Barroso droht Janukowitsch mit "ernsten Konsequenzen"
Archivmeldung vom 23.01.2014
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtEU-Kommissionspräsident Barroso hat der ukrainischen Führung mit Konsequenzen für den Fall gedroht, dass die Gewalt gegen Demonstranten weitergehe: "Wenn es keine Veränderung in Fragen der Menschen- und Bürgerrechte gibt, wenn die Polizeigewalt gegen Demonstranten nicht aufhört, wird das ernste Konsequenzen für die Beziehungen der Ukraine zur EU haben", sagte Kommissionspräsident José Manuel Barroso der "Welt".
Das habe er "in der schärfstmöglichen Formulierung" auch Präsident Viktor Janukowitsch in einem Telefonat am Donnerstag mitgeteilt. "Gewalt ist keine Lösung für die politische Situation der Ukraine", sagte Barroso weiter. Die EU verlangt laut Barroso von Janukowitsch "Gespräche mit der Opposition ohne Vorbedingungen". Janukowitsch habe zugesagt, die Oppositionsführung zu treffen. Barroso kündigte im Gespräch mit der "Welt" auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos eine diplomatische Offensive der EU an.
Zu möglichen Sanktionen gegen die Ukraine wollte sich Barroso zum jetzigen Zeitpunkt nicht äußern. Zunächst wolle die EU versuchen, einen Dialog zwischen Regierung und Opposition in Gang zu setzen. "Wir wollen Raum für Dialog schaffen, wir wollen Frieden in diesem Land", sagte Barroso der "Welt". Er habe Präsident Janukowitsch gebeten, Erweiterungskommissar Stefan Füle und die Hohe Vertreterin der EU für Außenbeziehungen, Catherine Ashton, zu empfangen. "Das hat er zugesagt, beide seien ihm willkommen."
Füle wird am Freitag nach Kiew reisen, Lady Ashton in der kommenden Woche. Beide sollen Janukowitsch das Zugeständnis abringen, Bürgerrechte zu achten: "Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, unsere europäischen Werte, müssen garantiert sein", sagte Barroso der "Welt".
EU-Parlamentspräsident Schulz: Sanktionen gegen Kiew möglich
Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), hält angesichts der andauernden Gewalt in der ukrainischen Hauptstadt Kiew EU-Sanktionen gegen die Regierung des Landes für möglich. "Wenn die Gewalt nicht gestoppt wird und wenn die Regierung weiterhin auf Gewalt setzt, dann wird man ihr sagen müssen, das hat Auswirkungen bis hin zu Kontensperrungen oder Visa-Restriktionen", sagte Schulz am Donnerstag im "Deutschlandfunk".
Der EU-Parlamentspräsident rate auf der anderen Seite aber auch dazu, die Tür zur EU für die Ukraine nicht zuzuschlagen. Damit würde die EU "der Opposition in den Rücken" fallen, so Schulz. Er rate deshalb "dringend dazu", über Maßnahmen nachzudenken, gleichzeitig aber auch den Dialog mit der ukrainischen Regierung weiter fortzusetzen.
SPD-Fraktionsvize hält Sanktionen gegen Ukraine nicht für angebracht
Der Vize-Vorsitzende der SPD-Bundestagfraktion, Rolf Mützenich, hält Sanktionen gegen die Ukraine derzeit nicht für angebracht. "Bevor man über Sanktionen redet, sollten wir erst mal alles für die Beruhigung der Lage tun. Über alles andere muss man unter den europäischen Partnern reden und einen Konsens finden", sagte Mützenich "Handelsblatt-Online".
Die Grünen zeigten sich hingegen offen für Sanktionen. Präsident Viktor Janukowitsch müsse "endlich bereit sein, ernsthafte Verhandlungen mit der Opposition zu führen", sagte der Vize-Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Frithjof Schmidt. Die EU sollte einen solchen Weg unterstützen, notfalls auch, indem sie Druck auf die Machthaber ausübe. "Dafür können gezielte Sanktionen, die sich insbesondere gegen Personen des Janukowitsch-Clans richten, ein wichtiges Mittel sein", sagte der Grünen-Politiker.
Aus Mützenichs Sicht kommt es nun darauf an, in den kommenden Stunden alle Anstrengungen darauf zu richten, gewaltfreie und konstruktive Rahmenbedingungen für eine politische Bearbeitung der Krise zu schaffen. "Drohungen, Ultimaten und Gesetze, die friedliche Proteste behindern, schaffen das Gegenteil", fügte er hinzu. "Die Europäische Union, aber auch Russland müssen Präsident Janukowitsch klarmachen, dass er und seine Regierung die politische und moralische Verantwortung dafür tragen, dass eine innenpolitisch tragbare Lösung bisher nicht gefunden wurde."
Wünschenswert wären aus Sicht Mützenichs gemeinsame Anstrengungen in diese Richtung. "Das Denken und Argumentieren in Einflusszonen muss aufhören", unterstrich der Sozialdemokrat. Präsident Janukowitsch warf er vor, es "sträflich versäumt" zu haben, ernsthaft an einer gemeinsamen und verantwortlichen Lösung zu arbeiten.
Mit Blick auf die Regierungsgegner ergänzte Mützenich allerdings: "Dass die Verantwortlichen der Opposition es bisher nicht geschafft haben, sich auf ein Programm und einen legitimen Repräsentanten zu einigen, wird der Mehrzahl der friedlichen Demonstranten und deren Wunsch, politische Alternativen zu schaffen, bisher nicht gerecht."
Deutsche Unternehmen in der Ukraine besorgt über Lage im Land
Deutsche Unternehmen in der Ukraine beobachten die Lage in dem Land nach Aussage des Außenhandelschefs des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier, mit sehr großer Sorge. Das Ansehen der Ukraine als Wirtschaftsstandort habe bereits Schaden genommen. "Pläne von Investoren, etwa im Zulieferbereich, Kapazitäten zu erweitern oder neu aufzubauen, werden aktuell infrage gestellt", sagte der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer "Handelsblatt-Online".
Nachdem die Wirtschaft sich bereits auf das Assoziierungsabkommen eingestellt hatte, wonach 97 Prozent aller Zölle für Waren aus der Ukraine in die EU sofort weggefallen wären, sei der aktuelle innenpolitische Konflikt ein "weiterer Rückschlag" für die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen, sagte Treier weiter. Es sei daher jetzt ganz entscheidend, dass Regierung und Opposition einen friedlichen Weg der Konfliktlösung finden. "In dieser Situation sollten sich mehr denn je die europäischen Partner um Vermittlung bemühen, um weitere Opfer zu verhindern", betonte der DIHK-Experte.
Michelbach: Ukraine derzeit kein Partner für deutsche Unternehmen
Der Vize-Chef der Deutsch-Ukrainischen Parlamentariergruppe, Hans Michelbach (CSU), sieht die Ukraine angesichts der tödlichen Ausschreitungen in Kiew derzeit nicht mehr als Partner für deutsche Unternehmen. "Ich würde gegenwärtig keinem deutschen Unternehmen zu einem Einstieg in der Ukraine raten", sagte der Sprecher des CSU-Wirtschaftsflügels "Handelsblatt-Online".
Durch die Krise hätten sich die Rahmenbedingungen für Investitionen eindeutig verschlechtert. Die Partei von Janukowitsch habe unter Beweis gestellt, dass sie bereit sei, das Recht willkürlich zu beugen, wenn es ihren Interessen dient. "Da ist keine Grundlage für Vertrauen." Hinzu komme, dass Kiew seine wirtschaftlichen Entscheidungen nicht mehr selbst treffen könne. "Die dortige Regierung befindet sich in totaler Abhängigkeit von Russland und dessen politischen wie ökonomischen Interessen."
Michelbach sieht vor diesem Hintergrund auch keinen Spielraum für Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine. Es stelle sich die "moralische Frage, ob die EU mit einem Machthaber Assoziierungsverhandlungen führen soll, an dessen Händen Blut klebt". Für die Toten von Kiew trage allein Janukowitsch die Verantwortung. Vom "wohlfeilen Ruf" nach Sanktionen hält Michelbach aber nichts. "Er lenkt vom Versagen der EU ab. Man hat sich in Brüssel bequem zurückgelehnt und äußert sich nun nach den Toten von Kiew pflichtgemäß empört", sagte er und fügte mit Blick auf Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hinzu: "Und ich muss sagen, meine Enttäuschung erstreckt sich nicht nur auf Brüssel, sondern auch auf den deutschen Außenminister."
Es sei mehr als nur die gegenwärtigen "lauen Appelle" an beide Seiten nötig, auf Gewalt zu verzichten. Solche Appelle verdrehten die Tatsachen. Es sei Präsident Janukowitsch, der auf die Protestierenden einprügeln und auf sie schießen lasse. Gleichwohl habe es angesichts der Eskalation der Lage durch die Regierung in Kiew "nicht einmal zur Einbestellung der ukrainischen Botschafter gereicht", kritisiert der CSU-Bundestagsabgeordnete. "Janukowitsch muss den Eindruck haben, dass es der EU und ihren Mitgliedstaaten egal ist, wie er mit den Menschen in seinem Land und dem Bürgerrechten umspringt."
Auf Seiten der EU sei keine Strategie zu erkennen, sagte Michelbach weiter. Brüssel habe sich "komplett" abgemeldet. "Man lässt die proeuropäischen Kräfte in der Ukraine im Stich. Das wird Auswirkungen weit über die Ukraine hinaus haben", warnte der CSU-Politiker. "Es ermuntert auch andere Autokraten in Europa, die Bürgerrechte weiter mit Füßen zu treten und Andersdenkende zu drangsalieren und zu verfolgen."
Medien: Ukrainisches Parlament soll über Regierungsrücktritt entscheiden
In der Ukraine soll verschiedenen Medienberichten zufolge das Parlament in einer Sondersitzung über den Rücktritt des Regierungschefs Nikolai Asarov entscheiden. Dies habe Parlamentspräsident Wladimir Rybak bei einem Treffen mit Präsident Viktor Janukowitsch angekündigt. Angesichts der anhaltenden Gewalt bei den Protesten der Regierungsgegner habe Janukowitsch der "Kyiv Post" zufolge eine "sofortige" Lösung gefordert.
Unterdessen erklärte der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), er halte angesichts Entwicklungen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew EU-Sanktionen gegen die Regierung des Landes für möglich. Auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte am Mittwoch angekündigt, mögliche Maßnahmen der EU gegen die Ukraine zu erwägen.
Quelle: dts Nachrichtenagentur