Nach Aufruf zur Friedensstiftung: Ukrainisches Portal Mirotworez setzt 12-Jährige auf Abschussliste
Archivmeldung vom 20.10.2021
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 20.10.2021 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Sanjo BabićDer ukrainische Internetpranger Mirotworez hat eine 12-Jährige aus Lugansk in seine Datenbank aufgenommen. Das Mädchen richtete einen Aufruf zur Friedensstiftung im Südosten der Ukraine an die UN. Die Kinder des Donbass müssten bereits seit einigen Jahren unter Bedingungen des Krieges leben, beklagte es. Dies berichtet das Magazin "RT DE".
Weiter berichtet RT DE: "Der ukrainische Internetpranger Mirotworez überschlägt sich in den
Bemühungen, seine selbst aufgestellten Rekorde zu schlagen, bei denen
immer jüngere Menschen einen Eintrag in seinen Datenbanken bekommen.
Zuvor waren die Jüngsten zwei Jugendliche. Eine davon war die 15-jährige
Jelisaweta Leonenko aus Kiew, die im Februar 2021 auf TikTok zwei
Videoansprachen an Kommentatoren ihrer anderen Videos richtete. Diese
hatten sie für die Nutzung der russischen statt der ukrainischen Sprache
kritisiert. Die Kritik schmetterte
sie unter Bezugnahme auf die überwiegend mehrheitliche Nutzung des
Russischen in ihrer Heimatstadt Kiew und auf ihre eigenen persönlichen
Sprachpräferenzen forsch ab.
Am 17. Februar veröffentlichte Igor Kolesnik, ein Generaloberst der ukrainischen Streitkräfte im Ruhestand, das genannte Video (inzwischen gelöscht oder verborgen; keine Reservekopie auf einschlägigen Archivseiten vorhanden) auf seinem Facebook-Profil. Viele Nutzer forderten daraufhin die Veröffentlichung der Wohnadresse des Mädchens – zwecks Maßnahmen zur "Umerziehung" – beziehungsweise die ihrer Eltern – zwecks "eingehender Gespräche".
So geschah es dann einen Tag später. Am 18. Februar bekam Lisa Leonenko einen Eintrag auf Mirotworez, schrieb das Online-Nachrichtenportal Focus.ua. Zur Last gelegt wird ihr laut dem Eintrag "Mutwillige Teilnahme an einem Informations-Sondereinsatz" Russlands gegen die Ukraine. Sie wird ferner als Opfer "psychologischer Gewalt und russisch-terroristischer Propaganda" charakterisiert.
Daraufhin veröffentlichte die junge Kiewerin laut Focus.ua ein weiteres Video (mittlerweile ebenfalls nicht mehr verfügbar) auf TikTok – diesmal mit einer Entschuldigung.
Der zweite bisherige rekordhaltende Eintrag gilt Jaroslaw Melnitschenko, einem 15-Jährigen aus Donezk. Er wurde allem Anschein nach auf Mirotworez erfasst, weil er Kursteilnehmer beim militärpatriotischen (Sport-)Klub Witjas sei, schrieb die Onlinezeitung Vesti.ua Ende August 2021.
Doch nun hat Mirotworez diesen zweifelhaften Doppelrekord gebrochen.
Faina
Sawenkówa, eine 12 Jahre junge Schülerin und angehende Schriftstellerin
sowie Dramaturgin aus Lugansk, hatte Ende Mai eine Videobotschaft an
den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gerichtet, in der sie ihn zu
bedenken bittet, dass die Kinder des Donbass im Südosten der Ukraine
schon sieben Jahre unter Bedingungen des Krieges leben. Die Ukraine sei
es gewesen, die den Krieg begonnen habe. Der erste stellvertretende
ständige Vertreter der Russischen Föderation bei der UN, Dmitri
Poljanski, hatte diese Botschaft in seinem persönlichen Telegram-Blog
"UN und nicht nur: Ein Blick aus New York" veröffentlicht.
Nach Angaben des Online-Nachrichtenportals Strana.ua wurden Betreiber von Mirotworez selbst oder aber dessen Sache sympathisierende Aktivisten nun auf das Kind aufmerksam. Faina ist damit die bisher jüngste Person, die dort eines Eintrags gewürdigt wurde – samt Namen, Alter und Adresse.
Der Text im Datensatz lautet wie folgt (Kursiv von RT; Ausdrücke, Nexus, Hervorhebungen und Rechtschreibung aus Original beibehalten, falls nicht anders angegeben):
"Opfer psychologischer Gewalt und russisch-terroristischer Propaganda. Teilnahme an antiukrainischen Propagandaveranstaltungen. Nennt sich einen Prosaautoren, Dramaturgen und PHANTASTEN. Verbreitet in Wirklichkeit Fake-Information und eigene Spekulationen. Mitglied der sogenannten 'Schriftstellerunion der LNR (im Original kleingeschrieben. Anm. d. Red.)'. Nahm an verschiedentliche[ Schriftstellerwettbewerben in der RF (im Original kleingeschrieben. Anm. d. Red.) teil. Gibt den Wohnort 'Noworossija (im Original kleingeschrieben. Anm. d. Red.)' an."
Was sich wie die von einem nicht gänzlich zurechnungsfähigen, von maniakalischer Russophobie besessenen Texter entworfene Beschreibung einer Endgegnerfigur für ein trashiges Computerspiel liest, bei dessen Entwicklung auch Lektoren gänzlich eingespart wurden, könnte dem Mädchen zum Verhängnis werden. Mehrere Kritiker der aktuellen Politik der ukrainischen Regierung fanden sich zuerst in der Datenbank des Internetprangers und im Anschluss innerhalb nur kurzer Zeit im Jenseits wieder. Dazu gehört der ukrainische Patriot, Buchautor und Journalist Oles Busyna, der den Maidan kritisierte und kurz nach seiner Aufnahme in die Datenbank am 16. April 2015 in Kiew auf der Straße niedergeschossen wurde. Ähnlich erging es dem Oppositionspolitiker und früheren Rada-Abgeordneten der Partei der Regionen Oleg Kalaschnikow.
Die Videobotschaft des Mädchens (Anfang Juni 2021 auch auf YouTube mit englischen Untertiteln veröffentlicht) lautet wie folgt:
"Ich heiße Faina Sawenkówa und bin angehende Schriftstellerin und Dramaturgin. Ich lebe in Lugansk und unterscheide mich wohl kaum von der Mehrheit anderer Kinder. Doch es hat sich so ergeben, dass ich seit sieben Jahren im Krieg lebe. Im Jahr 2014 haben ukrainische Flugzeuge meine Heimatstadt angegriffen. Sie haben Bomben auf unsere Häuser abgeworfen und uns beschossen. Dabei starben viele Erwachsene und Kinder. Erwachsene waren gezwungen, zu den Waffen zu greifen, um unsere Leben zu verteidigen. In unserer Stadt steht ein Denkmal für Kinder, die im Laufe dieses Krieges ums Leben kamen.
Für viele Länder der Welt ist der Weltkindertag einfach ein Feiertag mit reichlich Luftballons und unbesorgtem Vergnügen. Doch für den Donbass ist es ein Tag des Schmerzes mit Trauerveranstaltungen an diesem Denkmal. Ich wünsche mir, dass Sie sich an das Lächeln Ihrer Kinder erinnern."
Und ich will Ihnen sagen, dass auch wir lächeln wollen, glücklich sein wollen, unsere Zukunft frei wählen wollen – und einfach nur leben wollen. Und dafür muss der Krieg beendet werden. Ich will, dass man bei den Vereinten Nationen nicht vergisst, dass auch wir, Kinder des Donbass, das Recht auf die Kindheit und ein friedliches Leben haben."
Faina Sawenkówa schreibt in unterschiedlichen Gattungen: Erzählungen, Essays, Theaterstücke und Drehbücher. Ihre Werke wurden von einigen erwachsenen Schriftstellern wahrgenommen, die an Literaturwettbewerben sowohl in den beiden Volksrepubliken Donezk und Lugansk als auch in Russland als Teil der Jury oder anderweitig teilnehmen, macht der russische TV-Sender mit militärischem Schwerpunkt Swesda sein Publikum aufmerksam. In Ko-Autorenschaft mit dem Moskauer Schriftsteller Alexander Kontorowitsch brachte sie den Roman "Die hinter deiner Schulter Stehenden" heraus. Ein deutlich vollständigeres Werksverzeichnis nebst weiteren Informationen findet sich hier.
Die Wahrheit aus dem Kindermund und "widerwärtiges Gekränktsein"
Rodion Miroschnik, Vertreter der Volksrepublik Lugansk in der politischen Untergruppe der OSZE-Kontaktgruppe zur Beilegung des Konflikts im Donbass, hatte gegenüber Swesda folgende Wertung bezüglich des Mirotworez-Eintrags des Mädchens abzugeben: "Dieser Schritt seitens der Ukraine zeugt von einem widerwärtigen, niederträchtigen Gekränktsein – Gekränktsein von der Wahrheit, die ein Kind ausspricht und schreibt: Nämlich dass Altersgenossen des Mädchens schon ihr halbes Leben in einem Zustand leben, in dem möglicherweise [sowjetische] Kinder zu Beginn des Großen Vaterländischen Krieges im Jahr 1941 leben mussten. Nämlich, dass ihre Altersgenossen bereits wissen, was Beschüsse sind, und wie es ist, in Kellern Schutz zu suchen. Auch sind sie leider unter den ums Leben Gekommenen vertreten – [und mit ihren Namen] auf der Allee der Engel (Gedenkinstallation in Donezk mit Namen der im Konflikt im Donbass getöteten Kinder. Anm. der Red.)"
Die Ukraine durchschlage mit der Entscheidung, eine Seite wie Mirotworez nicht zu schließen, ohnehin schon täglich "den Boden zu immer weiteren Untergeschossen des Niveaukellers", so Miroschnik weiter. Diese Niedertracht führe sie schnurstracks "in die Abfallgrube". Natürlich sei es für die ukrainische Führungselite nicht angenehm, die Wahrheit wie die von Faina dargelegte über sich selbst zu vernehmen. Doch ein Kind in eine "Infomüllhalde" wie Mirotworez einzutragen, im Wesentlichen 12-jährigen Kindern explizit den Krieg dafür zu erklären, wie sie denken und was sie mit eigenen Augen gesehen haben, zeugt von einer "Niedertracht, die für keinen Staat verzeihlich ist, der sich für einen solchen hält".
Kläglich gescheiterter Versuch der Schadensbegrenzung am ukrainischen Image durch den SBU
Darauf, dass diese Eintragung keineswegs zufällig sein kann, macht der von russischen Medien recht oft konsultierte Politologe Dmitri Rodionow gegenüber life.ru aufmerksam:
Eine Sache sei es, wenn Nachrichten über Kriegsverbrechen der ukrainischen bewaffneten Formierungen gegen Zivilisten, vor allem Kinder, über Journalisten, die Sprecherin des russischen Außenamtes Maria Sacharowa, einen Vertreter einer der beiden Volksrepubliken Donezk oder Lugansk bei der OSZE wie Rodion Miroschnik oder wen auch immer an die Öffentlichkeit herangetragen werden. Das würde weder in Kiew noch im Westen niemand hören, weil es sofort als Propaganda abgetan wird.
"Und eine ganz andere Wirkung hat es, wenn ein Kind dies berichtet. Es bleibt [Kiew] überlassen, irgendetwas von wegen 'Opfer psychologischer Gewalt' daherzumaulen, zu versuchen, diese Stimme der Wahrheit aus einem Kindermund verstummen zu lassen. Doch das ist viel schwerer, wenn diese Stimme nicht aus irgendeinem zerbombten Haus in Lugansk erklingt, sondern von einer UN-Tribüne."
Somit ist klar, dass selbst wenn der eine oder andere Eintrag auf Mirotworez zufällig entstanden sein mag (es reicht bereits, sogar zufällig oder unbedacht etwa die Frage, wem die Krim gehört, "falsch" zu beantworten), es in diesem Fall anders sein muss. Angesichts möglicher Konsequenzen eines wie auch immer gearteten Auftritts Sawenkówas auf einer UN-Tribüne für die Ukraine müssen wirklich Versuche seitens der Eliten in Kiew befürchtet werden, das Schweigen des Kindes zu kaufen, herbeizunötigen, Faina mundtot zu machen – oder eben zu töten, durch gezielten Mordanschlag oder aber mithilfe "ungezielter" Beschüsse ihrer Wohngegend.
Die Verbindungen von Mirotworez zum ukrainischen Geheimdienst SBU können nicht geleugnet werden. Wir erinnern uns: Die Internetseite wurde im Jahr 2014 auf Initiative von Anton Geraschtschenko, Berater des ukrainischen Innenministers Arsen Awakow, eingerichtet. Als Partner wurden auf der Internetseite zudem bis zum 13. Mai 2016 auch der Geheimdienst SBU und weitere Sicherheitsstrukturen des Landes gelistet. Ob die anschließende Entfernung der Sicherheitsdienste aus der Partnerliste als Aufkündigung der Partnerschaft verstanden werden sollte, ist angesichts des Standes der Dinge mehr als zweifelhaft. Die beiden des Mordes an Oles Busyna dringend verdächtigten Andrei Medwedko und Denis Polischtschuk sind längst auf freiem Fuß, obwohl keine abschließende Ermittlung stattgefunden hat. Die Absicht, eine solche Ermittlung wiederaufzunehmen, lassen die ukrainische Polizei und Staatsanwaltschaft nach wie vor nicht erkennen.
"Das ist eine Ehrerweisung"
Für Faina Sawenkówa selbst ist die Tatsache, dass ihre Privatdaten, vor allem die Wohnadresse, auf der Internet-Abschussliste des SBU gelandet sind, einerseits verständlicherweise "unangenehm". Doch andererseits, so kommentierte die junge Wortkünstlerin souverän gegenüber Swesda, ist es auch "eine Ehrerweisung, denn da sind viele bekannte Menschen – Schriftsteller, aber nicht nur" –, auch wenn Faina selbst eigentlich "nichts dafür getan" habe.
In einem am 18. Oktober veröffentlichten Gespräch mit der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti wandte sich das Mädchen an den Präsidenen der Ukraine Wladimir Selenskij mit der Bitte, den Internetpranger "Mirotworez" zu schließen, "um den Krieg schneller zu beenden":
"Ich will, dass es nicht nur bei uns, in unserer Region, keinen Krieg gibt – sondern dass es ihn nirgendo und niemals wieder gibt."
Quelle: RT DE