Vertrauen in die Wirtschaftsprüfung erschüttert
Archivmeldung vom 18.08.2020
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittInsbesondere aktuelle Bilanzskandal um die insolvente Wirecard AG hat eine intensive Diskussion um die Schutzmechanismen der Finanzaufsicht angestoßen. Diese erfordern nach Meinung von Experten eine grundlegende Überarbeitung und eine Verstärkung der Prävention (sicherlich auch im Sinne einer digitalen Forensik), um zukünftig skandalöse Missstände wirksam unterbinden zu können. In diesem Zusammenhang wird aber auch die Rolle von Wirtschaftsprüfern, die im Fall Wirecard offenbar Manipulationen über Jahre hinweg nicht erkannt und damit versagt hatten, kritisch diskutiert.
Als mögliche Präventivmaßnahme wurde dabei eine häufigere „Rotation“ von Wirtschaftsprüfern (WP) genannt, um das Risiko einer allmählichen Verflachung, wenn nicht sogar Verfilzung des Prüfvorgangs beim Einsatz stets desselben Prüfers bzw. derselben Wirtschaftsprüfungsorganisation bei einem Unternehmen zu neutralisieren. Auch die gleichzeitige Prüfung und Beratung eines Unternehmens sei, so jedenfalls Hinweise im Zuge des Wirecard-Skandals, kritisch zu hinterfragen. Aus Sicht der Industrie- und Handelskammern ist ein kritischer und präventiver Ansatz bei Prüfvorgängen in Unternehmen und Betrieben sinnvoll.
Gleichzeitige Prüfung und Beratung – Fallstricke am Beispiel des Genossenschaftsbereichs
Die Gleichzeitigkeit von Wirtschaftsprüfung und Beratung ist allerdings nach heutigem Verständnis zunächst einmal angemessen. Wirtschaftsprüfer sehen sich nicht nur als Experten für Bilanzierung und Rechnungslegung, sondern zunehmend als kompetente Vertrauenspersonen, die fachlich fundierte Hinweise zu Geschäftsprozessen/-strategien, aber beispielsweise auch zu Fragen des Risikomanagements erteilen können. Beim Geschehen um die Wirecard AG konnte ein solcher Anspruch von den involvierten Wirtschaftsprüfern nach Lage der Dinge nicht eingelöst werden. Aber auch abseits von einem derartigen Skandal könnte eine Parallelität von Prüfung und Beratung, jedenfalls unter bestimmten Rahmenbedingungen, mit potenziellen Nachteilen verbunden sein.
Dies betrifft beispielsweise gesetzliche Prüfungsverbände wie den „Genossenschaftsverband – Verband der Regionen“ mit Hauptsitz in Frankfurt am Main, der namentlich Organisationen aus dem Genossenschaftsbereich mit Wirtschaftsprüfung und Beratungsleistungen zur Seite steht. Zwar unterliegt auch dieser Prüfungsverband dem Unbefangenheits- und Neutralitätsgebot, doch mag das gleichsam „familiäre“ genossenschaftliche Miteinander auch Risiken aufwerfen. Zu denken wäre hier etwa an eine Konstellation, bei dem Wirtschaftsprüfer/ Entscheider des Genossenschaftsverbandes – Verband der Regionen zugleich eine Funktion als Organwalter bei der zu prüfenden und/oder zu beratenden Organisation ausüben. Bei der „ADG – Akademie der Deutschen Genossenschaften“ ist eben dies der Fall (Siegfried Mehring, WP und stellv. Vorsitzender des Vorstands des Genossenschaftsverbandes – Verband der Regionen, zugleich Aufsichtsrat (AR) und damit Organwalter der ADG, bei der nach vorliegenden Erkenntnissen eine enge Beratung und Prüfung/Risikoprüfung durch diesen Prüfungsverband erfolgt, Informationsstand: Juli 2020). Die hier geschilderte Konstellation braucht kein Befangenheitsgrund zu sein (was sich im Übrigen auch aus § 55 des Genossenschaftsgesetzes – „Prüfung durch den Verband“ – und aus der hierauf bezogenen Rechtsprechung ergibt). Sie kann allerdings eine „Anfälligkeit“ für Befangenheit oder Beurteilungsverzerrungen bahnen. So etwas wäre insbesondere dann der Fall, wenn der prüfende/beratende Verband bzw. in diesen integrierte Organisationen eine Zusammenlegung mit der zu prüfenden/zu beratenden Organisation anstreben würden. Im Genossenschaftsbereich, vor allem bei den genossenschaftlichen Banken, aber auch bei Sparkassen, war jedenfalls in den zurückliegenden Jahren eine rege Fusionstätigkeit zu verzeichnen. Diese Zusammenlegungen dürften sich auch zukünftig fortsetzen. In punkto Anfälligkeit wäre daher bei der zuvor beschriebenen Konstellation eine aufmerksame und kritische Kontrolle sicherlich geboten.
(Befristeter) Ausschluss von der genossenschaftlichen Organwaltung (Fehlverhalten oder Besorgnis mangelnder Integrität)
Genossenschaftliche Organisationen zeichnen sich durch werteorientierte Leitbilder aus. Diese Leitbilder prägen auch die Auswahl von Organwaltern. So sollten Aufsichtsräte (AR) in genossenschaftlichen Organisationen nach gängiger Praxis, die sich auch in der Rechtsprechung widerspiegelt, verlässliche Arbeit leisten, integer und frei von Interessenkonflikten sein. Ferner sollten sie sich mit den genossenschaftlichen Leitbildern identifizieren. Im Fall von Hans Joachim Reinke, Vorsitzender des Vorstands und ebenso des AR der in Frankfurt am Main ansässigen Union Asset Management Holding AG/Union Investment (und zugleich AR der genannten ADG, Informationsstand: Juli 2020), ist die Deckung mit diesen Anforderungen kritisch zu hinterfragen. Nach jüngsten Medienberichten vom Juni 2020 (Medium finanz-szene.de, Süddeutsche Zeitung, Handelsblatt) soll die genossenschaftliche Fondsgesellschaft Union Investment bis 2016 jahrelang Vorstände der – ebenfalls genossenschaftlichen Sparda-Banken – zu Reisen mit Freizeit- bzw. Vergnügungscharakter, u.a. nach Dubrovnik an der kroatischen Adria, eingeladen haben. Nach Meinung von Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende, strotzten diese Aktivitäten geradezu „vor Interessenkonflikten“. Gemäß den Medienberichten sei hinsichtlich der Aktivitäten im Dezember 2019 eine Strafanzeige gegen ein Mitglied des Aufsichtsrats „einer großen deutschen Fondsgesellschaft“ (Union Investment) bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main gestellt worden. Die Staatsanwaltschaft hat demnach unter dem Aktenzeichen 7590 Js 257595/19 Ermittlungen wegen des Verdachts der Untreue eingeleitet. Der Name der Person, gegen die ermittelt wird, wurde nicht mitgeteilt.
Selbstverständlich gilt in einem solchen Fall bis zu einer strafrechtlichen Entscheidung die Unschuldsvermutung. Andererseits wiegt der Vorwurf von Freizeit- oder Vergnügungsreisen, die durch eine genossenschaftliche Fondsgesellschaft aus betrieblicher Veranlassung initiiert wurden, schwer. Denn entsprechende Kosten, die nach den Medienberichten erheblich gewesen sein dürften, werden letztlich auch aus den der Investmentgesellschaft in gutem Glauben anvertrauten Einlagen (bzw. Erträgen daraus) beglichen worden sein. Ein solches Gebaren würde genossenschaftlichen Leitbildern und – daraus abgeleitet – den Anforderungen an eine Organwaltertätigkeit in genossenschaftlichen Organisationen auf eklatante Weise zuwiderlaufen. Ob in einem solchen Fall die Besorgnis mangelnder Integrität ein Ruhenlassen oder eine Aufgabe der Organwaltertätigkeit erfordern kann, stellt letztlich nicht nur eine fachjuristische und genossenschaftsrechtliche, sondern auch organisationsethische Frage dar.
Quelle: Dietmar Hellbeck