Schwere Kritik an Autoherstellern bei der Automotive Logistics Europe 2009
Archivmeldung vom 09.03.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMangelnde Kommunikation von Seiten der Autohersteller sowie geringe Transparenz in der Lieferkette schädigen Logistikanbieter und Zulieferer in ihrem Kampf gegen den Abschwung. Zugleich hat der der Rezession vorausgehende Anstieg in Automobil-Verkaufszahlen und weltweiter Produktion lange, komplexe Lieferketten geschaffen, die in manchen Fällen unhaltbar geworden sind.
Dies sind einige der Erkenntnisse, die vergangene Woche aus der Konferenz Automotive Logistics Europe hervorgingen, bei der sich fast 200 Delegierte aus der europäischen Automobil-Logistikbranche versammelten, darunter Führungskräfte von Erstausrüstern wie Ford, Renault-Nissan und Audi sowie führende Zulieferer und Logistikanbieter aller Art.
Anbieter von Transportdiensten und Zulieferer kritisierten die mangelnde Transparenz von Erstausrüstern in einer Zeit, in der Fahrzeugumsätze stark von der Finanzkrise betroffen sind. Laut Franz Blum von Vega wurden Anbieter selbst dann nicht informiert, als die Umsätze mit Nutzfahrzeugen innerhalb eines Monats von 26.000 auf nur 600 fielen. "Das Wort Partnerschaft' ist lächerlich", meinte er. "Diese Freundschaft ist eine Schönwetterbeziehung. Mit den Herstellern besteht keinerlei Kommunikation mehr."
Manuel Formis vom Top-Zulieferer Honeywell erklärte, dass Autohersteller zwar die Einführung neuer Modelle verlangsamten, dies aber anderen Mitgliedern der Lieferkette nicht unbedingt mitteilten, so dass Zulieferer ohne Grund Überschüsse an Teilen herstellten oder lieferten. Kollaborative Logistik mit anderen Zulieferern derselben Ebene als Mittel zur Kostensenkung sei nicht die Antwort - "wir haben es versucht und es funktioniert nicht", so Formis. Er fügte hinzu, dass die Logistikkosten entsprechend der Nachfrage zu 100 % variabel sein müssten, und nicht zu 70 %, wie es derzeit der Fall ist.
Um dies zu erreichen, müssen Hersteller und Zulieferer reaktionsfreudiger werden und die Kommunikation innerhalb der Lieferkette intensivieren, sei es, um besser auf die Nachfrage zu reagieren oder um die Risiken für am Rande des Zusammenbruchs stehende Zulieferer zu entschärfen. Michael Druml vom Lohnhersteller Magna Steyr meinte, dass sein Team dies bereits täte, obgleich seine grösste Sorge den Auswirkungen eines möglichen Konkurses von Zulieferern gelte. "In diesem Fall könnte ein offizieller Konkursverwalter eingeschaltet werden, die Preise um 80 % erhöhen und die Zahlungsbedingungen auf Zahlung bei Lieferung ändern", so Druml. "Ich bin mir nicht einmal sicher, ob unsere IT-Systeme eine derartige Transaktion verkraften könnten."
Cary VandenAvond vom IT-Zulieferer i2 stellte Untersuchungen vor, laut denen Hersteller eine Verkürzung und Umstrukturierung ihrer Lieferketten anstreben müssen, deren Entwicklung im Zuge der Expansion von Unternehmen oft eher zufällig als geplant verlief. Hauke Harnisch, der kürzlich seine Tätigkeit bei Lear beendete und DualproLOG gründete, meinte, dass er zwar nicht das Ende kostengünstiger Lieferangebote erwarte, sich aber die Konzentration in Europa von Asien mehr auf Osteuropa verlagern würde.
Autohersteller befassen sich jedoch nach wie vor auch mit positiven Projekten. Kevin Wall von Jaguar Land Rover beschrieb, wie sein Unternehmen in den vergangenen zwei Jahren seine Logistik erfolgreich an DHL Exel ausgelagert hat. Anne Laure Mirabaud berichtete, wie Renault dieses Jahr Inventarbestände senken und Kapitalflüsse steigern konnte, indem das Unternehmen Logistik und Produktion synchronisierte, bei Prognosen und Zeitplänen grössere Disziplin anwendete und die werksinterne Logistik verbesserte.
Dominique Monteux, ihre Kollegin von der Beschaffungsorganisation bei Renault Nissan, eröffnete jedoch, dass sie von Transportunternehmen abgewiesen wurde, als die Frachtkosten für Container hoch waren und sie langfristige Preisvereinbarungen anstrebte. Die marktbasierte Preisgestaltung für Wirtschaftsgüter wirke daher derzeit zu ihren Gunsten.
Auf dem Markt verbleiben auch andere Chancen. Referenten von Russian Transport Lines und OMG sahen für Russland sehr positive Prognosen, und die Nachfrage nach IT-Systemen, einer derzeit schwierigen Investition, bleibt weiterhin stark, da viele Hersteller und Anbieter die hohen Kosten mangelnder Transparenz aus eigener Erfahrung kennen. Matthias Berlit von Inform erkannte in Märkten wie Indien und Taiwan neue Ansätze.
Auch für Käufer notleidender Vermögenswerte bieten sich Chancen. John Merry von Quantum Automotive kommentierte, dass sein neues Unternehmen eine Rückkehr in das Umfeld der Logistik für Fertigfahrzeuge in Betracht zieht. "Auf dem Markt existieren viele notleidende Vermögenswerte, und daher bieten sich erhebliche Möglichkeiten, sofern man eine langfristige Perspektive verfolgt", meinte er. Er vertrat jedoch auch die Ansicht, dass ein struktureller Wandel nötig sei. "Ich glaube nicht, dass hohe Vermögenswerte das richtige Modell darstellen. Man kann nicht auf der Grundlage eines Einjahresvertrags in Vermögenswerte mit einer Lebensdauer von zehn Jahren investieren."
Schliesslich ist auch die Logistik auf dem Zubehör- und Ersatzteilmarkt nach wie vor profitabel. Bruno Sidler von Ceva beobachtete, dass die hier erzielten hohen Margen für die Branche einen "Silberstreif am Horizont" darstellten.
Die Automotive Logistics Europe zählt zu einer Konferenzreihe, die weltweit von der Zeitschrift Automotive Logistics und ihrer Schwesterpublikation Finished Vehicle Logistics organisiert wird. Künftige Veranstaltungen dieser Reihe finden im April in Shanghai, im Mai in Sao Paulo (Brasilien), im Juni in Moskau, im September in Detroit und im Dezember in Indien statt.
Die Organisation der Automotive Logistics Europe 2009 wurde durch die Unterstützung ihrer Sponsoren ermöglicht: die Goldsponsoren Ceva Logistics und Russian Transport Lines, die Globalsponsoren Wallenius Wilhelmsen Logistics und die Silbersponsoren Adampol, i2 Technologies, Inform, ITD Hungary, Macro Plastics, NYK Logistics, OMG Ports, Priority Freight, ProAct International, Schoeller Arca Systems, TemPark und Vehnet. Besondere Unterstützung wurde von der Association of European Vehicle Logistics (ECG) geleistet.
Quelle: Automotive Logistics Europe 2009