Luxusgut Stromversorgung oder Tanz auf dem Vulkan
Archivmeldung vom 01.02.2021
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Freigeschaltet durch Anja SchmittDeutsche Energiewende, fragiles europäisches Netz und Belastungen im Namen der E-Mobilität: eine brisante Mischung für das Risiko „Blackout“. Ein Gastkommentar von Dr. Karin Kneissl, ehemalige Außenministerin von Österreich. In ihrem Buch „Die Mobilitätswende: und ihre Brisanz für Gesellschaft und Weltwirtschaft“ erörtert sie auch einen Blackout, wie das russische online Magazin „SNA News“ berichtet.
Weiter ist auf deren deutschen Webseite dazu folgendes zu lesen: "Es gibt Gesellschaften, die können mit Stromausfall umgehen.
Die Menschen im Libanon wie in anderen nahöstlichen Krisengebieten vermissen schon lange eine staatlich organisierte, zuverlässige Elektrizität. Sie müssen jonglieren und sich organisieren. Mangels staatlicher Infrastruktur unterhält die Familie, die Hausgemeinschaft oder eben die Terrormiliz, die gerade ein Viertel kontrolliert, Dieselgeneratoren und sichert den Treibstoff. So werden die täglichen Stromausfälle abgefedert. Der erste Satz, den ich in Beirut 1989 während des Krieges ständig hörte, war: „Fi kahraba?“ (Gibt es Strom?) Je nachdem fiel dann der Entschluss aus, die Fahrt mit dem Lift zu riskieren oder bei 35 Grad doch acht Stockwerke in einem Beiruter Hochhaus hinaufzugehen.
Und es gibt Gesellschaften, die würden unter solchen Umständen kollabieren.
Der Schriftsteller Marc Elsberg beschreibt in seinem exzellent recherchierten Thriller „Blackout: morgen ist es zu spät“ 13 Tage Stromausfall in Europa, indem er Schauplätze von Flusskraftwerken an der Donau bis zu Atommeilern in Frankreich und überforderten deutschen Krisenstäben packend und realitätstreu beschreibt. Am ersten Tag reagieren die Menschen wütend bis panisch, weil sie im Stau stehen, der Verkehr zusammenbricht, die Türen im Supermarkt versperrt sind oder eben im Lift stecken. Tags darauf wird sich zur Nachbarschaftshilfe aufgerafft, wird versucht die Notsituation gemeinsam zu bewältigen, doch bereits ein, zwei Tage später beginnen die Menschen übereinander herzufallen. Der Zusammenbruch der Kanalisation war ein Aspekt, der mir vor der Lektüre des Buches gar nicht bewusst war. Der Autor beschreibt aber auch dies in einer Weise, die den Gestank, neben dem Chaos und der allgemeinen Anarchie, fast in der Nase spürbar werden lässt, während die Leser sich durch das Buch arbeiten.
In dem Plot geht es um einen Cyberangriff auf das „smart grid“. Seit Jahr und Tag bereiten sich Regierungen, Militärs, Netzbetreiber, bis zu Bürgermeistern auf das Szenario eines langanhaltenden Stromausfalls vor und damit eines Ausfalls der gesamten Infrastruktur, also ein Blackout. Die Versorgung der Bevölkerung wäre dann nur mehr sehr kleinräumig, auf sogenannten Inseln möglich. Doch jenseits aller Computerviren und Sabotage ist das Risiko Blackout auch Facette überlasteter Stromnetze und des Umstiegs auf erneuerbare Energien, die sich wie im Falle der Windfarmen und Photovoltaik mangels Speichermöglichkeit als wenig steuerbar erweisen könnten.
Am Nachmittag des 8. Januar spielte sich ein solcher Beinahe-Blackout im europäischen Stromverbund ab. Ein großflächiger Stromausfall konnte abgewendet werden. In Japan musste die Stromversorgung in den letzten Wochen infolge Versorgungsengpässen auf der Insel teils rationiert werden.
Die deutsche Energiewende: Aus allem raus und in nichts rein
Die deutsche Energiewende ist in erster Linie eine Stromwende, die rund ein Drittel des deutschen Energieverbrauchs erfasst. Die nun anstehende Mobilitätswende, für die sich die Europäische Kommission und die meisten EU-Regierungen einsetzen, soll nun den großen Rest, nämlich das Transportwesen, „dekarbonisieren“. Der eingeschlagene Weg ist insofern riskant, als ein solides und belastbares Stromnetz bislang nicht vorangetrieben wurde. Im Sommer 2011 wurde im Lichte der damals beschlossenen Energiewende der Ausbau von rund 3000 Kilometern Stromautobahnen in Deutschland angekündigt. Weder wurden die dringend erforderlichen Trassen gebaut, noch wurde das Stromnetz auf alle zusätzlichen Belastungen vorbereitet.
Das deutsche Kohleausstiegsgesetz 2020 bedeutet, dass ein Staat in weniger als 20 Jahren fast die Hälfte seiner Stromerzeugung abschalten will. Das ist ein Novum. Daniel Wetzel schreibt in seiner präzisen Analyse in der Tageszeitung „Die Welt“ wie folgt:
„Atom- und Kohlekraftwerke standen 2018 noch für 47 Prozent der deutschen Bruttostromerzeugung. Das alles soll jetzt weg – und vieles davon recht bald. Deutschland ist zwar nur für zwei Prozent der globalen CO²-Emissionen verantwortlich – und für null Prozent des globalen CO²-Wachstums der vergangenen Dekade. Dennoch soll mithilfe des Kohleausstiegs der gesamte deutsche CO²-Ausstoß um ein Viertel gesenkt werden. Anders als in vielen anderen Ländern soll dies ohne Hilfe der fast CO²-freien Kernenergie gelingen, die ebenfalls abgeschaltet wird. Im Jahr 2018 betrug der Primärenergieverbrauch Deutschlands 13.000 Petajoule. Die Windkraft lieferte jedoch nur 396 Petajoule, also gerade einmal drei Prozent. Fotovoltaik spielte mit 165 Petajoule eine noch geringere Rolle. Der Plan, die Energieversorgung der größten europäischen Volkswirtschaft fast ausschließlich auf Wind- und Solarkraft aufzubauen, erscheint daher gewagt.“
(Anmerkung der Redaktion: 1 Petajoule entspricht mehr als 277 Mio. Kilowattstunden)
Die Basis für den Kohleausstieg ist, dass 2030 mindestens 65 Prozent des Stromverbrauchs aus Wind-, Wasser- oder Sonnenenergie stammt. Es wird sehr viel abgeschaltet, aber wird eigentlich auch in Sachen Stromversorgung etwas eingeschaltet? „Das Vorhaben, Kohle- und Atomkraftwerke abzuschalten, bevor der Ersatz gesichert ist, gleicht einem Flugzeug, das abhebt, obwohl noch keine Landebahn existiert“, meint der „Welt“-Autor Daniel Wetzel. Das Risiko eines großräumigen Stromausfalls wächst dementsprechend.
Es geht um die Stromnetze
Es fehlt am Erfassen des Gesamtbildes und damit an der Rolle der vernachlässigten Stromnetze sowie an mehr Realitätssinn für die Leistbarkeit der propagierten neuen Energiewelt. Das Problem ist nicht die billige Erzeugung von erneuerbarem Strom, das Problem sind die Stromnetze.
Wer sich in den Sektor Mobilität vertieft, als Teil des Green Deals der Europäischen Kommission, erkennt, dass sehr ambitiöse Ziele gesteckt werden. Demnach müsse Europa die Emissionen des Verkehrssektors weiter und schneller verringern. Auf den Verkehrssektor entfällt ein Viertel der Treibhausgasemissionen in der EU. Diese sollen bis 2050 um 90 Prozent gesenkt werden. Das E-Auto steht als Heilsbringer. Der Börsenwert der Firma Tesla überholte im Vorjahr sämtliche große Erdölkonzerne. Nun stellt sich neben vielen anderen Aspekten für mich vor allem die Frage des zuverlässigen Stromnetzes, um all die im EU Plansoll vorgesehenen Elektroautos an die Steckdose anzuschließen.
Solar- und Windstrom lassen sich nicht nach Bedarf steuern wie Strom aus konventionellen Kraftwerken. Dies stellt das Stromsystem in seiner Gesamtheit, also das Netz und die gesamte damit verbundene Infrastruktur vor Probleme und vor allem vor Kosten. Die Netzengpässe sind bekannt, zwischen dem Norden Deutschlands – wo die großen Offshore-Windparks stehen und dem Süden – wo die industrielle Nachfrage ist. Deutschland schrammt immer öfter an einem Stromausfall vorbei. Es ist oft dem französischen Atomstrom zu verdanken, dass dies nicht passiert. Der tschechische Atomstrom wiederum stabilisiert oft das österreichische Netz.
Wenn wir ernsthaft von grünem Strom sprechen wollen, müssen Erzeugungs- und Übertragungskosten, also Instandhaltung und Ausbau des Stromnetzes einkalkuliert werden. Entscheidend ist was mit dem produzierten Strom am Markt tatsächlich erlöst werden kann. Bei Solarstrom steigen die Systemkosten noch schneller als bei Windstrom, weil diese Stromerzeugung noch stärkeren Schwankungen unterliegt. Wo der überschüssige Strom zwischengespeichert werden soll, wenn die Pumpspeicherkraftwerke in Österreich und der Schweiz nicht eingebunden sind, wird noch Probleme aufwerfen.
Die Pandemie als Brennglas und Rundumleuchte
Die Pandemie zeigte die Verwundbarkeit unserer Gesellschaften in einer global verästelten Wirtschaft auf. Gleichauf mit dem Szenario der Pandemie rangiert in fast allen Risikoanalysen seit Jahrzehnten das Extremereignis Stromausfall. Nicht nur Experten, auch Kommunalpolitiker und Unternehmer setzten sich mit den Folgen für unser aller Handlungsfähigkeit auseinander, wenn das Stromnetz zusammenbricht. In der sicherheitspolitischen Vorschau des österreichischen Verteidigungsministeriums heißt es:
„(..) ist ein Blackout ein sehr realistisches Szenario, mit dem binnen der nächsten fünf Jahre zu rechnen ist. Die derzeitigen Planungen für den Systemumbau stehen im Widerspruch zu den physikalischen Möglichkeiten und Grenzen des Systems.“
Das Stromversorgungssystem ist seit Jahrzehnten im Umbruch. Mit der Marktliberalisierung zu Beginn der Nullerjahre wurde seitens der Europäischen Kommission verordnet, dass zwischen Stromproduzent und Netzbetreiber eine Trennung bestehen muss. Doch wer investiert in Netze? Entstanden ist eine unüberschaubare Menge an Akteuren, die einander oft mit sehr gegensätzlichen Interessen gegenüberstehen.
Die Wahrscheinlichkeit ist, dass das Netz aufgrund der immanenten Komplexität kollabieren könnte. Geräte werden zudem immer sensibler und leiden heute mehr an den Schwankungen der Spannung, als dies noch vor einigen Jahren der Fall war, vor allem wenn es um Haushaltsgeräte geht.
Wenn nun in großem Umfang Elektroautos an dieses bereits überlastete Stromnetz angehängt werden, vergrößert sich damit die Gefahr eines Blackouts. Jeder stelle sich dann vor, dass aktuelle Krisenpläne in einem Zeitalter der Elektromobilität der Realität einfach nicht standhalten werden.
Eine weitreichende Unterbrechung in der Stromversorgung birgt das Risiko, den über Jahrzehnte aufgebauten Wohlstand und die Grundlagen unseres gesellschaftlichen Miteinanders zu zerstören. Diese Aussichten sind eher düster und sollten uns vielmehr ermuntern, neben einer neuen Mobilität, die sich an Stromversorgung orientiert, auch Ausfallskapazitäten zu halten. Aber dafür müsste wieder ein wenig mehr „out of the box“ gedacht werden. Weder in der Europäischen Kommission noch in den nationalen Energieministerien bin ich auf solche Menschen getroffen."
Quelle: SNA News (Deutschland)