Prof. Christian Tams zu Syrien, Iran, Drohnen, Atomausstieg, Walfang und Arktis-Goldrausch im Lichte des Völkerrechts
Archivmeldung vom 12.07.2013
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMit Waffenlieferungen an die syrischen Rebellen bewegt sich der Westen zumindest in einer Grauzone, meint der in Glasgow lehrende Völkerrechtler Prof. Dr. Christian J. Tams. Asymmetrische Kriege und neue Waffentechnologie erzwängen zwar den Wandel des Völkerrechtes, hebeln es aber nicht aus. Prof. Tams: "Man kommt ohne das Völkerrecht nicht aus."
Waffenlieferungen an Aufständische in einem Bürgerkrieg sind laut Völkerrecht illegal. Bricht der Westen in Syrien das Recht?
#Prof. Tams:# Die Waffenlieferungen, die die EU nach einem Beschluss von Ende Mai in den Blick nimmt, sind völkerrechtlich heikel. Die EU bewegt sich hier in einer Grauzone. Das Völkerrecht geht vom Grundsatz aus, dass in einem Bürgerkrieg, wie er in Syrien stattfindet, Rebellen nicht vom Ausland mit Waffen unterstützt werden dürfen. Anderenfalls können das Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten und das Gewaltverbot verletzt werden. Einige EU-Staaten, etwa Österreich, haben darauf hingewiesen, wie heikel entsprechende Pläne ohne die notwendige Erlaubnis des UN-Sicherheitsrates sind. Andererseits ist das Völkerrecht nicht blind gegenüber Menschenrechtsverletzungen, die möglicherweise durch Waffenlieferungen unterbunden werden können. Darauf weisen Staaten wie Großbritannien hin.
Ist der Westen doppelzüngig, wenn er Moskau die Aufrüstung Syriens vorwirft?
#Prof. Tams:# Die Befürworter von Waffenlieferungen würden eher von ausgleichender (Un-)Gerechtigkeit sprechen. Doppelzüngig würde ich das nicht nennen. Aber der Versuch, einen Ausgleich herzustellen, leidet darunter, dass das traditionelle Völkerrecht die Unterstützung von Rebellen untersagt, die Unterstützung von Regierungen dagegen zugelassen hat. Diese Unterscheidung mag sich aufweichen. Und festzuhalten bleibt, dass Waffenlieferungen an beide Seiten den Konflikt anheizen.
Deckt das Völkerrecht Sanktionen gegen den Iran, der nach eigener Aussage lediglich ein - erlaubtes - ziviles Atomprogramm verfolgt?
#Prof. Tams:# Diese Sanktionen sind - von einzelnen Ausnahmen abgesehen - weniger problematisch als etwa Waffenlieferungen an Rebellen in Syrien. Es handelt sich im Wesentlichen um das Einfrieren von Konten, Reiseverbote gegen Mitglieder des Regimes sowie ein Handelsembargo. Der Unterschied zu Syrien ist ein deutlicher, auch wenn er technisch erscheint: Sanktionen gegen Teheran sind seit 2006 vom UN-Sicherheitsrat angeordnet worden - auf Anraten der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO). Die IAEO ist dafür zuständig, die Einhaltung des Atomwaffensperrvertrages zu überprüfen. Und Teheran hat zumindest die Pflichten zur Zusammenarbeit mit der IAEO und zur Transparenz verletzt. Dies hat die IAEO festgestellt, und daraufhin hat der Sicherheitsrat das Verhalten des Irans als Bedrohung des Weltfriedens klassifiziert und Sanktionen angeordnet. Das macht völkerrechtlich einen wichtigen Unterschied.
Werden Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates entwertet, wenn sie von Staaten als Legitimation zu weitergehenden Aktionen missbraucht werden?
#Prof. Tams:# Das ist ein generelles Problem, aber ich sehe keine Entwertung. Im Iran, in Libyen, aber auch im Kosovo sah der Sicherheitsrat den Weltfrieden als bedroht an. Darauf haben sich einzelne Staaten berufen, um teilweise weitergehende Maßnahmen durchzusetzen, die der Sicherheitsrat nicht angeordnet hatte - oder bei denen es zumindest umstritten war. Das Paradebeispiel ist Libyen. 2011 hat der Sicherheitsrat auch militärische Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung zugelassen. Nach Ansicht etwa Russlands haben westliche Staaten diese Ermächtigung überdehnt, indem sie - als Haupt- oder Nebenziel - einen Regimewechsel herbeigeführt haben. Nachfolgende Resolutionen hat der Sicherheitsrat nun vorsichtiger formuliert. Diese Reaktion kann man nachvollziehen. Aber dass Resolutionen des Sicherheitsrates ausgelegt werden müssen, lässt sich nicht vermeiden - will man den Sicherheitsrat nicht ganz aus dem Prozess heraushalten.
Das Jugoslawien-Tribunal soll den Rechtsfrieden nach dem Balkan-Krieg wiederherstellen. Zeugt das Heranrücken der Balkanstaaten an die EU vom Erfolg dieser Rechtsinstanz der UNO? #Prof. Tams:# Das Jugoslawien-Tribunal ist eine faszinierende Institution, die das Völkerstrafrecht seit den 1990er-Jahren mit Leben erfüllt. Doch ihm das Heranrücken der Balkan-Staaten an Europa zuzurechnen, wäre wohl eine zu positive Lesart. Ich vermute eher, dass Serbien und Kroatien sich mit dem Jugoslawien-Tribunal abgefunden haben, um näher an die EU heranzurücken. Angesichts der immer noch mächtigen ethnisch-kulturellen Trennlinien zwischen den einstigen Kriegsgegnern kann man nur hoffen, dass das Tribunal die Grundlagen für eine spätere Versöhnung gelegt hat.
Bedarf das Völkerrecht mit seiner klaren Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kombattanten angesichts der steigenden Zahl asymmetrischer Konflikte einer Überarbeitung?
#Prof. Tams:# Der Anpassung bedarf es bestimmt, aber diese ist ein stetiger Prozess. Unrealistisch ist es, zu erwarten, dass man hier zügig zu einer klaren neuen Regelung kommt - einfach, weil die Probleme tatsächlich schwer zu lösen sind: wer etwa ist Kombattant, wer Kämpfer in Konflikten zwischen Rebellen und Armeen? Das Internationale Rote Kreuz hat jüngst eine Studie zur unmittelbaren Teilnahme an Kampfhandlungen vorgelegt, die bei der Abgrenzung in asymmetrischen Konflikten helfen kann.
Beim ersten deutschen Staatsbürger, der durch einen Drohnenangriff getötet wurde, ermittelte die Bundesanwaltschaft drei Jahre lang, ob er als Kämpfer oder als Zivilist im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet unterwegs war. Werden die Grauzonen zu groß?
#Prof. Tams:# Die Gefahr, dass Zivilisten zu leichtfertig zu Kämpfern deklariert werden, besteht. Aber es gibt keine Alternative dazu, in jedem Einzelfall oft nur anhand vager Kriterien zu entscheiden. Das ist der Grund, warum asymmetrische Konflikte, neben moderner Waffentechnologie, eine der großen Herausforderungen für das humanitäre Völkerrecht sind.
Bedarf das Völkerrecht der Ergänzung angesichts zunehmender Mechanisierung des Krieges durch Drohnen und Kampfroboter, die theoretisch mit Software versehen werden kann, die autonom entscheidet, wer getötet wird und wer nicht?
#Prof Tams:# Was Drohnen angeht, ist es wohl schon zu spät, rechtliche Verbote einzuführen. Hier muss man die bestehenden Regeln, so gut es geht, anwenden. Bei Kampf-Robotern könnte man etwa an einen völkerrechtlichen Vertrag denken, durch den sich Staaten auf ein Moratorium oder ein Verbot verpflichten. Die Vorstellung, zentrale Entscheidungen - etwa die Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kombattanten - könnten auf Roboter verlagert werden, ist ja beängstigend. Politische Kampagnen zur Ächtung von Kampfrobotern haben begonnen, aber ein völkerrechtlicher Vertrag muss schlussendlich von Staaten ausverhandelt und abgeschlossen werden. Allzu viel Hoffnung auf ein umfassendes Verbot habe ich nicht.
Vattenfall wehrt sich in einem internationalen Schiedsverfahren gegen den Atomausstieg. Bei einem Kohlekraftwerk hatte der Konzern zumindest einen Teilerfolg erzielt. Höhlt internationales Recht nationale Souveränität aus?
#Prof. Tams:# Das ist eine Frage der Perspektive. In der Tat kam es im Falle des Kohlekraftwerkes Moorburg vor einem internationalen Investitionsschiedsgericht zu einem Vergleich, nachdem Vattenfall vor deutschen Gerichten unterlegen war. Ist das problematisch? Als Völkerrechtler antworte ich: So ist es im Investitionsrecht angelegt. Deutschland hat mit 130 Staaten bilaterale Verträge über Investitionsschutz geschlossen - und dabei über 50 Jahre wohl weitgehend deutsche Investoren im Blick gehabt, die im Ausland gegen Willkür geschützt werden sollten. Dass jetzt ausländische Investoren gegen Deutschland klagen, zeigt, dass Investitionsschutzrecht keine Einbahnstraße ist: das Pendel schlägt zurück. Das ist als solches auch nicht problematisch. Zu klären bleibt, ob das Investitionsschutzrecht etwa Umweltschutz zu klein schreibt. Wer dies denkt, muss (und kann) in zukünftigen Investitionsschutzverträgen Umweltaspekte stärker betonen. Es geht aber beim jetzigen Vattenfall-Verfahren nicht um den Atomausstieg oder Umweltschutz als solchen, sondern um das Hin und Her, um fehlende Transparenz beim Regierungshandeln.
Seit 1986 ist der kommerzielle Walfang verboten. Japan hängte ihm daraufhin das Tarnmäntelchen "wissenschaftliche Gründe" um. Versagt das Völkerrecht beim Schutz von Allgemeingut?
#Prof. Tams:# Das Völkerrecht bildet ab, dass nicht die ganze internationale Gemeinschaft den Schutz der Wale als Allgemeingut bewertet. Japan ist zwar bisher damit gescheitert, das Verbot des kommerziellen Walfangs aufzuweichen. Aber dass Wale zu wissenschaftlichen Zwecken gejagt werden dürfen, ist allgemein anerkannt. Jetzt muss der Internationale Gerichtshof klären, ob Japan diese Ausnahme überdehnt hat. Dass dies in einem Gerichtsverfahren auf Grundlage des Rechts geschieht, ist doch zu begrüßen.
Welche Chancen bestehen, den zu erwartenden Wettlauf um die Ressourcen unter dem schmelzenden arktischen Meereis durch Verträge zu regeln? #Prof. Tams:# Es gibt durchaus Chancen. Denn alle Staaten sind sich einig, dass das UN-Seerechtsabkommen von 1982 die Spielregeln des "Wettlaufs" bestimmt. Es regelt, wann und in welchem Verfahren Staaten Ansprüche geltend machen können. Auch bietet der Arktische Rat einen institutionellen Rahmen. Mit Wettläufen um Kolonien des 19. Jahrhunderts ist dies alles nicht zu vergleichen. Trotz aller politischen Leidenschaften in dieser Frage sind die Chancen einer Verständigung groß.
Schottland diskutiert gerade leidenschaftlich, seine Erdölmillionen lieber selbst auszugeben, statt sie nach London zu transferieren. Zerstört das Selbstbestimmungsrecht der Völker alte Nationalstaaten?
#Prof. Tams:# Es gibt immer wieder Bestrebungen, Nationalstaaten aufzubrechen, ob in Schottland, Katalonien oder Quebec. Die Debatte in Schottland ist weit vorangeschritten, weil die Schotten im September 2014 in einem Referendum über ihre Unabhängigkeit abstimmen werden. Aus schottischer Sicht handelt es sich hierbei aber nicht um die Zerstörung eines Nationalstaates, sondern um die Rückkehr zum schottischen Staat, den es bis 1707 gab. Generell gilt: Staaten sind kein Selbstzweck. Entscheidend ist, wie um Unabhängigkeit gerungen wird. Und in dieser Hinsicht ist der schottische Prozess mustergültig: es gibt ein Referendum; der Rest Großbritanniens wird das Ergebnis respektieren; gewaltsame Lösungen werden ausgeschlossen. Das ist - unabhängig vom Ausgang - ein Lehrstück zur vernünftigen Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes.
Spielt der Sicherheitsrat nicht mit, führen die Jagd nach imaginären Chemiewaffen oder Flugverbotszonen zum angestrebten Ziel. Ist der Traum von 1919, von einer zivilisierenden und pazifizierenden Wirkung des Völkerrechts ausgeträumt?
#Prof. Tams:# Der Traum ist alles andere als ausgeträumt. Das Völkerrecht ist nicht perfekt. Manchmal ist es zynisch, manchmal hilft es weniger, als wir es uns wünschen. Aber die Frage ist doch: Leistet es einen positiven Beitrag, hilft es uns, auf eine gerechtere Welt hinzuarbeiten? Und andersherum gewendet: Was, wenn nicht das Völkerrecht, kann denn Grundlage sein für eine gerechte Ordnung der Welt? Wollen wir auf die Wirkung des Rechtes verzichten, Konflikte zu schlichten? Man kommt ohne das Völkerrecht nicht aus. Wir dürfen es nicht mit Hoffnungen überfrachten. Aber wir tun gut daran, mit ihm und an ihm zu arbeiten.
Das Interview führte Joachim Zießler
Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots)