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Prof. Claudia Kemfert zur E.on-Wende : "Auf die Panik folgte Weisheit"

Archivmeldung vom 05.12.2014

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 05.12.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Irsching 5
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Lizenz: Public domain
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Atom, Gas, Kohle sollen weg: Der Energiekonzern E.on zerschlägt sich selbst. Der angekündigte Radikalumbau des Marktführers in Deutschland sorgte für große Aufregung. DIW-Expertin Prof. Dr. Claudia Kemfert hofft auf positive Effekte für die Energiewende. Sie sieht in der Ausgliederung der konventionellen Energieerzeugung nicht die Gründung einer "Bad Bank". "Eine wirkliche Flucht vor den Altlasten der Atomenergie wäre es, wenn man die vereinbarten Rückstellungen von den Konzernen in einen Fonds einzahlen lässt." Aus der Verantwortung sollten die vier Energieriesen nicht entlassen werden.

Zeugt die E.on-Radikalneuorientierung davon, dass die Energiewende nun auch von den großen Vier als Fakt anerkannt wird? Prof. Dr. Claudia Kemfert: Zumindest werden die wirtschaftlichen Chancen erkannt. Die großen Energiekonzerne tun sich wie E.on grundsätzlich noch immer schwer, sich in dem neuen Energiemarkt effektiv zu positionieren, man hat wichtige Entwicklungen schlicht verschlafen. E.on versucht nun mit dem Befreiungsschlag vor allem von dem enormen Wachstumsmarkt der erneuerbaren Energien, der in Deutschland aber auch global stattfindet, zu profitieren. Das kann auch der Energiewende in Deutschland gut tun, der Wettbewerb wird belebt.

Ist die E.on-Strategie Ausweis von Panik oder von Weisheit? Prof. Dr. Kemfert: Ein bisschen von beidem. Einerseits hat E.on viel zu lange ausschließlich am konventionellen Energiegeschäft festgehalten, und die Energiewende eher torpediert als unterstützt. Die Energiewende erfordert völlig neue Systemlösungen, die man mit alten Geschäftsmodellen nicht abdecken kann. Andererseits hat man nun nach langem Zaudern und Lamentieren erkannt, dass die neue Energiewelt durchaus wirtschaftliche Potenziale hat, die man nun nutzen will. Das ist ökonomisch gesehen vernünftig. Man will somit verhindern, dass sich alte und neue Geschäftswelt gegenseitig kannibalisieren. Nach der Panik folgt die Weisheit.

Hilft die E.on-Abwendung von den konventionellen Energieträgern beim Erreichen der Klimaziele? Prof. Dr. Kemfert: Es kann zur Erreichung der Klimaziele beitragen, wenn der konsequente Umbau weg von Kohle und Atom hin zu erneuerbare Energien und verbesserter Energieeffizienz vorangebracht wird. Dies ist ein langer Weg, den E.on nun offensichtlich ernsthaft unterstützen will.

Steigt der Profit der Energieriesen, wenn der Markt bereinigt wird und weniger Strom produziert wird? Prof. Dr. Kemfert: Derzeit gibt es große Mengen von Strom-Angebots-Überschüssen, da noch immer viele alte, ineffiziente Kohlekraftwerke am Netz sind. Dies führt zu sinkenden Strompreisen an der Börse und mindert die Wirtschaftlichkeit der Kraftwerke. Durch eine Marktbereinigung kann der Börsenstrompreis steigen und damit auch die Profitabilität der Kraftwerke. Es gäbe sogar die Möglichkeit, eine doppelte Dividende zu erzielen, wenn alte ineffiziente Kohlekraftwerke aus dem Markt gehen und so die Emissionen sinken können.

Sind Kapazitätsprämien für konventionelle Meiler richtig, weil sie Versorgungssicherheit garantieren oder falsch, weil Hartz IV für Kraftwerke den Strompreis treibt? Prof. Dr. Kemfert: Derzeit sind umfassende Kapazitätszahlungen problematisch, da sie zu ineffizient und teuer sein und zudem Fehlanreize geben können. Es ist zu befürchten, dass gerade die alten ineffizienten und klimaschädlichen Kraftwerke eine Laufzeitverlängerung bekommen, die klimaschädlich ist und teuer für den Stromkunden. Solange wir noch sehr große Überkapazitäten haben, macht es wenig Sinn, diese noch mit umfassenden Kapazitätszahlungen zu belohnen. Es existiert zudem ja eine strategische Reserve, welche die Stromversorgung zu allen Zeiten sicherstellt. Diese wird auch in den kommenden Jahren ausreichend sein. Ohne Überkapazitäten können im Übrigen Preissignale am Markt entstehen, die durchaus ausreichend finanzielle Anreize für das Vorhalten von Strommengen geben können.

Wie groß ist die Gefahr, dass E.ons Flucht in die Erneuerbaren auch als Flucht vor den Kosten der atomaren Altlasten konzipiert ist? Prof. Dr. Kemfert: Die Gefahr der Flucht aus den Kosten war vor dem Schuldenschnitt und Radikalkur nicht gerade geringer. Wenn sich immer mehr Schulden anhäufen, und der Konzern planlos von einer Problemlage in die nächste schlittert, ist die Gefahr einer Insolvenz ungleich höher. Die jetzige Strategie birgt zumindest die Chance, dass der Konzern sich selbst hilft und nicht auf den Staat zurückgreifen muss. Denn das ausgelagerte Öl-, Kohle- und Gasgeschäft kann durchaus auch in der kommenden Zeit lukrativ betrieben werden. Eine wirkliche Flucht vor den Altlasten wäre es, wenn man die vereinbarten Rückstellungen von den Konzernen in einen Fonds einzahlen lässt. Damit entlässt man sie aus der Verantwortung, für weitere Folgekosten nicht mehr aufkommen zu müssen. Das wäre eine wirkliche "Bad Bank" und damit ein "Bad Deal".

Verabschiedet sich der Konzern aus der Haftung, wenn die neue Gesellschaft nicht profitabel arbeitet? Prof. Dr. Kemfert: Dazu müsste die neue Gesellschaft pleite gehen. Da man diesen Bereich an die Börse bringen will, muss man jedoch eine kluge Geschäftsstrategie erarbeiten. Wenn man nun eine Pleite anstrebt, hätte man sich diese Radikalkur ja sparen können. Die Konzerne dürfen allesamt nicht aus der Verantwortung entlassen werden, für jegliche Atomkosten aufzukommen. Die Großkonzerne stehen ja derzeit allesamt nicht rosig da. Da ist mir ein Konzern doch lieber, der Radikalkuren macht als sehenden Auges weiter Geld zu vernichten.

Sollte der Staat in die Energieerzeugung einsteigen, etwa um Versorgungssicherheit garantieren zu können? Prof. Dr. Kemfert: Es gibt ja derzeit zahlreiche kommunale Energieerzeuger, die oftmals auch in der neuen Energiewelt mit viel erneuerbaren Energien zu finden sind. Dass der Staat aber nun die komplette Stromerzeugung und -versorgung übernehmen soll, ist volkswirtschaftlich weder effizient noch geboten. Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, muss es stabile und verlässliche Rahmenbedingungen geben.

Sollten Kraftwerke nicht nur für erzeugten Strom Geld erhalten, sondern auch für die Bereitstellung von Leistung, damit die Konzerne das Geld für den Rückbau erwirtschaften können? Prof. Dr. Kemfert: Nein, Kapazitätsmechanismen sollten auf keinen Fall als Quersubventionierung von Atomkosten missbraucht werden. Die Konzerne sind seit jeher gesetzlich verpflichtet, Rückstellungen für den Rückbau zu bilden. Die Konzerne haben lange Jahre große Gewinne erwirtschaftet, sie sollten somit in der Lage gewesen sein, diese Rückstellungen ausreichend gebildet zu haben. Kluge Unternehmen stellen sich auf neue Geschäftsbedingungen so ein, dass sie in der Lage sein sollten, jegliche Kosten auch zukünftig zu decken, und zwar ohne Dauersubventionierung.

Folgen die anderen Versorger E.on nach oder verhindert die auch kommunale Aktionärsstruktur bei RWE und EnBW einen derart radikalen Umbau? Prof. Dr. Kemfert: EnBw hat sich ja schon vor einiger Zeit auf den Weg in Richtung nachhaltiger Energiewende gemacht, der Weg ist lang und steinig, da auch dieser Konzern sich zu lange auf das herkömmliche Geschäftsmodell konzentriert hat. In diesem Fall hilft die kommunale Aktionärsstruktur sogar etwas beim Umbau. RWE hat einen hohen Anteil von Kohlestrom im Portfolio, der Umbau ist somit von allen am schwierigsten. Und er wird auch nicht gerade leichter, je länger man wartet. Der Konzern tut sich noch immer sehr schwer mit den neuen Anforderungen an das Energiesystem und müsste im Grunde einen ähnlich radikalen Schnitt wie E.on machen. Es bleibt spannend, wie dieser Konzern auf die neuen Anforderungen reagieren wird.

Das Interview führte Joachim Zießler

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots)

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