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Professor Dr. Thomas Straubhaar hält bisheriges Management in der Euro-Krise für nicht ausreichend

Archivmeldung vom 16.06.2012

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 16.06.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Bild: Sylvia Voigt  / pixelio.de
Bild: Sylvia Voigt / pixelio.de

Griechenland wählt - und vom Ausgang dieser Wahl hängt auch die Zukunft des Euro ab. Dabei ist Griechenland ein kleiner Brocken, mit Spanien und Italien haben zwei Euro-Schwergewichte finanzielle Schlagseite. Wer noch wie viele Milliarden Euro benötigt und welchen Weg aus der Krise Europa einschlägt, sind zwei wichtige Fragen. Bei der Beantwortung dürfe Deutschland nicht überbelastet werden, warnt die Bundeskanzlerin. Doch ein Fiskalpakt und ein kleineres Wachstumsprogramm dürften keine geeigneten Sofortmaßnahmen sein. "Der Rettungsschirm muss so groß sein, dass er von allen Ländern genutzt werden kann", fordert Prof. Dr. Thomas Straubhaar im Gespräch mit der Landeszeitung Lüneburg.

Spaniens Banken erhalten Hilfe in Milliardenhöhe, aber die Regierung erhält keinen Besuch von Sparkommissaren. Ist das eine Abkehr von bisherigen Vorgehensweisen bei Hilfsaktionen?

Professor Dr. Thomas Straubhaar: Es ist zumindest eine Aufweichung - und ich denke, dass dieser Schritt nicht in die richtige Richtung führt. Korrekt wäre es, wenn nationale Regierungen für die Refinanzierung ihrer Schulden aus dem Rettungsschirm gegen eine Aufgabe nationaler Autonomie Unterstützung erhalten, die sie dann auch für eine Sanierung ihrer Banken einsetzen können. Aber dass es direkt der Rettungsfonds ist, der spanische Banken rekapitalisiert, halte ich für eine unglückliche Entwicklung.

Ist das Vorgehen im Fall Spanien auch als Zeichen an Griechenland zu verstehen nach dem Motto: Wer seine Hausaufgaben macht und fleißig spart, erhält Hilfe ohne Eingriffe in wirtschafts- und fiskalpolitische Autonomie?

Straubhaar: Dieses Vorgehen weckt Begehrlichkeiten: Griechenland moniert eine Ungleichbehandlung und fordert, jetzt - wie Spanien - Geld ohne Auflagen zu erhalten.

Hat Spanien zu lange gewartet mit dem Hilferuf?

Straubhaar: Ganz offensichtlich hat Spanien zu lange geglaubt, allein die Probleme lösen zu können, um zu vermeiden, nationale Finanzautonomie abgeben zu müssen. Nun erhält das Land doch Hilfe ohne Aufgabe nationaler Finanzautonomie - das ist schon ein Widerspruch.

Nach Ansicht von Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer könnte auch Italien bald um Hilfe bitten. Die Rettungsschirme würden aber nicht ausreichen, um Italien zu stützen. Sie haben kürzlich als Signal an die Finanzmärkte eine unbegrenzte Haftung der Euroländer für alle Partnerstaaten vorgeschlagen. Wer soll denn das bezahlen können?

Straubhaar: Gerade der Fall Italien zeigt, dass die bisherige Politik nicht in der Lage ist, die Probleme zu lösen. Wir sind an einem Punkt, wo wir entweder kehrt machen und eingestehen müssen, dass die Haftungsübernahme durch die Gemeinschaft gescheitert ist, denn sie hat nur für kleine Länder genügt, für große hingegen nicht. Oder wir gehen den eingeschlagenen Weg weiter und machen den Rettungsschirm so groß, dass er von allen Länder genutzt werden kann. Italien musste gerade vier Prozent Rendite für die jüngsten Refinanzierungsgeschäfte bezahlen - und damit fast doppelt so viel wie vor zwei Jahren. Um solche Entwicklungen zu vermeiden, sollte der Rettungsschirm so groß werden, dass sich jedes Land praktisch unbegrenzt Geld zur Refinanzierung leihen kann. Um den Rettungsschirm mit ausreichenden Mitteln zu versehen, bedarf es einer Banklizenz für den Rettungsschirm, damit er sich direkt bei der Europäischen Zentralbank das Geld holen kann.

Warum dann nicht gleich Eurobonds, über die Sie gesagt haben, dies sei von den schlechten noch möglichen Lösungen die beste?

Straubhaar: In der Tat ist mein Vorschlag nicht so weit entfernt von der Lösung mit Eurobonds. In beiden Fällen soll es eine gemeinsame Kasse geben, die überschuldeten Ländern, die nicht mehr auf dem privaten Kapitalmarkt refinanzierungsfähig sind, entsprechende Mittel zu einem fixen, erträglichen Zinssatz zur Verfügung stellt. Bei meinem Haftungsvorschlag würde die Finanzierung über die Banklizenz und die EZB laufen, bei Eurobonds würden die einzelnen Länder die Kasse mit Beiträgen alimentieren. Am Beispiel Italien sieht man bei den Rettungsschirmen, dass sich hier ein Land verschulden muss, um den Beitrag zur gemeinsamen Kasse leisten zu können. Dadurch wird Italien ein schlechterer Schuldner, muss höhere Zinsen zahlen - ein Teufelskreis. Das würde bei meinem Haftungsvorschlag nicht geschehen. Eine Anmerkung noch zu Eurobonds: Es ist die Frage, ob man Eurobonds versteht als alleinige Refinanzierung nationaler Haushalte oder nur als Ergänzung. Ist Letzteres der Fall, wären Eurobonds nicht so schädlich, wie sie in Deutschland betrachtet werden.

Aber Vollkasko-Haftung und Eurobonds bedeuten doch in jedem Fall, dass Deutschland zur Euro-Rettung viel mehr Geld in die Hand nehmen muss. Droht dann nicht ein Kippen der Stimmung in Deutschland?

Straubhaar: Das ist richtig und das ist auch die große Gefahr. Ein Stück weit ist die Stimmung schon gekippt, denn die Mehrheit fürchtet, dass die Euro-Rettung ein Fass ohne Boden wird, dass die Länder, die unter den Rettungsschirm schlüpfen, nicht in der Lage sind, ihre Strukturen und damit auch ihre Staatshaushalte zu sanieren.

Stichwort Strukturen: Sind Hilfen für Griechenland nicht absurd vor dem Hintergrund, dass Griechenlands oberster Steuerfahnder kürzlich eingeräumt hat, seinem Staat würden pro Jahr 45 Milliarden Euro Steuern vorenthalten und schon die Hälfte würde reichen, um Griechenland aus der Krise zu holen?

Straubhaar: Absolut. Ich denke, dass es im Fall Griechenland gar nicht mehr um finanzielle, sondern um institutionelle Transfers gehen muss. Griechenland bedarf eines Steuersystems, einer Verwaltung, die durchschnittlichen europäischen Standards genügt - davon ist Griechenland meilenweit entfernt. Also stellt sich die Frage: Was tun wir in der Übergangszeit, bis Griechenlands "Staatlichkeit" europäischen Standards genügt? Ich halte es für richtig, dass Griechenland nur Kapital erhält, wenn es im Gegenzug einen Großteil seiner Autonomie abgibt.

Betrachten Sie den Ausgang der Wahl in Griechenland am Sonntag auch als Vorentscheidung für die Zukunft der europäischen Gemeinschaftswährung?

Straubhaar: Nicht über die Zukunft des Euro, aber über die Zukunft Griechenlands in der Eurozone. Wenn Griechenland eine linke Regierung wählt, die zuvor klar gesagt hat, sich nicht an getroffene Vereinbarungen halten zu wollen, würde ich den Euro-Verantwortlichen raten, den Geldhahn zuzudrehen. Das wäre eine de-facto-Pleite Griechenlands mit allen Turbulenzen und Folgen, die für Griechenland dramatisch wären und auch für die anderen Euro-Länder finanzielle Folgen hätte. Aber es wäre ein Ende mit Schrecken und nicht ein Schrecken ohne Ende.

Ist Griechenlands Euro-Aus an den Finanzmärkten nicht schon eingepreist?

Straubhaar: Das ist eine Frage, die schwer zu beantworten ist. Ich vermute, dass die meis"ten Finanzakteure in der Tat das Szenario eines Austritts Griechenlands aus der Euro-Zone für sehr wahrscheinlich halten.

Was tritt Ihrer Meinung nach schneller ein: Das Auseinanderbrechen des Eurolandes oder die Schaffung der wirtschafts- und fiskalpolitischen Einheit im Euroland?

Straubhaar: Das ist schwer zu sagen, aber ich vermute, dass es ein Wechselspiel geben wird: Ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone wäre ein Anreiz an die anderen Länder, stärker und schneller mit dem Fiskal- und Wachstumspakt voranzukommen in Richtung einer europäischen Zentralisierung. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob diese Zentralisierung schnell genug vollzogen werden kann, bevor ein weiteres Land wie etwa Portugal oder sogar Spanien entweder durch die starke Rezession oder die Folgen des Euro-Austritts Griechenlands in eine ähnlich schwere Lage kommt. Dann bliebe nur zu hoffen, dass man eine weitere "griechische Tragödie" verhindern kann, dass die Menschen in Portugal oder Spanien gelernt haben, dass Vereinbarungen einzuhalten sind, damit sich eine solche "Tragödie" nicht wiederholt.

Das Interview führte Werner Kolbe

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots)

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