Deutschland AG weiter in Auflösung
Archivmeldung vom 06.07.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 06.07.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Monopolkommission spricht in ihrem gestern veröffentlichten 16. Hauptgutachten von Anzeichen für eine Auflösung des gesamten Netzwerks der Deutschland AG. Lothar Krempel vom Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung hat die aktuellen Daten der Kommission in eine Grafik übersetzt.
Sie belegt: Wo noch 1996 zahlreiche Querverbindungen das Netzwerk stützten, ist das Geflecht an Kapitalverbindungen nun deutlich dünner.
In den Netzwerkgrafiken werden alle Unternehmen dargestellt, die sich unter den 100 größten Unternehmen befanden und kapitalmäßig mit anderen Unternehmen verbunden waren. Lothar Krempel zeigt auf diese Art Momentaufnahmen des deutschen Unternehmensnetzwerks in Abständen von zwei Jahren im Zeitraum von 1996 bis 2004. Mit jedem Zwei-Jahres-Schritt werden die Kerne des Netzwerks kleiner, sie sind lockerer verknüpft und mit weniger Unternehmen außerhalb der Kerne verbunden.
Die aktuelle Grafik zum Jahr 2004 zeigt, dass nur noch
53 der 100 größten Unternehmen Kapitalverflechtungen haben, davon 28 in der
großen Netzwerkkomponente. Es gibt nur noch 44 Verbindungen zwischen den
Einheiten, verglichen mit 143 im Jahr 1996. "Wir gehen davon aus, dass der
Entflechtungsprozess sich auch weiter fortsetzen wird", sagt Martin Höpner, der
am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung (MPIfG) in einem
gemeinsamen Projekt mit Lothar Krempel die Daten der Monopolkommission
ausgewertet hat. "Die entscheidenden Akteure haben ihr Interesse an der
Aufrechterhaltung der Unternehmensverflechtungen verloren." Für die Banken
beispielsweise ist das Investmentbanking immer wichtiger geworden. Hier sind
enge Verbindungen zu Industrieunternehmen eher nachteilig. "Die Deutsche Bank
muss glaubhaft machen, dass sie - sollte eines Tages das Volkswagen-Gesetz
fallen - ohne mit der Wimper zu zucken einen Auftrag zur Vorbereitung einer
feindlichen Übernahme von Volkswagen annehmen würde", urteilt Martin Höpner.
Zudem verkleinert der internationale Konkurrenzdruck die Handlungsspielräume der
Manager, so dass Banken kaum noch Einfluss auf deren Entscheidungen nehmen
können.
Und die Allianz? Die Abbildung zeigt, dass der
Versicherungskonzern im Jahr 2004 der wichtigste Halter industrieller
Aktienpakete war. "Die Allianz ähnelt heute eher einem Investmentfonds als einem
strategischen Spieler der alten Deutschland AG. Sie ersetzt nicht die Deutsche
Bank, sondern sie hat parallele Veränderungen durchlebt", schränkt Jürgen Beyer
ein. Der Wirtschaftssoziologe hat sich am MPIfG in einer historischen Fallstudie
mit der herausragenden Bedeutung der Deutschen Bank und der Allianz für die
politische Ökonomie Deutschlands beschäftigt. Die Allianz hat auch in der
Vergangenheit kaum versucht, mit ihren Aktienpaketen Einfluss auf die
Industrieunternehmen zu nehmen. Sie war stets die passivere Anlegerin, die ihre
Beteiligungen über eine große Anzahl von Industrieunternehmen streute.
Mittlerweile hat die Allianz ihre Beteiligungen in eine eigens dafür zuständige
Investmentgesellschaft ausgegliedert.
Die Verflechtungen zwischen
deutschen Großunternehmen haben schon immer die Gemüter erregt. Bereits seit dem
ausgehenden 19. Jahrhundert ist die deutsche Unternehmenslandschaft durch dichte
Kapital- und Personalverflechtungen geprägt. Für manche war das deutsche
Unternehmensnetzwerk Ausdruck eines besseren, die Potenziale der Kooperation
ausschöpfenden, der reinen Marktwirtschaft deshalb überlegenen Kapitalismus.
Andere interpretierten Unternehmensverflechtungen als Instrumente machthungriger
Manager, die sich mit Überkreuzbeteiligungen vor dem Einfluss der Kapitalmärkte
schützten. "Die Deutschland AG hat jedenfalls ausgedient", so Beyer. "Die
Kontrolle durch Verflechtungen wird zunehmend von der Kontrolle durch den
Finanzmarkt abgelöst."
[CS]
Verwandte Links:
[1] Download der fünf Netzwerkgrafiken 1996 bis 2004 und mehr Informationen
[2] Gutachten der Monopolkommission
Quelle: Pressemitteilung Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.