Wirtschaftskriminalität nimmt zu: Deutsche Unternehmen agieren immer noch zu sorglos
Archivmeldung vom 15.10.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFast jedes zweite deutsche Unternehmen hat in den vergangenen zwei Jahren Schäden durch Unterschlagung, Korruption oder andere Formen von Wirtschaftskriminalität erlitten. Besonders hoch ist das Kriminalitätsrisiko in den E7-Staaten China, Russland, Indien, Indonesien, Brasilien, Mexiko und der Türkei, wie aus der Repräsentativ-Studie "Wirtschaftskriminalität 2007" der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hervor geht.
Steffen Salvenmoser, Partner bei PwC im Bereich Forensic Accounting
Services und ehemaliger Staatsanwalt, beschreibt die Dimensionen:
"Der finanzielle Schaden je Delikt ist in den Schwellenländern
beinahe dreimal größer als im weltweiten Vergleich. Umso
erstaunlicher ist es, dass deutsche Unternehmen in den Emerging
Markets weiterhin sorgloser agieren als ausländische Wettbewerber".
Aufgrund der Anzahl der an der Befragung beteiligten Unternehmen,
kann eine Aussage über die Höhe des volkswirtschaftlichen Schadens
gemacht werden, die erstmals über eine bloße Schätzung hinausgeht.
Professor Kai Bussmann, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und
Kriminologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg: "Der
Gesamtschaden, der deutschen Unternehmen allein durch die weltweit
aufgedeckten Straftaten entsteht, beziffert die Studie auf jährlich
gut sechs Milliarden Euro."
Der Anteil der geschädigten Befragten ist unverändert hoch und
stieg von 46 Prozent im Untersuchungszeitraum 2003/2004 auf nunmehr
49 Prozent. Salvenmoser erläutert die Ursachen: "Der Zuwachs ist
nicht allein auf einen Anstieg der Kriminalität zurück zu führen,
sondern auch auf effektivere Kontrollen in den Unternehmen.
Erstaunlicherweise befürchten trotzdem nur 10 Prozent selber Opfer
von Wirtschaftskriminalität zu werden."
Etwa jede dritte entdeckte Straftat wird nicht angezeigt, bei
Korruption schalten deutsche Unternehmen sogar nur in jedem zweiten
Fall die Staatsanwaltschaft ein. Dabei ist offenbar die Sorge um den
Ruf des Unternehmens ein wichtiger Grund für die Zurückhaltung, zumal
nur die Hälfte der angezeigten Täter tatsächlich verurteilt wird.
Für den "Global Economic Crime Survey" befragte PwC weltweit 5.428
Unternehmen, darunter 1.166 in Deutschland. Die Erhebung ist damit
die weltweit größte Studie dieser Art und wird bereits zum vierten
Mal binnen acht Jahren durchgeführt. Sie umfasst alle entdeckten
Straftaten von 2005 bis Frühjahr 2007 und ist damit umfassender als
die Kriminalstatistik, die nur die zur Anzeige gebrachten Delikte
berücksichtigen kann.
Industriespionage wird häufiger aufgedeckt
Deutsche Unternehmen haben in den Jahren 2005 und 2006 deutlich
häufiger Fälle von Produktpiraterie und Industriespionage aufgedeckt.
Der Anteil der betroffenen Befragten stieg auf 18 Prozent, im
Vergleich zu 13 Prozent im Zeitraum 2003/2004 beziehungsweise 8
Prozent 2001/2002. Über Unterschlagung und Betrug berichteten 33
Prozent der Unternehmen und damit ähnlich viele wie in den vorherigen
Zeiträumen, Korruptionsschäden entdeckten 10 Prozent der Befragten
(2003/2004: 9 Prozent, 2001/2002: 6 Prozent).
Unterschätzte Risiken in Schwellenländern
In den E7-Staaten beliefen sich die gemeldeten Schäden inklusive
der Managementkosten zur Schadenregulierung auf nahezu 4,4 Millionen
Euro je Unternehmen. Demgegenüber entstanden in den übrigen Ländern
durchschnittlich Schäden von 1,6 Millionen Euro. Dennoch
berücksichtigen deutsche Unternehmen das Kriminalitätsrisiko bei
Investitionen in Schwellenländern vergleichsweise selten.
Bei geplanten Investitionen in China beispielsweise setzten sich
in der Vergangenheit nur 31 Prozent der deutschen Unternehmen mit dem
Thema auseinander, während dies 48 Prozent der Investoren aus anderen
Ländern taten. Gleichzeitig erlitten deutsche Unternehmen in China
mit durchschnittlich 3,66 Millionen Euro deutlich höhere finanzielle
Verluste durch Wirtschaftskriminalität als Investoren aus der übrigen
Welt (1,33 Millionen Euro).
Kontrolldefizite bleiben bestehen
Im internationalen Vergleich haben deutsche Unternehmen bei der
Kriminalitätsbekämpfung weiterhin Nachholbedarf. Claudia Nestler,
Partnerin bei PwC im Bereich Forensic Services: "Im Ausland werden
strafbare Handlungen viel häufiger durch systematische Kontrollen
aufgedeckt". Dennoch hält fast die Hälfte (47 Prozent) der Befragten
in Deutschland in den kommenden zwei Jahren keine größeren
Veränderungen der Kontrollinfrastruktur für notwendig, während in
Westeuropa 35 Prozent und in Nordamerika nur 19 Prozent der
Unternehmen dieser Ansicht sind.
Auch in Schwellenländern agieren deutsche Unternehmen
vergleichsweise sorglos. So haben beispielsweise in China nur 39
Prozent der deutschen Befragten ihre Kontrollmaßnahmen in den
vergangenen zwei Jahren intensiviert, aber 53 Prozent der anderen
ausländischen Unternehmen. Gleichzeitig sehen 41 Prozent der
deutschen Unternehmen für die nächsten zwei Jahre keinen
Handlungsbedarf, während im internationalen Vergleich nur 25 Prozent
der Unternehmen diese Auffassung teilen.
Ethik-Richtlinien wirken
Noch deutlicher als bei der Kontrolle treten die Defizite
deutscher Unternehmen bei der Kriminalitätsprävention zu Tage. Ethik-Richtlinien haben zwar mittlerweile 61 Prozent der Befragten,
aber nur 37 Prozent verfügen über ein Compliance-Programm. In
Nordamerika hingegen sind ethische Richtlinien nicht nur bei 94
Prozent der Unternehmen vorhanden, sie werden auch deutlich häufiger
durch ein Compliance-Programm überwacht (73 Prozent).
Die Studienergebnisse belegen zudem, dass derartige Regelwerke
wirken. So wurden weltweit nur 38 Prozent der Unternehmen mit
Ethik-Standards und Compliance-Programmen Opfer von
Wirtschaftskriminalität, in der Vergleichsgruppe ohne entsprechende
Präventionsmaßnahmen erreichte der Anteil 54 Prozent. Nestler rät:
"Deutsche Unternehmen könnten die Schäden durch Kriminalität deutlich
senken, wenn sie ihre Vorbehalte gegenüber Präventionsprogrammen
aufgeben und ihre Unternehmenskultur entsprechend verändern würden".
Jeder zweite Täter kommt aus dem Unternehmen
Für eine stärkere Kriminalitätsprävention in den Unternehmen
spricht auch, dass knapp jede zweite Straftat von den eigenen
Mitarbeitern begangen wird. Die übrigen Täter stehen in der Regel als
Kunden, Lieferanten oder Geschäftspartner in Kontakt mit dem
betroffenen Unternehmen, Straftaten durch Unbekannte sind eher
selten.
Der typische Wirtschaftskriminelle in Deutschland ist ein Mann (87
Prozent der Täter), zwischen 30 und 50 Jahre alt (79 Prozent) und
seit mehr als sechs Jahren im Unternehmen beschäftigt (57 Prozent).
Knapp ein Drittel der Täter ist sogar schon länger als zehn Jahre
angestellt gewesen. Etwa 20 Prozent der Täter kommen aus dem
gehobenen Management, weitere 25 Prozent aus der mittleren
Führungsebene.
Top-Manager bleiben häufiger straffrei
Auffällig ist, dass Täter aus dem Top-Management in Westeuropa
deutlich seltener mit einer Strafanzeige rechnen müssen (40 Prozent
der Deliktsfälle) als Beschäftigte unterhalb der Führungsebenen (61
Prozent). In Deutschland ist eine derart unterschiedliche Behandlung
zwar nicht zu beobachten, allerdings geben 23 Prozent der deutschen
Unternehmen an, dass sie gegen Täter aus der oberen Führungsebene in
gut jedem fünften Fall sowohl auf Anzeige und Klage als auch auf
interne Sanktionen wie Abmahnung, Kündigung oder Versetzung
verzichtet haben. Kriminelle Handlungen des mittleren Managements und
anderer Beschäftigter blieben demgegenüber nur in fünf bzw. drei
Prozent der Fälle für den Täter folgenlos.
Kommt es jedoch zum Prozess, können Führungskräfte vor Gericht keineswegs auf eine Vorzugsbehandlung hoffen. Vielmehr wurden Freiheitsstrafen deutlich häufiger gegen Senior- und Top-Manager verhängt (62 Prozent) als gegen andere Beschäftigte (31 Prozent).
Quelle: Pressemitteilung PricewaterhouseCoopers AG