Westliche China-Politik von Naivität geprägt
Archivmeldung vom 10.04.2008
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 10.04.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNach Analysen des Schweizer Sinologen Professor Harro von Senger sind die Reaktionen des Westens auf die Tibet-Krise von Naivität und Unwissen geprägt. „Aus Pekinger Sicht blickt wegen der Menschenrechte oder der Tibet-Frage nicht ‚die Welt’, sondern nur ein recht kleiner Teil der Welt, nämlich die – global gesehen - wenigen westlichen Länder nach China.
Diese kleine Minderheit repräsentiert nach chinesischer Auffassung nicht ‚die Welt’“, so von Senger im Interview mit dem Onlinemagazin NeueNachricht. Mit Boykottmaßnahmen und Protesten könne man gegen die Bastion der Länder des Südens, die in der Regel auf der Seite der Volksrepublik China stehen, nichts ausrichten“. Sein Buch „Supraplanung“ (Hanser Verlag) ist gerade erschienen und dürfte sich besonders für westliche Politiker als nützliche Nachhilfe-Lektüre im Umgang mit dem Reich der Mitte eignen. „Welche Rolle das Gesetzesrecht in der Volksrepublik China spielt und welchen Stellenwert es in diesem Land hat, stelle ich in ‚Supraplanung’ deutlich dar. Wenn man die Verfassungsartikel zur Kenntnis nehmen und in ihrer vollen Tragweite begreifen würde, dann würde vieles, was in der politischen Tagespraxis geschieht, durchschaubar und leicht vorhersehbar werden. Aber leider werden offizielle Dokumente der Volksrepublik China im Westen regelrecht boykottiert und planmäßig nicht gelesen oder mit einem Lacher abgetan. In Europa scheint man zu meinen, Hintergrundwissen über die Volksrepublik China sei überflüssig, es genüge, von Fall zu Fall die Tagesereignisse zu verfolgen und mit westlichen Alltagswissen ad hoc zu reagieren“, sagt von Senger.
In seinem Opus „Supraplanung“ legt er fundiert dar, wie nachhaltig und
langfristig der Sinomarxismus von der kommunistischen Partei in China
vertreten wird. Von Verhüllungsrhetorik oder Verschleierung könne nicht
die Rede sein. Jeder, der sich die Mühe mache, die Satzungen der
Kommunistischen Partei Chinas vom 14. November 2002 und vom 21. Oktober
2007 zu lesen, werde auf den folgenden in beiden Satzungen
übereinstimmenden Passus stoßen: „China befindet sich jetzt im
Anfangsstadium des Sozialismus und wird sich über eine längere Zeit in
diesem Stadium befinden. Das ist ein unüberschreitbares Stadium bei der
Modernisierung im wirtschaftlich und kulturell rückständigen China, das
mehr als 100 Jahre in Anspruch nehmen wird....Das höchste Ideal und das
endgültige Ziel der Partei ist die Verwirklichung des Kommunismus“. In
Anlehnung an Gottfried Wilhelm Leibniz plädiert von Senger dafür, dass
die europäische Belehrungsgesellschaft sich in eine Lerngesellschaft im
Verhältnis zu China wandeln sollte. Das Abendland müsse den tief
verwurzelten Kulturhochmut ablegen und sich darum bemühen, das amtliche
Denken in der Volksrepublik China, insbesondere das Bezugssystem der
Kommunistischen Partei Chinas von innen heraus besser zu verstehen.
„Die Passagiere des Luxusdampfers Europa kommen wohl nicht darum herum,
sehr vieles, nicht zuletzt die chinesische Sprache, zu erlernen, wollen
sie verstehen, was im Reich der Mitte vor sich geht“, schreibt der
Sinologie-Professor der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität . Europa
sei nach der chinesischen Strategemkunde eine leichte Beute und eine
optimale Spielwiese für die Anwendung des Strategems Nummer 33: Das
Strategem des Zwietrachtsäens. Als Beispiel führt von Senger den
Dalai-Lama-Besuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel an, der dazu
führte, dass Chinas Führer reihenweise Termine mit Deutschen absagten.
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy wurde demgegenüber höchst
freundlich empfangen und mit Aufträgen in Höhe von 20 Milliarden Euro
überschüttet.
Die Listenblindheit im Umgang mit China ist nach Erfahrungen des Düsseldorfer Emerging Market-Experten Jörg Peisert
auch bei europäischen Managern und Wissenschaftlern sehr ausgeprägt.
„Wir betrachten China nur als Billiglohn-Land und wollen die schnelle
Rendite erwirtschaften. Das ist für die langfristige
Wettbewerbsfähigkeit des Westens sehr gefährlich. Der Technologieimport
ist für China nur ein Instrument für Neuschöpfungen, um autark zu
werden. Aus Importen werden langfristig Exporte angestrebt. Wir machen
es der Kommunistischen Partei in China zu einfach, uns an die Wand zu
drücken“, warnt Peisert.
Professor von Senger empfiehlt den Europäern, den Rat von Jesus zu folgen: „Seid klug wie die Schlangen und sanft wie die Tauben“ (Matthäus 10, 16). „In der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts sollte der verborgene Schatz, der in dem bei uns unbekannten Ausspruch Jesu ruht, gehoben werden. Unter völligem Verzicht auf ethisch abgestützte und mit Augenmaß eingesetzte Schlangenklugheit dürfte der europäische Marsch durch das 21. Jahrhundert schwierig werden“. Es sei unverzichtbar, sich ein optimales Listwissen anzueignen. Im politischen und wirtschaftlichen Wettbewerb unterliege die Listenblindheit der Listkompetenz. Das gelte für Politiker und Unternehmer.
Quelle: medienbüro.sohn