 Prozent erhöht. Neben dem konjunkturbedingten Rückgang wirkt sich auch die kalte Witterung negativ auf die Beschäftigungsentwicklung gerade in der Baubranche aus. Zugenommen haben die Anzeigen für Kurzarbeit. Seitens der Unternehmen wurden insgesamt 404.000 Anträge auf Kurzarbeit gestellt, was gegenüber dem Vormonat einem Anstieg um 240.000 entspricht.
GoMoPa: Wie ist die Lage an der Börse?
Dr. Wendler: Der Dax konnte sich seit Mitte Januar deutlich von der Marke 4.200 Zähler nach oben absetzen. Derzeit notiert er bei 4.500 Punkten. Die im Januar begonnene Berichtssaison könnte nach ihrem Höhepunkt Anfang Februar den Marktteilnehmern erneut dunkle Wolken bescheren. Rezessionsbedingt stehen unserer Meinung nach weitere Revisionen bei den Analystenschätzungen nach unten an. Diese werden zu einem weiteren Belastungstest für die Märkte führen.
GoMoPa: Aber können nicht wenigstens die deutschen Autobauer feiern?
Dr. Wendler: Noch im Januar meldeten die deutschen Autobauer herbe Absatzeinbußen. Jetzt scheint es zumindest im Inland wieder bergauf zu gehen, der Abwrackprämie sei Dank. 17.500 Anträge auf den staatlichen Zuschuss von 2.500 Euro beim Kauf eines Neuwagens sind bislang beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) eingegangen. Der Antrag selbst wurde bereits 458.000 Mal von der Homepage heruntergeladen. Diese positiven Nachrichten in der für die deutsche Konjunktur so wichtigen Branche täuschen allerdings über die problematische Absatzentwicklung im Ausland hinweg.
GoMoPa: Wie sieht denn der Auslandsabsatz aus?
Dr. Wendler: Audi beispielsweise ist mit einem Absatzminus von 28,6 Prozent in das neue Geschäftsjahr gestartet. Ähnlich dramatische Zahlen meldeten auch der Audi-Mutterkonzern Volkswagen und BMW. Die Zahl der im vergangenen Monat weltweit ausgelieferten Wagen der Marken BMW, Mini und Rolls-Royce ging um 24,2 Prozent auf 70.400 Einheiten zurück. Allein dieses Beispiel zeigt die Größenordnung der Belastungen. Es ist illusorisch anzunehmen, dass derartige Einbussen durch die Kaufanreize einer staatlichen Prämie kompensiert werden können.
GoMoPa: Welchen Ausblick können Sie für die Wirtschaft geben?
Dr. Wendler: Da aufgrund der zuletzt wieder deutlich schlechteren Konjunkturindikatoren eine generelle Entwarnung für die Wirtschaft noch nicht in Sicht ist, wird unserer Meinung nach eine deutliche und nachhaltige Aufwärtsbewegung am Aktienmarkt noch auf sich warten lassen. Die Stimmung erweckt derzeit den Eindruck, dass nach so vielen düsteren Nachrichten und Szenarien nun doch endlich der Boden erreicht sein müsste. Allein die harten Fakten nähren diesen Umstand leider nicht. Der Aktienmarkt besitzt erfahrungsgemäß einen Vorlauf von sechs Monaten und mehr vor einer konjunkturellen Aufwärtsbewegung oder zumindest Entspannung. Die Datenlage lässt dies aktuell noch nicht vermuten. Dazu ist insbesondere der Einbruch auf Seiten der deutschen Industrie zu groß. Auch in den Unternehmensbilanzen selbst dürfte es noch einige negative Überraschungen geben. Einerseits führen die Zukäufe der letzten Jahre zu weiteren Abschreibungen. Anderseits ist es den Unternehmen nicht möglich, die Kosten derart schnell zu drücken, wie es der Rückgang der Nachfrage erfordert.
GoMoPa: Wie sieht es mit der Inflationsrate aus?
Dr. Wendler: Die Europäische-Wirtschaftsunions-Inflationsrate ist mit 1,1 Prozent von zuvor 1,6 Prozent zuletzt überraschend niedrig ausgefallen. Niedriger war sie lediglich in der ersten Jahreshälfte 1999 gewesen, also zum Start der Währungsunion. Vor allem aber liegt die Inflationsrate im Januar weit unter den Erwartungen.
GoMoPa: Wie reagiert die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main auf diese gute Nachricht?
Dr. Wendler: Dies gibt der Europäischen Zentralbank (EZB) die Möglichkeit, die Leitzinsen weiter zu senken. Die Notenbank kam mit ihrem Zinsschritt vom 15. Januar 2009 den Erwartungen des Marktes nach. Seither steht sie allerdings deutlich unter Druck. Die bisherigen Maßnahmen waren wirksam, werden aber von vielen Marktteilnehmern als zu spät und zu zaghaft angeprangert. Vorbild ist hier insbesondere die Fed (Federal Reserve System der USA), die mit ihren großen Leitzinssenkungen Ende des Jahres wesentlich beherzter reagiert hat. Wir erwarten eine deutliche Zinssenkung auf 1,5 Prozent im März. Damit würde die EZB auf die immensen wirtschaftlichen Probleme der Eurozone reagieren und anschließend die Leitzinsen konstant halten.
GoMoPa: Wer sind die Gewinner der Krise?
Dr. Wendler: Die deutschen Bundesanleihen sowie die amerikanischen Treasuries sind deutliche Gewinner der Krise. Seit dem Ausbruch der Krise haben diese Papiere gezeigt, dass sie als sicherer Hafen von den Investoren akzeptiert werden. Trotz des sich ausweitenden Angebots, aufgrund der erhöhten Geldaufnahme der Staaten, rechnen wir kurz- und mittelfristig mit leicht steigenden Renditen.
GoMoPa: Herr Dr. Wendler, vielen Dank für diese Analyse.
Quelle: GoMoPa