Fall Nawalny und Feindbild Russland: Gabriele Krone-Schmalz vermisst eine neutrale Einschätzung
Archivmeldung vom 18.03.2021
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Freigeschaltet durch Anja SchmittNach wie vor wird in den deutschen Medien das „Feindbild Russland“ aufgebaut und viele Medien leisten ihren Beitrag dazu, sagt die ehemalige Russland-Korrespondentin der ARD Gabriele Krone-Schmalz. Auch in der Berichterstattung über den Fall Nawalny vermisst sie eine neutrale, ausgewogene Einschätzung. Dies berichtet das russische online Magazin „SNA News“ .
Weiter heißt es diesbezüglich auf deren deutschen Webseite: "Mit ihren viel beachteten Publikationen wie „Russland verstehen – Der Kampf um die Ukraine und die Arroganz des Westens“ und „Eiszeit – Wie Russland dämonisiert wird und warum das so gefährlich ist“ hat sich Gabriele Krone-Schmalz einen Namen als jemand gemacht, der sich für gegenseitigen Respekt, Verständnis und Dialog zwischen Russland und dem Westen einsetzt. Die ehemalige Russland-Korrespondentin der ARD scheut nicht davor zurück, vom politisch opportunen Narrativ abzuweichen und den Finger in die Wunde zu legen.
In einem aktuellen Interview mit den „Nachdenkseiten“ spricht die Journalistin und Buchautorin unter anderem auch über den Umgang mit dem Fall des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny.
Eingangs stellt Krone-Schmalz fest, dass sich an dem „Feindbild Russland“, das in den letzten Jahren beständig in Deutschland und dem Westen aufgebaut wurde, nichts verändert hat. Einen großen Beitrag würden dazu die Medien leisten. Viel zu viele Journalisten würden sich offenbar dazu berufen fühlen, ihre Leser auf den „richtigen“ Weg zu führen. Das sei aber nicht ihre Aufgabe, so Krone-Schmalz.
„Wir sind keine neutralen Maschinen, das geht auch gar nicht, aber zum Qualitätsjournalismus gehört auf jeden Fall, sich losgelöst vom eigenen Kosmos in die Lage derer zu versetzen, über deren Lebensrealität man berichtet und all diese Facetten offen auszubreiten. Schlicht und einfach deshalb, damit der Mediennutzer besser versteht, was da woanders vor sich geht. Auf dieser Grundlage kann er sich seine eigene Meinung bilden und die muss nicht unbedingt mit der des Journalisten übereinstimmen.“
Manipulative Sprache der Medien
In all ihren Büchern zu Russland habe sie über Doppelstandards berichtet, und im Grunde vergehe kein Tag, an dem sich nicht mindestens ein Beispiel dafür finden lasse. Das beginne schon bei der Sprache, wenn die Medien schreiben, Putin „feilsche“ mit anderen Politikern, statt, dass er verhandle. Vor diesem Hintergrund sei es schwer, den Mediennutzern einen Rat zu geben, wie sie mit der Berichterstattung zu Russland umgehen sollten.
„Bei Mediennutzern sollten auf jeden Fall alle Alarmglocken läuten, wenn sie feststellen, dass jemand nur moralisch argumentiert. Moral ist wichtig, keine Frage, taugt aber nicht als alleiniger Maßstab für die politische Analyse.“
Darüber hinaus sei es hilfreich, russische Sichtweisen unvoreingenommen zur Kenntnis zu nehmen, und dann erst zu entscheiden, ob es sich um Propaganda, nachvollziehbare Argumentationen oder auch ein bisschen von beidem handle, so die erfahrene Russland-Korrespondentin.
Nawalny und Kashoggi – die Doppelstandards des Westens
Der Fall des inhaftierten Kreml-kritikers Nawalny sei für all diejenigen, die Russland für das Reich des Bösen halten, ein willkommener Anlass, ihre Konfrontationspolitik zu rechtfertigen, attestiert Krone-Schmalz. So verabscheuungswürdig das Verbrechen an Nawalny auch sei, so problematisch sei eine allzu naive Vermischung von moralischer Empörung und Außenpolitik.
„Nicht zuletzt deshalb, weil diese Vermischung mit Blick auf andere Staaten ganz selbstverständlich nicht stattfindet. Im Fall Nawalny können die Sanktionen nach Ansicht führender westlicher Politiker gar nicht hart genug sein. Im Fall Kashoggi waren Sanktionen aus geopolitischen Gründen – Moral hin oder her – nicht opportun.“
Es sei schwierig, die Persönlichkeit Nwalnys in ein paar Sätzen gerecht zu werden, antwortet die Russland-Expertin auf die Frage, was es mit ihm auf sich habe. Unbestritten habe er sich im Kampf gegen Korruption verdient gemacht und habe Mut und Charisma. Unbestritten seien aber auch seine grenzwertigen rassistischen Aussagen und seine Aufrufe zur Gewalt, etwa gegen Kaukasier. Selbst wenn Nawalny sich in der jüngsten Vergangenheit von derlei Äußerungen distanziert habe, sei es schon erstaunlich, dass sie bei der Beurteilung seiner Person inzwischen überhaupt keine Rolle mehr spielten.
Unzufriedenheit statt Führungsfigur
„Es ist zudem an der Zeit, mit einem großen Missverständnis aufzuräumen. Nawalny und seine erneute Verhaftung bzw. Verurteilung waren sicherlich der Auslöser für die großen Demonstrationen in Russland, aber der Kern besteht nicht in einer Solidarisierung mit Nawalny, sondern hat mit einer latenten Unzufriedenheit mit den Lebensbedingungen zu tun“, stellt Krone-Schmalz klar.
„Beim oppositionellen Fernsehsender Dodschd, der von diesen Demonstrationen live und ausführlich berichtet hat, kamen immer wieder Menschen zu Wort, die ausdrücklich keine Anhänger Nawalnys waren. Und auch wenn Nawalny gerade unter jungen Russen viele Anhänger besitzt, so hat eine Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstituts Lewada ergeben, dass nur zwei Prozent der Wahlberechtigten für ihn als neuen russischen Präsidenten stimmen würden.“
Das alles mindere nicht die Empörung, die angesichts der erneuten Verurteilung Nawalnys entstanden sei, aber helfe dabei, die tatsächliche politische Bedeutung Nawalnys in Russland besser einzuordnen.
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Quelle: SNA News (Deutschland)