Absage an den Kirchturm Wolfsburg - Interview mit dem Autoexperten Prof. Dr. Dudenhöffer zum VW-Skandal
Archivmeldung vom 02.10.2015
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer VW-Konzern ist in die schwerste Krise seit Jahrzehnten gerutscht - selbstverschuldet. Der Abgas-Skandal hat Vertrauen zerstört und wird tiefe Spuren in der Bilanz hinterlassen. Nicht nur in den USA drohen Klagen. Auch in Frankreich, Spanien, Italien und selbst in Australien werden Forderungen nach Schadenersatz und Entschädigungen laut. "VW kann die jahrelang angestrebte Weltmarktführerschaft auf lange Sicht abhaken", betont der Autoexperte Prof. Dr. Ferdinand Dudenhöffer im Gespräch mit unserer Zeitung. Er übt zudem scharfe Kritik an der Konzernstruktur und fordert schnelles Handeln der Wolfsburger, um verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.
Der neue VW-Chef Matthias Müller hat den rund 600 000 Beschäftigten des Konzerns eine umfassende Aufklärung des Abgas-Skandals zugesichert und betont, dass das Unternehmen vor einer nie dagewesenen Herausforderung stehe. Wie kann der Konzern das verloren gegangene Vertrauen zurückgewinnen?
Prof. Dr. Ferdinand Dudenhöffer: VW muss den Kunden schnell saubere Lösungen anbieten. Meiner Einschätzung nach wäre die sauberste Lösung, wenn die betroffenen Fahrzeuge mit SCR-Katalysatoren nachgerüstet werden, die hinsichtlich der Schadstoffemissionen über jeden Zweifel erhaben sind und auch die Euro-6-Norm erfüllen können. Diese Lösung ist angesichts der bis zu elf Millionen betroffenen Fahrzeuge zwar teuer, aber ich glaube, es wird sich weltweit auszahlen. In einem zweiten Schritt muss überlegt werden, wie man den Konzern vom Kopf auf die Füße stellt. VW hat in den vergangenen 20 Jahren immer wieder für Skandale gesorgt - vom Fall Hartz bis zum Übernahmekampf mit Porsche. Der neue Konzernchef Matthias Müller hat zwar gesagt, er benötigt ein stringentes Compliance-System. Gleichzeitig sagte der derzeitige Aufsichtsratschef Berthold Huber, dass der nächste Schritt am 9. November auf einer außerordentlichen Hauptversammlung die Wahl von Hans Dieter Pötsch zum neuen Aufsichtsratschef sei. Wie das zusammenpasst, verstehe ich überhaupt nicht mehr. Pötsch steht als Finanzvorstand für das alte System. Und Pötsch kann große Probleme bekommen. Denn VW hat keine Ad-hoc-Meldungen herausgegeben, obwohl die Vorwürfe und sogar das Original-Schreiben der US-Behörden schon längst im Internet aufgetaucht waren. Das könnte Schäden geben, die in Richtung 30 Milliarden Euro gehen, wenn Schadenersatzansprüche von Aktionärsschützern geltend gemacht werden. Warum man in so einer Situation Pötsch zum neuen Aufsichtsratschef küren will, verstehe ich nicht. Meiner Ansicht nach braucht VW eine andere Gesellschaftsform.
Verantwortliche bei VW hatten laut eines ersten Prüfberichts schon mehrere Jahre Kenntnis vom Einsatz der Software in Dieselautos. Haben bei VW alle Schutzmechanismen versagt?
Dudenhöffer: Die Schutzmechanismen hatten auch schon beim Hartz-Skandal versagt. Damals hat man gesagt, man wolle alles ändern, so etwas werde sich nie wiederholen. Nun gibt es den riesigen Abgas-Skandal. Der Hauptgrund für diese Vorfälle liegt in der Struktur des Konzerns begründet. VW ist ein Konzern, der um den Kirchturm Wolfsburg kreist, aber weltweit als globaler Autobauer in den Märkten agieren soll. Dieser Kirchturm Wolfsburg hat viele Merkmale, die weltweit einmalig sind. Dazu gehören das VW-Gesetz ebenso wie die Unternehmensstruktur. Das Land Niedersachen hat einen 20-Prozent-Anteil und damit über das VW-Gesetz enormen Einfluss. Zweitens gibt es eine besondere Form der Mitbestimmung. Da gibt es einen Herrn Osterloh, der der eigentliche heimliche Chef bei VW ist. Der Betriebsratschef dominiert den Aufsichtsrat, weil die Arbeitnehmerseite 50 Prozent der Sitze im Aufsichtsrat hat, hinzu kommen die beiden Sitze des Landes. Diese Koalition richtet das Unternehmen rund um den Kirchturm Wolfsburg aus. Ich mache mal einen Vergleich: Können Sie sich vorstellen, dass die Deutsche Bank ein Unternehmen ist, bei dem die Stadt Frankfurt 20 Prozent der Aktien besitzt und es ein Deutsche-Bank-Gesetz gibt, das so gestaltet ist, dass Frankfurt jede größere Konzernstrategie m Aufsichtsrat mit einem Veto-Recht blockieren kann? Das VW-Gesetz ist sicherlich gut gemeint, aber ich glaube, es hemmt das Unternehmen, sich so auszurichten, dass es Strukturen bildet, die wettbewerbsfähig sind. Die Kernmarke VW hat schon immer ein Problem mit seiner Rentabilität gehabt. Das liegt daran, dass der Konzern rund um VW und um Wolfsburg zugeschnitten ist - und daran nicht gerüttelt werden darf. VW ist am Boden gefesselt wie Gulliver.
Auf VW kommen enorme Kosten durch Strafen, Rückrufaktionen, Entschädigungen und Schadenersatz in zweistelliger Milliardenhöhe zu. Das wird den Konzern jahrelang extrem belasten. Und Investitionen verhindern, die angesichts der wachsenden Konkurrenz notwendig wären. Wird der Skandal VW langfristig abhängen oder ist er der Todesstoß für das Wolfsburger Imperium in seiner heutigen Form?
Dudenhöffer: Die Situation für VW ist sehr gefährlich. Aber wir wissen heute nicht, wie hoch die Belastungen tatsächlich sind. Wir wissen nicht, was die Amerikaner als Strafe aussprechen. Wir wissen nicht, wie VW mit den Rückrufen umgeht. Wir wissen nicht genau, wie die Aktionärsschützer mit ihren Klagen durchkommen. Im schlimmsten Fall kann der VW-Konzern ganz gewaltig wackeln. Deshalb ist es jetzt notwendig, dass man die finanziellen Folgen möglichst begrenzen kann und gleichzeitig neue Strukturen dafür sorgen, dass derartige Skandale in der Zukunft ausgeschlossen sind. Zudem sollte der Konzern neu ausgerichtet werden. Weniger Kirchturm Wolfsburg wäre mehr. Dann hätte VW Chancen, bald wieder gut dazustehen. Zwar kann VW die jahrelang angestrebte Weltmarktführerschaft auf lange Sicht abhaken, doch man sollte diese Marktführerschaft nicht so hoch hängen.
Rechnen Sie damit, dass noch mehr Abgas-Betrügereien der Branche als Licht kommen?
Dudenhöffer: Nach meiner Einschätzung müsste das Risiko gering sein. Das Problem ging von den USA aus. Dort gibt es schon lange strengere Grenzwerte für Dieselfahrzeuge als in Europa. VW hat im Gegensatz zur Konkurrenz auf den Einbau von SCR-Katalysatoren verzichtet. Deshalb glaube ich nicht, dass noch andere Hersteller die betrügerische Software eingebaut haben.
Nicht nur im Konzern, sondern auch in der Politik hat es Warnungen und Hinweise gegeben. So hat die EU-Kommission schon 2007 eine Verordnung erlassen, die Betrugssoftware wie jene, die VW nun nutzte, ausdrücklich verbietet. Doch die Verordnung wurde in Deutschland nicht umgesetzt. Könnte das auch für die verantwortlichen Politiker unangenehm werden?
Dudenhöffer: Die Politiker und Behörden sollten daraus lernen, anders agieren und nicht die Bundeskanzlerin nach Brüssel schicken, wo viele Kompromisse gemacht wurden, die letztlich der Autoindustrie schaden. Die Lobby der Autoindustrie um Matthias Wissmann agiert alles andere als optimal. Man versucht das maximal Mögliche etwa gegen den Umweltschutz durchzudrücken. Doch wenn es einen Skandal gibt, taucht diese Lobby ab, Wissmann versteckt sich, statt in die Offensive zu gehen. Aber auch die Politiker müssen eigenständiger, selbstständiger werden und nicht mehr die Handlanger der Industrie.
Das heißt also, die enge Verflechtung von Autoindustrie und Politik sollte endlich entflochten werden?
Dudenhöffer: Eigentlich gibt es keine Verflechtung, sondern nur Politiker, die schwach sind. Die meinen, wenn sie nett zur Industrie sind, dann helfen sie ihren Wählern.
Deutschland galt bisher als Klimaschutz-Vorreiter, als Energiewendeland. Nun stehen die US-Behörden als Saubermänner da. Hat VW also dem ganzen Standort Deutschland geschadet?
Dudenhöffer: Deutschland behauptet immer gern, ein Vorreiter oder gar ein Weltmeister des Umweltschutzes zu sein. Das stimmt aber in vielen Fällen nicht. In Deutschland hat man immer geduldet, dass der Diesel die Umwelt stärker belastet als der Benzinmotor und subventioniert aus unerfindlichen Gründen bis heute den Diesel. In den USA gab es von Anfang an die gleichen Emissions-Anforderungen an Benzin- und Dieselmotoren. 2010 gab es eine Beschwerde der EU-Kommission, weil in vielen deutschen Städten die Stickoxid-Belastungen immer wieder überschritten werden. Doch die Politik hat nicht reagiert. Die Politiker erzählen zwar gerne, man sei führend beim Umweltschutz. Aber wenn man genauer hinschaut, wird klar, dass Deutschland nicht das umweltfreundlichste Land ist.
Wie sieht es bei der E-Mobilität aus?
Dudenhöffer: Auch dieses Thema wird oft links liegen gelassen von der Politik. Die Kanzlerin hat 2008 gesagt, sie wolle dafür kämpfen, dass 2020 eine Million E-Autos in Deutschland auf den Straßen fahren. Vom Kampf habe ich bisher nicht viel gesehen. Stattdessen hat die Kanzlerin 2013 dafür gekämpft, dass die strengeren Kohlendioxid-Standards in der EU von 2020 auf 2023 verschoben wurden. Anders ausgedrückt: Es gibt keinen Umweltschutzweltmeister. Die Deutschen bilden sich aber oft genug ein, diesen Titel zu tragen.
Das Interview führte Werner Kolbe
Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots)