Deutsche halten Euro-Politiker für unfähig
Archivmeldung vom 14.07.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Deutschen halten nicht viel vom Krisen-Management der Euro-Politiker. In einer repräsentativen N24-Emnid-Umfrage sagen nur 10 Prozent der Befragten, ihr Vertrauen in das Krisenmanagement der Politiker sei sehr groß. Weitere 20 Prozent haben immerhin noch "eher großes" Vertrauen in die Euro-Expertise von Politkern.
Dagegen hat die Mehrheit von 55 Prozent nur geringes Vertrauen in die Fähigkeiten der Politiker zu Euro-Rettung. 11 Prozent der Deutschen sprechen den Politkern sogar jegliche finanzpolitische Kompetenz ab, mit der man den Euro vielleicht noch retten könnte.
An ein schnelles Ende der Euro-Krise glauben die Deutschen nicht. Nur 13 Prozent sind der Meinung, dass nach Griechenland, Irland, Portugal und Italien keine weiteren Länder mehr in die Euro-Krise abrutschen. Die deutliche Mehrheit von 79 Prozent glaubt, dass noch weitere Länder in den Euro-Strudel geraten werden.
46% der deutschen Wirtschaftslenker fürchten europäischen Flächenbrand durch Schuldenkrise
Aufgrund von Schuldenkrise und Euroschwäche sieht aktuell nur noch knapp jeder zweite europäische Topmanager (46%) die EU in einer grundsätzlich starken wirtschafts- und machtpolitischen Position. In Deutschland schätzen das 49% der befragten Konzernlenker so ein. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in Griechenland, Italien, Irland oder Portugal sind im europäischen Durchschnitt fast zwei Drittel (65%) der Befragten in Sorge über die politische und wirtschaftliche Situation in Europa. Beinahe jeder zweite deutsche Wirtschaftslenker (46%) schätzt die Haushaltsschieflage in einigen Mitgliedsstaaten als kritisch oder gar alarmierend ein und fürchtet ein Übergreifen der Schuldenkrise auf die Realwirtschaft. Die langfristigen Zukunftsprognosen fallen dagegen in den meisten Führungsetagen positiv aus: Im europäischen Durchschnitt glauben 61% - in Deutschland sogar 65% der Befragten, dass die EU auch im Jahr 2030 immer noch eine wichtige Position im globalen Machtgefüge einnimmt. Mehr als die Hälfte (54%) der europäischen und sogar 65% der deutschen Unternehmensführer steht einer Erweiterung der EU um die Türkei skeptisch gegenüber und erachtet die Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten nicht als das geeignete Mittel, um neue Wachstumsimpulse für den Wirtschaftsraum zu bringen. Das sind die zentralen Ergebnisse der Studie "Revitalising the European Dream". Für diese hat die internationale Strategieberatung Booz & Company zusammen mit der Business School INSEAD mehr als 2.000 Top-Manager der führenden europäischen Unternehmen - darunter 240 aus Deutschland - befragt.
Balance zwischen Wachstumsimpulsen und Budgetkontrolle gefordert
"Geübte Strategen nehmen gerade in einem turbulenten Umfeld eine längerfristige Perspektive auf politische Rahmenbedingungen ein. Sie erkennen auch in krisenhaften Situationen sich daraus ergebende wirtschaftliche Chancen für ihr Unternehmen", sagt Dr. Klaus-Peter Gushurst, Partner und Sprecher der Geschäftsführung von Booz & Company im deutschsprachigen Raum. "Die europäische Wirtschaftselite sieht die EU in einem fundamentalen Wandel begriffen. Laut unserer Studie ist sie bereit, diesen Veränderungsprozess konstruktiv zu begleiten." Fast einhellig fordern die Top-Entscheider der Konzerne allerdings von den EU-Politikern eine wesentlich straffere Geld-, Budget- und Industriepolitik. Top-Manager erwarten eine harte sowie deutlich konsistentere Politik statt des anlassbezogenen Aktionismus der letzten Monate. Insbesondere wird die Verwässerung der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) mit Besorgnis gesehen.
Die wirtschaftliche Erholung der Eurozone hänge maßgeblich davon ab, die richtige Balance zwischen Wachstumsimpulsen und Budgetkontrolle zu finden und gleichzeitig die dringend notwendigen Investitionen in Bildung und F&E nicht zu vernachlässigen. Eine breite Mehrheit (85%) in den europäischen Führungsetagen glaubt, dass die EU bei ihren Mitgliedsstaaten niedrigere sowie nachhaltige Verschuldungsgrenzen einziehen sollte. Nur so könne Europa langfristig auf den Wachstumspfad zurückkehren und sich im globalen Wettbewerb gegenüber aufstrebenden Wirtschaftsmächten wie China und Indien behaupten.
Unterschiedliche Sichtweise auf Budgetdisziplin
Die Booz & Company-Studie belegt außerdem: Die Unternehmenslenker erachten weiterhin die europäische Integration als einziges Mittel, um sich als Wirtschaftsraum im globalen Kontext erfolgreich zu positionieren. "Klar ist aber auch, dass sich die EU an einem Scheideweg befindet", sagt Gushurst. "Die Vertrauenskrise kann überwunden werden, aber es ist entscheidend, dass die Verantwortlichen in der EU wie in der EZB jetzt die richtigen Weichen stellen." Allerdings divergiert diese Sichtweise auf die richtigen Maßnahmen sehr stark - je nachdem aus welchem Mitgliedsland die Unternehmensführer kommen. Diejenigen aus Staaten mit einem niedrigen Verschuldungsgrad wie Deutschland, Dänemark oder Schweden halten Budgetdisziplin für deutlich wichtiger als diejenigen aus stärker verschuldeten Mitgliedstaaten wie Belgien, Griechenland oder Italien.
Klare Absage an Protektionismus
Auch die Frage nach den richtigen Impulsen für den Außenhandel führte zu interessanten Ergebnissen: Lediglich einer von zehn Befragten favorisierte protektionistische Maßnahmen gegenüber dem freien Handel mit Nicht-EU-Staaten. "Schutzzölle oder gar eine Abschottung des Marktes, beispielsweise gegen Übernahmen von europäischen Unternehmen aus Nicht-EU-Staaten, wären ein fundamentaler Irrweg. Die europäische Politik muss vielmehr für Konstanz und Fortschritt bei der politischen und wirtschaftlichen Integration sorgen. Sonst wird Europa im globalen Wettbewerb langfristig zurückfallen", so das klare Fazit von Gushurst.
Quelle: n24 / Booz & Company (ots)