Gesetzliche Informationspflichten - Satire oder Verbraucherschutz?
Archivmeldung vom 03.05.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSeit dem der Verbraucherschutz zum allumfassenden Leitbild des gesetzlichen Handelns geworden ist, nehmen die vom Gesetzgeber angeordneten Hinweis-, Belehrungs- und Informationspflichten beständig zu, die vom Unternehmer in seiner Werbung abverlangt werden.
Durchaus entscheidend ist dabei die Frage, von welchem Verbraucherleitbild der Gesetzgeber ausgeht. Legt er seinem Handeln das Leitbild eines unbedarften und schlecht informierten Verbrauchers zugrunde, werden die abverlangten Informationspflichten entsprechend umfangreicher ausfallen. Geht der Gesetzgeber eher von einem gut informierten Durchschnittsverbraucher aus, wird der Gesetzgeber auf die Normierung von Informationspflichten über Selbstverständlichkeiten verzichten und sich bei der Ausgestaltung der Rechtsordnung auf diejenigen beschränken, die er als wesentlich und notwendig erkannt hat. Die Tendenz der Rechtsordnung geht jedoch in die andere Richtung. Dies führt immer häufiger dazu, dass Informationspflichten über Selbstverständlichkeiten abverlangt werden und dabei auch vor unnützen Belehrungen nicht halt gemacht wird. Für den Unternehmer drohen im Einzelfall Ordnungsgelder bis zu 50.000,00 Euro. Die praktische Relevanz der Ordnungstatbestände mag gegenwärtig noch gering sein, da die Ordnungsgelder in der Praxis kaum durchgesetzt werden. Praktische Relevanz haben aber kostenpflichtige Abmahnungen durch Mitbewerber, die durchaus die Zeit und die Kraft finden, solche vom Gesetzgeber normierten Informationspflichten bei Nichteinhaltung zu verfolgen. Für den Verbraucher bedeutet dies, dass sich Produkte und Dienstleistungen verteuern, weil der Unternehmer entweder qualifizierten Rechtsrat einkaufen oder nicht unerhebliche Kosten für Abmahnungen einkalkulieren muss. In nicht wenigen Fällen haben die gesetzgeberisch angeordneten Informationspflichten sogar satirischen Charakter.
Anforderungen durch die Verpackungsverordnung
Ein Beispiel für unsinnige Anforderungen liefert die Deutsche Verpackungsverordnung (VerpackVO), die 1991 erstmals beschlossen und bis heute mehrfach angepasst wurde. Ziel dieser Verpackungsverordnung soll es sein, die Umweltbelastungen aus Verpackungsabfällen zu verringern und die Wiederverwendung oder Verwertung von Verpackungen zu fördern. Eine Crux liegt jedoch im § 6 Abs. 1 VerpackVO, der den Verkäufer verpflichtet, die vom Endverbraucher verbrauchte und restentleerte Verkaufsverpackung am Ort der tatsächlichen Übergabe oder in dessen ummittelbarer Nähe unentgeltlich zurückzunehmen. Da diese Vorschrift auch für den Versandhandel gilt, muss der Verkäufer diese Verpflichtung auch an weit entfernten Orten erfüllen. Gleichzeitig muss der private Endverbraucher auf die Rückgabemöglichkeit am Ort der Übergabe auch belehrt werden, z. B. in der Werbung im Internet. Wie es beispielsweise ein kleiner eBay-Verkäufer (z. B. in Hamburg oder Frankfurt) leisten soll, solche Rücknahmeverpflichtungen am Ort des Endverbrauchers (z. B. in München oder Stuttgart) zu gewährleisten, bleibt ein offenes Geheimnis des Verordnungsgebers. Die einzige Möglichkeit der Rücknahmeverpflichtung am Ort des Endverbrauchers zu entgehen, besteht darin, sich an einem System zu beteiligen, dass flächendeckend eine regelmäßige Abholung gebrauchter Verkaufsverpackungen sicherstellt. Dass dies jedoch nicht gerade unerhebliche Mehrkosten aufwirft, die zu einer Verteuerung von Produkten führen und zugleich den Marktzugang von neuen, jungen Unternehmen erheblich hemmt, versteht sich von selbst.
Ungeklärte Rechtsfragen bei der Formulierung der Belehrung
In der Rechtsprechung ist es gegenwärtig nicht abschließend geklärt,
wie ein rechtsgültiger Belehrungstext in Bezug auf die VerpackVO
überhaupt auszusehen hat. Interessant ist aber die Belehrungsvariante,
die das Versandhandelsunternehmen Amazon EU S.a.r.l. aus Luxembourg
bzw. deren deutscher Ableger, die Amazon.de GmbH, gegenwärtig
bereithält:
"Sie haben als Verbraucher natürlich auch die Möglichkeit, die
Verpackung in die Altpapiersammlung zu geben, zusammen mit den alten
Tageszeitungen usw.. Notwendige stofffremde Anhaftungen, z. B.
Klebebänder, Etiketten und der geringe Folienanteil, stören den
Recyclingprozess nicht".
Dieses Unternehmen macht von der Möglichkeit Gebrauch, sich von seinen
Rechtspflichten freizukaufen, indem es einen zusätzlichen
Entsorgungsdienstleister finanziert. Dieser hält dann eine kostenlose
Service-Rufnummer bereit. Ruft der Endverbraucher dort an, erfährt er,
wo sich die nächstgelegene Mülltonne an seinem Wohnort befindet bzw.
der Dienstleister arrangiert die kostenfreie Abholung der Verpackung
beim Endverbraucher.
Auch Sportboote benötigen ein Schild zur Abfallentsorgung
Eine weitere gesetzliche Vorschrift liest sich ebenfalls wie Satire: Anlage 5, Regel 9, Absatz 1 des „Marpol“-Übereinkommens verlangt, das auf jeden deutschen Schiff ab 12 Meter Gesamtlänge, Aushänge über die anzuwendenden Vorschriften zur Beseitigung von Müll angebracht werden müssen. Die Zuwiderhandlung stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die gemäß § 9 der Marpol-Zuwiderhandlungsverordnung mit einer Geldbuße bis zu 30.000,00 Euro geahndet werden kann. Der Deutsche Motor Yacht Verband (DMYV) wies kürzlich darauf hin, dass dabei auch Sprachregelungen zu beachten sind. Während auf der Ostsee ein deutschsprachiger Aufkleber genügt, sei im weiteren Seegebiet die zweisprachige Kurzfassung über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe erforderlich. Natürlich stellt die illegale Abfallentsorgung in Meeren ein erhebliches Umweltproblem dar und ein Hauptverursacher ist auch tatsächlich der Schiffsverkehr. Welchen Beitrag mehrsprachige Hinweisschilder in Sportbooten zur Beseitigung dieses Problems leisten sollen, bleibt aber ebenso fraglich wie die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der Wasserschutzpolizei, inflationäre Bußgelder wegen Nichtanbringung von Hinweisschildern durchzusetzen?
Widerrufsbelehrung
Für ein im Fernabsatz tätiges Unternehmen ist es notwendig, den
Verbraucher über das gesetzliche Widerrufsrecht rechtsgültig zu
belehren, wenn man nicht Gefahr laufen will, dass Verträge noch nach
Ablauf einer längeren Zeitspanne rückabgewickelt werden können. Die
frühere Mustervorlage des Bundesjustizministeriums hatte in den
vergangenen Jahren vielen Online-Händlern den Schlaf geraubt, weil
einige Gerichte sich damit überboten, den Musterbelehrungstext für
rechtswidrig und somit für unwirksam zu erklären, weil er mit den
Vorgaben des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht übereinstimmen würde. Die
Bundesministerin für Justiz überarbeitet den Musterbelehrungstext erst,
nachdem Experten mehrfach auf die untragbare Rechtssituation
hingewiesen hatten. Eine erster Überarbeitungsvorschlag wurde zum Glück
nicht verwirklicht. Er sah nämlich vor, die Unternehmer zum Abdruck
sämtlicher einschlägiger Gesetze im Anhang der Belehrung zu
verpflichten. Dann wäre die Belehrung rund vier DIN-A4-Seiten lang
geworden. Ein offensichtlich unpraktikabler Vorschlag, der auch dem
Verbraucher nicht hilft. Seit dem 01.04.2008 steht ein neuer
Belehrungstext zur Verfügung, der wesentlich kürzer ausfällt. Trotzdem
bleibt ein Unsicherheitsfaktor: Das derzeit vorhandene Muster hat nach
wie vor nur den Rang einer Verordnung und keinen echten
Gesetzescharakter. Erst wenn das Ministerium die Textvorgabe in ein
formelles Gesetz überführt, könnte es von den Gerichten nicht mehr ohne
weiteres für nichtig erklärt werden.
Batterieverordnung
Informationspflichten enthält auch § 12 Batterieverordnung (BattVO). Wer demnach gewerbsmäßig Batterien an Verbraucher abgibt, hat diese an gut sichtbarer Stelle darauf hinzuweisen, dass die Batterien nach Gebrauch von der Verkaufsstelle oder in deren unmittelbarer Nähe unentgeltlich zurückgenommen werden muss und das der Endverbraucher zur Rückgabe gebrauchter Batterien gesetzlich verpflichtet ist. Da viele Unternehmen diese Verordnung in der Flut von Gesetzen und Verordnungen lediglich nicht kennen und die entsprechenden Hinweispflichten deshalb ohne bösen Willen nur übersehen haben, ruft dies Mitbewerber auf den Plan, die ihren Wissensvorsprung dazu nutzen, kostenpflichtige Abmahnungen auszusprechen und haben damit Erfolg. Das Spiel hat Kindergartenniveau („ich weiß etwas, was Du nicht weist“).
Und so weiter…
Die Thematik lässt sich ins Unendliche fortsetzen. Neben der
Batterieverordnung gibt es die Hinweispflichten des Telemediengesetz
auf Internetseiten, die Impressumspflichten in der e-Mail-Korrespondenz
(etwa nach § 35a GmbHG etc.), im Elektronikmarkt existiert
Hinweispflichten nach der „Verordnung über die Kennzeichnung von
Haushaltsgeräten mit Angaben über den Verbrauch an Energie und anderen
wichtigen Ressourcen“ (EnVKV) bzw. Nach dem
Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz (EnVKG). Wem gar nichts mehr
einfällt und wer unbedingt abmahnen will, holt vielleicht die uralte
Preisangabenverordnung aus der Tasche. Denn irgendwo auf einer
versteckten Unterseite wird man im Internetshop des Mitbewerbers schon
fündig werden und eine Stelle finden, bei der beim Preis der notwendige
Hinweis fehlt: „Der Preis beinhaltet die gesetzliche Umsatzsteuer“.
Quelle: Ulrich Schulte am Hülse, Rechtsanwalt