Die europäischen Attacs sagen "Nein" zum EU-Reformvertrag
Archivmeldung vom 20.10.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAm 11. März 2007 haben 17 Europäische Attacs ihre "Zehn Prinzipien für einen demokratischen Vertrag" vorgelegt, die zu einer Neubegründung der Europäischen Union (EU) beitragen sollen.
Die aufmerksame Lektüre
des Reformvertrags, der von den Mitgliedstaaten der EU anlässlich des
Europäischen Rats vom 18. und 19. Oktober angenommen wurde, zeigt,
dass er keines der zehn Prinzipien respektiert. Mehr noch, er ist eine
getarnte Neuauflage des Europäischen Verfassungsvertrages, den die
französischen und niederländischen Wählerinnen und Wähler im Jahr 2005
abgelehnt haben. Dieser Text ist inakzeptabel, sowohl was sein
Zustandekommen als auch was seinen Inhalt betrifft.
1. Antidemokratisches Verfahren: Die europäischen Attacs haben
vorgeschlagen, einen demokratischen Prozess zur Ausarbeitung und
Annahme des gesamten neuen Vertrags zu starten. Allem voran muss
eine von den Bürgerinnen und Bürgern direkt gewählte Versammlung
eingesetzt werden. Die nationalen Parlamente müssen wirksam am
Prozess beteiligt werden. Alle Mitgliedsstaaten müssen bei der
Ratifizierung ein bindendes Referendum durchführen. Wir wollen
einen kurzen Vertrag, der für sich alleine steht und von allen
Bürgerinnen und Bürgern verstanden werden kann. Demgegenüber wird
uns wiederum ein langer und unlesbarer Text vorgelegt, der zudem
hinter verschlossenen Türen abgefasst wurde. Er soll nun in der
Mehrzahl der Mitgliedsländer auf parlamentarischem Wege angenommen
werden. Und dies so schnell wie möglich, um so jede wirkliche
öffentliche Debatte zu unterbinden.
2. Verschlossene Institutionen der Union: Mit der Ausnahme einiger
Veränderungen von geringer Tragweite bleibt es bei der bestehenden
Funktionsweise der EU, die durch eine Verletzung der
Gewaltenteilung gekennzeichnet ist. Das Europäische Parlament
bleibt von weiten Entscheidungsbereichen ausgeschlossen, die
wichtige Zuständigkeiten der Union betreffen. Insbesondere ist dem
Parlament jegliche legislative Initiative versagt. Die nationalen
Parlamente können sich nicht zur Grundlage von Rechtsinitiativen
äußern, selbst wenn sie in einem Teil der Zuständigkeitsbereiche am
Gesetzgebungsprozess beteiligt sind. Die Kommission, eigentlich
exekutives Organ der Union, ist auch mit legislativer und
judikativer Gewalt ausgestattet. Dagegen behält der Rat seine Rolle
als gesetzgeberisches Organ, obwohl er eigentlich nur das Treffen
der nationalen Regierungen ist. Die Lobbys werden weiterhin eine
wesentliche Rolle spielen. Die Mitglieder der Kommission können von
den ParlamentarierInnen weder gewählt noch abgesetzt werden. Das
Initiativrecht der BürgerInnen reduziert sich auf fromme
Absichtserklärungen. Die Europäische Zentralbank (EZB) entgeht
jeder demokratischen Kontrolle und behält als ihr einziges Ziel die
Preisstabilität, die zu einem der Hauptziele der Union erklärt
wird.
3. Keine Alternative zum Neoliberalismus: Die Presse hat viel Schaum
um die Tatsache geschlagen, dass der "freie und unverfälschte"
Wettbewerb nicht länger als eines der Hauptziele der Union erwähnt
wird. Dies sei, so sagt man uns, der Beweis, dass der
Verfassungsvertrag wirklich aufgegeben wurde. Aber man merkt bei
der Lektüre des Dickichts der Paragraphen, Protokolle und
Erklärungen, dass dieser Wettbewerb allgegenwärtig bleibt. Er macht
es unmöglich, dem neoliberalen Modell zu entrinnen. Genau dieser
Wettbewerb bestimmt das Funktionieren der Dienstleistungen im
Allgemeinen Wirtschaftlichen Interesse (DAWIs). Und er könnte auf
sämtliche anderen öffentlichen Dienste ebenfalls ausgedehnt werden.
Der Wettbewerb dient auch als Ausrede für die Weigerung, die
sozialen und steuerlichen Regeln nach oben anzugleichen. Der
Vertrag, so wie er sich darstellt, macht es den Staaten unmöglich,
sich für etwas anderes als den entfesselten wirtschaftlichen
Liberalismus zu entscheiden.
4. Immer noch stark eingeschränkte Grundrechte: Die Charta der
Grundrechte hat "verpflichtenden Charakter", aber die Rechte sind
im Allgemeinen von sehr geringer Reichweite. Zudem wird bei der
Anwendung der Rechte auf "einzelstaatliche Gesetzgebung und
Regelungen" verwiesen. Somit schafft die Charta keinerlei
europäisches Sozialrecht und beschränkt sich auf vage
Formulierungen, die zu nichts verpflichten. Großbritannien und
Polen erhalten gar Ausnahmeklauseln bei der Anwendung der
Grundrechte.
5. Militaristischer und auf die NATO orientierter Vertrag: Die
gemeinsame Verteidigung der Union ist nur im Rahmen der NATO
vorgesehen. Der Militarismus wird offiziell befördert: "Die
Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten
schrittweise zu verbessern." Im Namen des Kampfes gegen den
Terrorismus wird zu militärischen Interventionen im Ausland sogar
ermuntert. All dies erscheint schon im Entwurf des
Verfassungsvertrags und ist Wort für Wort in den neuen Vertrag
übernommen worden.
Dieser Reformvertrag ist von A bis Z vom Neoliberalismus
gekennzeichnet, sowohl in den Prinzipien, die er fördert, als auch den
Politiken, mit denen er operiert. Die wenigen positiven Punkte stellen
die augenblickliche Arbeitsweise der Union und ihr erschütterndes
Demokratiedefizit nicht in Frage. Darum werden sich die europäischen
Attacs nicht damit abfinden. Die Bürgerinnen und Bürger der
Mitgliedsstaten sollen über ihre Zukunft entscheiden dürfen. Daher
streiten wir für bindende Volksabstimmungen über den Vertrag bei der
Ratifizierung in jedem einzelnen Mitgliedstaat.
Attac Deutschland, Attac Frankreich, Attac Italien, Attac Polen, Attac
Spanien, Attac Ungarn.
Weitere Unterzeichner folgen.
Quelle: Pressemitteilung Attac Deutschland