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Marktforschung und das Gefängnis des Unternehmergeistes

Archivmeldung vom 01.03.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 01.03.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Sicherheit ist kuschelig und im Marketing meist ein Kissen mit daunenweicher Füllung aus Zahlen, vorzugsweise gewonnen von Marktforschern. In der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „absatzwirtschaft“ werden die Grenzen dieser Erbsenzähler aufgezeigt.

„Die Geschichte ist voll von Beispielen, in denen die ‚Mafo’ keinen Millimeter weiterhalf, wo Überzeugung, Mut und Willenskraft gefragt waren. Als Beleg für diese These muss man nicht ständig den Walkman von Sony bemühen, den sich kein Mensch in einer Befragung wirklich gewünscht hätte, oder Henry Fords visionäre Demokratisierung des Automobils, die, hätte er dem Volk aufs Maul geschaut, wohl über die Züchtung schnellerer Pferde nicht hinausgekommen wäre“, so absatzwirtschaft-Chefredakteur Christoph Berdi. Der Oscar-prämierte Regisseur Florian Henckel von Donnersmark fasst es im Titel-Interview der Märzausgabe in Worte: „Je konkreter man sich die Dinge vorstellt, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie eintreffen“.

Der Macher von „Das Leben der anderen“, mit einem Einspielergebnis von über 70 Millionen Dollar, glaubt fest daran, dass kreative Produkte nicht vorher im Markt empirisch ermittelt werden können. Das Problem ist einfach: Dem Publikum fehlt für wirklich Neues einfach die Vorstellungskraft. Marktforschung, so das Plädoyer von Berdi, dürfe deshalb nicht das Gefängnis des Unternehmergeistes sein. Bestätigt wird diese provokative These auch durch psychologische Studien: „Gute Intuition ignoriert Informationen", erklärt Gerd Gigerenzer, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Wer intuitiv sein wolle, dürfe sich keine Gelegenheit geben, über sein Handeln nachzudenken. Auf diesen Trick griff beispielsweise der kanadische Starpianist Glenn Gould zurück, über den Gigerenzer in seinem Buch "Bauchgefühle" berichtet: Als Gould kurz vor einem Konzert einmal nichts zustande brachte, weil er nervös versuchte, sich auf die Musikstücke zu konzentrieren, schaltete er kurzerhand Staubsauger, Fernseher und Radio in seiner Wohnung ein. Er nahm sich selbst die Möglichkeit, auf seine Spielweise zu achten, und plötzlich gingen ihm die Stücke wie traumwandlerisch von der Hand.

„Rasches Handeln und spontane Entscheidungen sind vor allen Dingen in turbulenten und unübersichtlichen Zeiten für Unternehmen wichtig. Da helfen die Rationalitätsmythen von Controlling-Freaks und Statistikbesessenen nicht weiter. Die können eigentlich nur im nachhinein Dinge erklären. Ihre Prognosekraft hat den Wert von Tageshoroskopen“, kritisiert Udo Nadolski, Geschäftsführer des Düsseldorfer Beratungshauses Harvey Nash. Neue Produkte, Märkte oder Trends könne man nicht am Reißbrett entwerfen. „Die Bedürfnisse der Verbraucher von heute sind kein aussagekräftiger Indikator für die Produkte von morgen. Deshalb brauchen Unternehmen mutige Mitarbeiter, die Erwartungen durchbrechen und etwas tun, womit zuvor niemand gerechnet hat“, erläutert Nadolski. Bei Kinofilmen sei es nach Erfahrungen von Donnersmarck nahezu unmöglich, im Vorhinein zu wissen, was Zuschauer sehen wollen: „Wusste ich, bevor er gemacht wurde, dass ich einen Film über einen Wetterreporter in einer Kleinstadt sehen wollte, die von einem Murmeltier besessen ist? Natürlich nicht. Das Interessante ist doch gerade, überrascht zu werden“.

Deshalb seien die Untersuchungen, die versuchen herauszufinden, was die Leute wollen, sinnlos oder sogar kontraproduktiv, weil die Menschen nur das beschreiben, was sie sowieso schon kennen. „Damit gerät man in eine Unoriginalitätsspirale“, betont Donnersmarck im Gespräch mit „absatzwirtschaft“. In der Werbewirkungsforschung würden die Probanden häufig für das Langweilige und Einfallslose votieren, weil es einen nicht herausfordert oder beunruhigt. Die TV-Werbung für Zahnpasta oder Kaffee sei dafür ein Beleg. „In jeder Forschungs-, Entwicklungs- und Kreativabteilung müssen deshalb Spinner, Quertreiber und intellektuelle Narren sitzen, die sich nicht von den verknöcherten und stumpfsinnigen Hierarchien abschrecken lassen“, fordert Personalexperte Nadolski. Innovationen konnten sich in der Wissenschaftsgeschichte und auf Märkten häufig nur durch Außenseiter durchsetzen. Die Kreativität und das Spielerische der Ideenfindung stehe im Widerspruch mit den Beharrungskräften des etablierten Managements, das mit den Erfolgen von gestern groß geworden sei.

Quelle: medienbüro.sohn

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