Treffen in Dschidda begräbt Selenskijs "Friedensplan"
Archivmeldung vom 10.08.2023
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićBei dem Treffen im saudischen Dschidda haben die Länder des Globalen Südens Lösungspläne für die Ukraine-Krise vorgeschlagen, die von den Vorschlägen Selenskijs und des Westens radikal abweichen. Bedeutet dies ein Ende des westlichen Monopols auf die Regelung internationaler Krisen? Dies analysieren Ilja Abramow und Jewgeni Posdnjakow im Magazin "RT DE".
Weiter analysieren beide auf RT DE: "Am Wochenende haben in der saudischen Stadt Dschidda Beratungen zur friedlichen Regulierung des Ukraine-Konflikts stattgefunden. An den Verhandlungen nahmen Delegationen von etwa 30 Staaten teil, allerdings war Russland nicht eingeladen. Dennoch versprach Riad, Moskau über die Ergebnisse zu informieren.
Während des Treffens stellte Saudi-Arabien seinen eigenen Plan zur Regelung der Lage in der Ukraine vor, berichtete die dpa. Die Initiative sei nicht nur von Riad, sondern auch von einer Reihe anderer Staaten vorbereitet worden. Ebenfalls bekannt ist, dass Russland die Hauptbestimmungen des vorgeschlagenen Plans mitgeteilt wurden.
Soweit bekannt, sehen die Vereinbarungen einen Erhalt der Integrität der Ukraine, eine Feuerpause, einen Beginn von Friedensverhandlungen unter der Schirmherrschaft der UNO sowie einen Gefangenenaustausch vor. Wie die Zeitung Corriere della Sera berichtete, hätten die Teilnehmer des Treffens in Dschidda bereits nach dem ersten Tag eine Übereinkunft in einigen Angelegenheiten erreicht und würden Arbeitsgruppen zu Schlüsselproblemen der "Friedensformel" von Selenskij bilden.
Dabei waren die Diskussionen über die Friedensinitiative tatsächlich multilateral. Insbesondere bezeichnete die Zeitung Financial Times unter Verweis auf europäische Diplomaten Chinas Teilnahme an den Beratungen als konstruktiv. Peking habe die Idee eines dritten Treffens auf dieser Ebene positiv aufgenommen.
Die Zeitung The New York Times hielt Pekings Teilnahme für einen der Schlüsselerfolge der Verhandlungen. In dem entsprechenden Artikel hieß es:
"Dennoch gab es einen Schimmer des Fortschritts. China, das nicht an den vorherigen Verhandlungen in Juni teilgenommen hatte, nahm diesmal aktiv teil und gab zu verstehen, dass es an der dritten Runde der Verhandlungen teilzunehmen bereit sei, die zum Vorläufer eines Treffens der Staatschefs werden könnte."
Seinerseits behauptete der Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Andrei Jermak, dass die Delegation seines Landes während des Treffens bilaterale Gespräche mit Vertretern von über 30 Staaten geführt habe. Dies gab er auf seinem Telegram-Kanal bekannt. Alle Treffen hätten auf der Ebene von Beratern zur nationalen Sicherheit und Außenpolitik stattgefunden.
Indessen gab es Berichte, dass die Vertreter der Ukraine von Selenskijs "Friedensformel" abgerückt seien. Laut einem ungenannten Beamten habe Kiew zuvor auf der Annahme eines "Friedensplans" bestanden, der einen vollständigen Abzug der russischen Streitkräfte vorsieht. Diesmal habe es allerdings keine solchen Forderungen gegeben, berichtete The Wall Street Journal.
In Russland wurde das Treffen in Dschidda derweil anders aufgefasst. Wie russische Politiker und Experten bemerkten, hätten die Gespräche in Saudi-Arabien gezeigt, dass die Länder des Globalen Südens nicht mehr bereit seien, nach den westlichen Regeln zu spielen. In erster Linie sei dies an der Ablehnung von Selenskijs "Friedensformel" in ihrer Reinform sichtbar geworden.
So zum Beispiel merkte der Senator Alexei Puschkow auf seinem Telegram-Kanal an, dass die Teilnehmer der Beratungen allgemeine Prinzipien unterstützt hätten, die sie stets bei der UNO in ihren offiziellen Erklärungen verkünden. Allerdings befolgten die westlichen Staaten selbst diese Prinzipien selten, was die Erfahrungen mit Serbien, Irak und Libyen gezeigt hätten.
Puschkow erklärte weiter, dass das Treffen nicht zu einer neuen "Einheitsplattform" für die USA und ihre Verbündeten geworden sei. Denn die Herangehensweisen der Verbündeten der Ukraine und der führenden Staaten des Globalen Südens an die Lösung des Konflikts seien doch sehr unterschiedlich.
"Es kann keine friedliche Regulierung der Situation in der Ukraine ohne eine Teilnahme Russlands geben. Und wir haben mehrmals gesagt, dass der Schlüsselaspekt der Lösung eine Gewährleistung der Sicherheit unseres Landes ist", sagte der Senator Konstantin Dolgow. Und er führte weiter aus:
"Wahrscheinlich wurde das Treffen in Dschidda von den USA initiiert, die die antirussische Koalition ausweiten wollten. Dazu wurden Staaten eingeladen, die in Bezug auf Russlands Militäroperation eine vorwiegend neutrale Stellung einnehmen."
"Doch das Vorhaben der USA scheiterte offensichtlich. Die Länder des Globalen Südens verstehen, dass ihre langfristigen Interessen viel wichtiger, als Washingtons Ansichten und Pläne sind. Man sollte aber auch einräumen, dass die USA auf ein langfristiges Spiel abzielen und weiter an einem Erreichen ihrer Ziele arbeiten. Außerdem würde ich mich nicht allzu sehr darüber freuen, dass die Ukraine von der sogenannten 'Friedensformel' Selenskijs abgewichen ist. Jegliche Vorschläge vonseiten der Kiewer Regierung stammen in Wirklichkeit aus Washington. Und die USA lassen die Idee einer größtmöglichen Schwächung Russlands nicht fallen", betonte der Senator.
"Russland muss nun seinen Standpunkt denjenigen Ländern erklären, die bereit sind, an die Bewertung des Ukraine-Konflikts objektiv heranzugehen. Darüber hinaus müssen wir neue Tatsachen unmittelbar auf dem Schlachtfeld schaffen. Gerade an der Front wird der Abschlusspunkt in dieser Konfrontation gesetzt werden", erklärte Dolgow abschließend.
Der Senator Andrei Klimow hat die Verhandlungen in Dschidda ebenfalls bewertet: "Ich vertraue den US-amerikanischen Medien und erst recht den Bürokraten aus der EU nicht besonders. Doch ich weiß, wenn sie mit etwas anzugeben hätten, hätten sie das schon zu 300 Prozent getan", schrieb er auf seinem Telegram-Kanal.
"Anscheinend stellte sich heraus, dass es nichts zum Angeben gibt. Die Vertreter neutraler Staaten haben nicht angefangen, die Anweisungen der westlichen Länder gedankenlos zu erfüllen, und sie haben sich nicht der antirussischen Koalition angeschlossen. Der Rest sind Einzelheiten, wenngleich sie für Spezialisten nicht uninteressant sind", betonte der Senator.
Eine etwas andere Ansicht vertrat der deutsche Politologe Alexander Rahr: "Das Treffen in Dschidda könnte zu einem wichtigen historischen Ereignis werden. Wer weiß, vielleicht haben wir es mit einer neuen Konferenz von Jalta 1945 zu tun. Erstmals nahmen Entwicklungsländer, die zu autonomen Mächten in einer multipolaren Welt wurden, die Verantwortung des Ausbaus von internationalen Beziehungen ohne Rücksicht auf die USA auf sich", erklärte er.
Allein die Tatsache, dass solche Beratungen unter der Teilnahme der Staaten des Globalen Südens durchgeführt worden seien, ändere das Kräfteverhältnis in der Geopolitik, so Rahr. Und er fügte hinzu:
"Wir beobachten eine zunehmende Ablehnung des unipolaren Systems mit den westlichen Staaten an der Spitze zu Gunsten einer wirklichen internationalen Diversität. Die Verhandlungen werden mit den gleichen Teilnehmern fortgesetzt, allerdings unter der Leitung Indiens."
"Bemerkenswerterweise haben die Teilnehmer während der Verhandlungen Selenskijs 'Friedensformel' praktisch keine Beachtung geschenkt. Das war zu erwarten: Seine Initiative bedeutet nichts anderes, als Russlands Kapitulation. Selbstverständlich können solche Vorschläge vonseiten der Ukraine auf internationaler Ebene nicht ernst genommen werden", betonte er. Und Rahr führte weiter aus:
"Deswegen werden Selenskijs Vorschläge bei den weiteren Beratungen voraussichtlich keine Rolle spielen. Allerdings werden jetzt die Teilnehmer des Gipfels in Dschidda auf eine Reaktion Russlands auf die Ergebnisse des Treffens warten. Offensichtlich wollen die Länder des Globalen Südens Gegenvorschläge aus Moskau sehen."
"Die Durchführung des Treffens in Dschidda ist das Ergebnis des Wunsches von Saudi-Arabien, sich auf der internationalen Ebene wirklich zu behaupten. Das ist eine bezeichnende Erscheinung, die einen beträchtlichen Einflusszuwachs der Staaten des Globalen Südens auf die geopolitischen Prozesse in der Welt zeigt. Faktisch haben die USA und die EU ihr Monopol auf die Lösung größerer internationaler Krisen verloren", erklärte seinerseits der Programmdirektor des Waldai-Clubs, Timofei Bordatschew. Und er betonte:
"Dabei können die Herangehensweisen der westlichen und der Entwicklungsländer an die Regelung von Konflikten nicht identisch sein. Das Treffen in Dschidda hat dies eindrucksvoll demonstriert. Mehrere Delegationen äußerten eine alternative Sichtweise, indem sie beschlossen, dass Russland aus den vier neuen Regionen die Streitkräfte nicht zurückziehen solle."
"Natürlich widerspricht das vollkommen der sogenannten Friedensformel von Selenskij. Seine Vorschläge haben eine ausschließlich propagandistische Bedeutung und stehen in keinem Verhältnis zur Realität. Die Länder des Globalen Südens bewerten die Lage nüchterner und schlagen deshalb adäquatere und wirksamere Ideen vor", gab der Experte zu Bedenken. Seine Schlussfolgerung lautete:
"Eine solche Tendenz hat negative Folgen für Washington. Die Entwicklungsländer sind nicht verpflichtet, dem Westen zu folgen. Das bedeutet, dass ihre Vorschläge den Wünschen der USA und der EU oft nicht entsprechen werden."
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad."
Quelle: RT DE