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Interview zur Finanzkrise mit Thomas Bieler, Finanzmarktexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen

Archivmeldung vom 19.09.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 19.09.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Bettelnde Banken, brodelnde Börsen: Die Woche stand ganz im Zeichen der Finanzkrise. Pleiten, Profitillusionen und Pannen halten die Weltwirtschaft in Atem. Welche Gefahren bestehen für den Privatanleger und welche nicht? Thomas Bieler, Finanzmarktexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, nimmt Stellung im Interview der Woche.

Erschüttern die Schockwellen des Schwarzen Montags auch das deutsche Finanzsystem?

Thomas Bieler: Ja, natürlich. Dass das allerdings bis an die Grundfesten gehen wird, möchte ich bezweifeln. Aber die Verunsicherung ist riesig. Noch vor wenigen Wochen hätte niemand vermutet, dass die viert"größte Investmentbank Amerikas pleite gehen könnte. Denn da muss man sich als Manager schon sehr anstrengen, um eine solche Bank straucheln zu lassen.

Ist das Geld von Otto Normalverbraucher unter dem Kopfkissen sicherer als auf der Bank?

Bieler: Nein, das auf keinen Fall. Unterm Kopfkissen kann es gestohlen werden. Auf der Bank kann es dagegen nicht einfach verloren gehen, weil die Banken über vernünftige Einlagensicherungssysteme verfügen. Das heißt, alles Geld, das auf irgendwelchen Konten liegt -- egal, ob Sparbuch, Tagesgeldkonten oder deutsche Schuldverschreibungen -- unterliegt der Einlagensicherung und ist somit in Deutschland grundsätzlich unbegrenzt abgesichert.

Schützen die Einlagensicherungsfonds jedes Konto bis zu jeder Höhe?

Bieler: Es gibt unterschiedliche Systeme. Bei den privaten Banken haben wir Fonds, die bis zu einer Höhe von 30 Prozent des haftenden Eigenkapitals absichern -- je Anleger. Das heißt: Verfügt die Bank über fünf Millionen Euro haftendes Eigenkapital wären je Anleger 1,5 Millionen Euro abgesichert. Man kann davon ausgehen, dass die Einlagen des Normalanlegers komplett abgesichert sind. Bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken hat man andere Systeme, aber die gewährleisten praktisch auch eine unbegrenzte Sicherheit.

Sind diese Fonds Lehren aus vergangenen Pleiten?

Bieler: Genau, der Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes deutscher Banken ist erst nach der Pleite der Kölner Herstatt-Bank 1974 geschaffen worden, die sich mit Devisengeschäften verspekuliert hatte.

Wurden diese Fonds hierzulande schon mal in Anspruch genommen?

Bieler: Ja, nachdem einige kleinere Bankhäuser kollabiert waren. Bei der Pleite der Fischer-Bank in Hamburg flossen in den 90er-Jahren immerhin insgesamt 1,6 Milliarden Mark. für rund 70000 Kunden, bei der Fast-Pleite der Schmidt-Bank im Jahr 2002 sogar 1,3 Milliarden Euro. Die BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht; d. Red.) hat jetzt die Lehman Brothers Deutschland aus dem Verkehr gezogen. Das könnte ein Fall für die Einlagensicherungsfonds werden -- vermutet wird, dass er sogar deutlich größer werden könnte als damals die Schmidt-Bank.

Also besteht zu einem panischen Sturm auf die Banken kein Anlass?

Bieler: Nein, die deutschen Banken mussten zwar schon Milliarden Euro abschreiben, sind aber nicht elementar gefährdet. Anders als viele amerikanische Banken tummeln sie sich nicht nur auf den Kapitalmärkten, sondern haben auch noch das normale Kundengeschäft als wichtiges Standbein.

Die Talfahrt der Aktienkurse löst hierzulande wenig Besorgnis aus. Sehr viel weniger Deutsche spekulieren als etwa Amerikaner. Was aber ist mit den Aktienfonds der Versicherer? Sind die Lebensversicherungen in Gefahr?

Bieler: Bleiben die Aktienmärkt nach der jetzigen kräftigen Korrektur nach unten länger auf diesem Niveau, wird man es auch bei der Rendite der Lebensversicherungen merken. Allerdings sind die deutschen Versicherer sehr vorsichtig geworden, nachdem sie sich beim Börsencrash Ende der 90er-Jahre die Finger verbrannt hatten. Sie haben meist nur um die zehn Prozent Aktien im Depot -- deutlich weniger, als sie dürften. Hier liegt das Geld meist in sicheren Anlagen wie festverzinslichen Wertpapieren oder wird in Form von gut abgesicherten Immobilienkrediten an Kunden vergeben.

Was würden Sie denen empfehlen, die jetzt ihr Geld anlegen wollen?

Bieler: Im Moment würde ich als sicherheitsorientierter Anleger auf keinen Fall in Aktien investieren. Das ist nur etwas für jemanden, der zocken will, der auf hohe Gewinne aus ist, aber -- wenn es schiefgeht -- auch mit hohen Verlusten leben kann. Wer sein Geld vernünftig anlegen will, muss im Moment auf Sicherheit und Flexibilität setzen. Und da gibt es durchaus interessante Angebote: Tagesgeldkonten etwa sind einlagengesichert, jederzeit verfügbar und bieten in der Spitze bis zu fünf Prozent Zinsen. Was will man mehr?

Muss das System der Finanzaufsicht überprüft werden?

Bieler: Unbedingt. Es darf nicht sein, dass man über außerbilanzielle Gesellschaften eine ganze Bank hinrichten kann -- wie das bei der IKB geschehen ist. Es darf künftig nicht mehr passieren, dass die Finanzaufsicht nur das Haupthaus überprüft, während eine in Irland gegründete Tochtergesellschaft die ganze Bank ins Trudeln bringt. Insgesamt erwies sich die Finanzkrise auch als eine Krise der Ratinggesellschaften, deren Einblickmöglichkeiten offenbar allzu begrenzt sind, und die deshalb viele Papiere zu gut bewertet haben.

Wäre es sinnvoll, das Haftungsrecht zu verschärfen, damit Manager verantwortungsvoller spekulieren?

Bieler: Das ist eine politische Frage. Aber es kann nicht so bleiben, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden. Wer viel verdient, weil er viel Verantwortung übernimmt, sollte auch dafür geradestehen, wenn er Mist baut.

Zunächst stützte Washington trudelnde Banken, jetzt nicht mehr. Ist der Kurswechsel richtig?

Bieler: Das war ein klares Signal, dass derjenige, der die Karre vor die Wand fährt, auch dafür einstehen muss. Wer völlig unüberschaubare Risiken eingeht, soll nicht mehr davon ausgehen können, dass der Steuerzahler letztlich die Löcher stopft. Washington ließ Lehman Brothers aber auch deswegen leichteren Herzens im Regen stehen, weil hier vorwiegend institutionelle Anleger und weniger Privatkunden betroffen sind als etwa bei Freddie Mac und Fannie. Käme die Citigroup ins Straucheln, würde Washington wohl nicht stillhalten? Bieler: Eine Bank, die zig Kunden hat, kann der Staat nicht vor die Wand fahren lassen. Alleine schon, weil ein solcher Brocken sämtliche Sicherungssysteme sprengen und letztlich zu dem Sturm der Kunden auf die Banken führen würde, die ihre Konten auflösen wollen.

Wird die Krise das Bewusstsein für die Risiken von Spekulationen schärfen?

Bieler: Das hoffe ich. Kein Risiko verschwindet, nur weil man es drei Mal umverpackt. Hier wurden haarsträubende Fehler gemacht, der gesunde Menschenverstand völlig ausgeschaltet. Aber ich fürchte, dass das Gedächtnis der Finanzwelt allzu kurz ist. Sobald uns andere Instrumente mal wieder vier, fünf Boomjahre bescheren, guckt da niemand mehr genau drauf. Letztlich ist nur eingetreten, was wir auch Privatkunden immer vermitteln: Sehr hohe Renditen lassen sich nur mit sehr hohen Risiken erwirtschaften -- aber die können auch eintreten.

Ist ein Ende der aktuellen Krise in Sicht?

Bieler: Das wissen nur die Banken selbst, weil nur sie wissen, was sie noch an faulen Positionen im Keller haben. Bei optimistischen Aussagen wurde jüngst auch viel gelogen. Ich glaube nicht, dass wir die Krise überstanden haben. Es ist noch nicht mal sicher, dass wir den Höhepunkt der Krise hinter uns haben -- denn wer hätte vor zwei Wochen eine Pleite der Lehman Brothers vorhergesehen?

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (Das Interview führte Joachim Zießler)

 

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