Thierry Meyssan: Teilen sich Obama und Putin den Nahen-Osten?
Archivmeldung vom 02.03.2013
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIn einem am 26. Januar in Russland veröffentlichten Artikel schreibt Thierry Meyssan über den neuen Teilungsplan vom Nahen Osten, an dem das Weiße Haus und der Kreml arbeiten. Der Autor enthüllt die wichtigsten Daten der laufenden Verhandlungen ohne Vorgriff auf eine endgültige Einigung oder seine Anwendung. Das Interessante an dem Artikel besteht darin, dass er erlaubt, die mehrdeutigen Positionen von Washington zu verstehen, die seine Verbündeten in eine Sackgasse schieben, um ihnen bald eine neue Abmachung aufzuerlegen, von der sie ausgeschlossen sein werden.
In dem Bericht, der in deutscher Übersetzung bei politaia.org erscheinen ist, heißt es weiter: "Präsident Obama ist dabei, seine internationale Strategie komplett zu ändern, trotz der Opposition, die sein Projekt in seiner eigenen Verwaltung erweckt hat.
Die Fakten sind einfach. Die Vereinigten Staaten werden zunehmend Energie-unabhängig, durch die rasche Ausbeutung von Öl aus Teersand und von Schiefergas. Daher ist die Carter Doktrin (1980), die den sicheren Zugang zum Öl aus dem Golf zum nationalen Sicherheits-Imperativ erklärte, tot. Genauso auch die Vereinbarung von Quincy (1945), durch die Washington sich zum Schutz der Saud-Dynastie verpflichtete, wenn diese ihnen ihren Zugang zum Öl von der arabischen Halbinsel garantierten. Die Zeit für einen massiven Rückzug ist gekommen, die es erlauben wird, die GI‘s in den Fernen Osten zu verlegen, um den chinesischen Einfluss einzudämmen.
Auf der anderen Seite muss alles getan werden, um ein chinesisch-russisches Bündnis zu verhindern. Es ist daher nötig, Russland etwas anzubieten, was es vom Fernen Osten ablenken könnte.
Schließlich erstickt Washington in seiner viel zu engen Beziehung mit Israel. Sie ist extrem teuer, international nicht zu rechtfertigen, und wiegelt die gesamte muslimische Bevölkerung gegen die Vereinigten Staaten auf. Darüber hinaus sollten Sanktionen Tel-Aviv klar machen, da es sich in unglaublicher Weise in den Präsidenten-Wahlkampf der USA eingemischt hatte, vor allem durch Wetten gegen den Kandidaten, der dann gewonnen hat.
Diese drei Faktoren führten Barack Obama und seine Berater dazu, Vladimir Putin einen Pakt vorzuschlagen: Washington würde implizit anerkennen, in Syrien gescheitert zu sein, und bereit sein, Russland ohne Gegenleistung im Nahen Osten einziehen zu lassen, und gemeinsam mit ihm die Kontrolle über dieses Gebiet zu übernehmen.
Es ist in diesem Geist, in dem das Genfer Abkommen vom 30. Juni 2012 von Kofi Annan abgefasst wurde. Damals ging es nur, um einen Ausweg aus der syrischen Frage zu finden. Doch diese Vereinbarung wurde sofort durch interne Elemente der Obama-Regierung sabotiert. Sie ließen gewisse Elemente über den geheimen Krieg in Syrien als Indiskretionen an die europäische Presse durchsickern, darunter die Existenz von einer Presidential Executive Order, welche die CIA aufforderte, Männer und Söldner auf dem Boden bereit zu stellen. In die Zwickmühle geraten, trat Kofi Annan als Vermittler von seinem Amt zurück. Das Weiße Haus hatte seinerseits die Sache heruntergespielt, um die Unstimmigkeiten während der Wiederwahl von Barack Obama zu verbergen.
Drei Gruppen waren im Hintergrund gegen das Genf-Kommuniqué:
- Die am geheimen Krieg beteiligten Agenten;
- Die militärischen Einheiten, die Russland kontern sollten
- Das Israel-Relais.
Am Tag nach seiner Wahl begann Barack Obama die große Säuberungsaktion. Das erste Opfer war General David Petraeus, Designer des geheimen Krieges in Syrien. In eine von einem Offizier des militärischen Geheimdienstes gestellte sexuelle Falle geraten, wurde der CIA-Direktor zum Rücktritt gezwungen. Dann wurden ein Dutzend hochrangiger Offiziere Ermittlungen wegen Korruption unterstellt. Unter ihnen der Oberbefehlshaber der NATO (Admiral James G. Stravidis) und dessen Nachfolger (General John R. Allen), sowie der Kommandeur der Missile Defense Agency – d.h. des “Raketenschilds” – (General Patrick J. O’Reilly). Susan Rice und Hillary Clinton waren schließlich scharfen Angriffen ausgesetzt wegen der Vertuschung vor dem Kongress von Elementen, die den Tod von Botschafter Chris Stevens in Bengasi betrafen, der von einer islamistischen Gruppe ermordet wurde,welche vermutlich vom Mossad gesponsert wurde.
Nach der Beseitigung oder Auflösung der verschiedenen internen Widerstände kündigte Barack Obama eine grundlegende Erneuerung seines Teams an.
- Erstens, John Kerry für das State Department. Der Mann ist deklarierter Fürsprecher für eine Zusammenarbeit mit Moskau über Fragen von gemeinsamem Interesse. Er ist auch ein persönlicher Freund von Baschar Al-Assad.
- Zweitens, Chuck Hagel für das Department of Defense. Er ist zwar ein Pfeiler der NATO, aber Realist. Er hat immer den Größenwahn der Neokonservativen und ihren Traum des globalen Imperialismus kritisiert. Er trauert dem Kalten Krieg nach, der Zeit, als Washington und Moskau die Welt mit wenig Aufwand gemeinsam beherrschten. Mit seinem Freund Kerry hatte Hagel im Jahre 2008 einen Verhandlungsvorstoß mit Israel über die Rückgabe der Golanhöhen an Syrien organisiert.
- Schließlich John Brennan für die CIA. Dieser kaltblütige Mörder ist davon überzeugt, dass die erste Schwäche der Vereinigten Staaten entstand, als sie den internationalen Dschihadismus schufen und entwickelten. Seine Zwangsvorstellung ist die, den Salafismus und Saudi-Arabien zu eliminieren, was letztlich Russland im Nordkaukasus zugute käme.
Gleichzeitig setzte das Weiße Haus seine Verhandlungen mit dem Kreml fort. Was eine einfache Lösung für Syrien sein sollte, wurde ein viel größeres Projekt einer Reorganisation und Aufteilung des Nahen Ostens.
Man erinnere sich, dass im Jahre 1916, nach 8 Monaten Verhandlung, das Vereinigte Königreich und Frankreich sich geheim den Nahen Osten (Sykes-Picot-Abkommen) geteilt haben. Der Inhalt dieser Verträge wurde der Welt von den Bolschewiken sofort nach ihrer Machtübernahme offenbart. Das Abkommen dauerte fast ein Jahrhundert. Was die Obama-Regierung erwägt, ist eine Neugestaltung des Nahen Ostens für das 21. Jahrhundert, unter der Schirmherrschaft der USA und der Russischen Föderation.
Obwohl Obama sein eigener Nachfolger ist, kann er in der derzeitigen Periode nur die laufenden Geschäfte erledigen. Er wird seine kompletten Zuordnungen erst nach der Eidablegung, am 21. Januar erhalten. In den folgenden Tagen, wird der Senat Hillary Clinton anhören über das Geheimnis des Mordes des US-Botschafters in Libyen (23.01.), dann John Kerry, um seine Ernennung (24. Januar) zu bestätigen. Sofort danach treffen sich die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats in New York, um die Vorschläge Lawrow-Burns über Syrien zu studieren.
Diese sehen die Verurteilung jeglicher äußeren Einmischung vor, den Einsatz von Beobachtern und einer Friedens-Kraft der Vereinten Nationen, einen Aufruf an die verschiedenen Akteure, damit sie eine Regierung nationaler Einheit bilden und Wahlen planen. Frankreich dürfte sich dem entgegenstellen, ohne jedoch zu drohen, ein Veto gegen den US-Lehnsherrn einzulegen.
Die Originalität des Plans ist, dass die UN-Truppe hauptsächlich aus Soldaten von der Organisation des Kollektiven Sicherheits-Vertrages (OKSV) bestehen würde. Präsident Baschar Al-Assad würde an der Macht bleiben. Er würde schnell eine nationale Charta mit den unbewaffneten Oppositions-Führern unter Zustimmung von Moskau und Washington aushandeln, und würde die Charta durch ein Referendum unter Beobachter-Kontrolle legalisieren.
Dieser Knalleffekt wurde von General Hassan Tourekmani (ermordet am 18. Juli 2012) und General Nikolay Bordyuzha seit langer Zeit vorbereitet. Eine gemeinsame Position der OKSV-Außenminister wurde am 28. September beschlossen und ein Protokoll zwischen der UN-Abteilung der Friedensmissionen und der OKSV unterschrieben. Diese hat jetzt die gleichen Vorrechte wie die NATO. Gemeinsame UN/OKVS-Simulationsübungen fanden in Kasachstan unter dem Titel „Unantastbare Bruderschaft“ (8. bis 17. Oktober) statt. Schließlich wurde ein Einsatzplan der “blauen Pelzmützen” im Rahmen des militärischen Ausschusses der Vereinten Nationen (8. Dezember) diskutiert.
Sobald Syrien stabilisiert ist, sollte eine internationale Konferenz für einen umfassenden Frieden zwischen Israel und seinen Nachbarn in Moskau stattfinden. Die Vereinigten Staaten denken, dass es nicht möglich sei, einen getrennten Frieden zwischen Israel und Syrien auszuhandeln, da die Syrer zuerst eine Lösung für Palästina im Namen des Arabismus fordern. Aber es sei auch nicht möglich, einen Frieden mit den Palästinensern auszuhandeln, weil sie sehr gespalten sind, es sei denn, Syrien würde sie zwingen, eine Mehrheits-Vereinbarung einzuhalten. Daher müsste jegliche Verhandlung global ausfallen und auf dem Modell der Madrid-Konferenz (1991) beruhen. Israel würde sich in diesem Fall so weit wie möglich auf seine Grenzen von 1967 zurückziehen. Die palästinischen Gebiete und Jordanien könnten verschmelzen, um den endgültigen palästinensischen Staat zu bilden. Seine Regierung würde der Muslimbruderschaft übertragen werden, was eine akzeptable Lösung in den Augen der aktuellen arabischen Regierungen sein könnte. Dann würden die Golanhöhen den Syrern zurückgegeben werden im Austausch für den Verzicht auf den Tiberias See, nach dem einst in den Shepherdstown Verhandlungen (1999) ausgedachten Schema. Syrien würde Garant für die Einhaltung des Vertrages für den jordanisch-palästinensischen Teil werden.
Wie in einem Dominospiel käme man dann zu der Kurdenfrage. Der Irak würde zerlegt, um ein unabhängiges Kurdistan zu schaffen und die Türkei würde ein föderaler Staat werden und ihrer kurdischen Region eine Autonomie gewähren.
Auf Seiten der USA wünschte man selbst den Umbau zu erweitern, bis zur Aufopferung Saudi-Arabiens, das überflüssig wurde. Das Land würde in drei Teile unterteilt, während einige Provinzen entweder der jordanisch-palästinensischen Föderation angefügt würden, oder dem schiitischen Irak, nach einem alten Pentagon-Plan (“Taking Saudi out of Arabia“, 10. Juli 2002). Diese Option würde es Washington ermöglichen, Moskau ein großes Einflussgebiet zuzugestehen, ohne einen Teil seines eigenen Einflussgebiets zu opfern. Das gleiche Verhalten wurde im IWF beobachtet, als Washington akzeptierte, die Stimmrechte der BRICS-Staaten zu erhöhen. Die Vereinigten Staaten traten nichts von ihrer Macht ab, und zwangen die Europäer, einen Teil ihrer Stimmen aufzugeben, um den BRICS-Staaten Platz zu schaffen.
Diese politisch-militärische Vereinbarung dient gleichzeitig als ein Energie-Wirtschaftsabkommen, da das eigentliche Ziel des Krieges gegen Syrien für die meisten Protagonisten die Eroberung seiner Gasreserven war. Große Ablagerungen wurden tatsächlich im Süden des Mittelmeeres und in Syrien entdeckt. Durch die Positionierung seiner Truppen im Land sicherte sich Moskau eine größere Kontrolle des Gasmarktes in den kommenden Jahren.
Das Geschenk der neuen Obama-Regierung an Wladimir Putin verdeckt mehrere Berechnungen: Nicht nur Russland vom Fernen Osten ablenken, sondern es auch einzusetzen, um Israel zu neutralisieren. Eine Million Israelis haben doppelte US-Staatsangehörigkeit, eine weitere Millionen spricht Russisch. Stationiert in Syrien, könnten die russischen Truppen die Israelis vom Angriff auf die Araber abhalten und die Araber vom Angriff auf Israel. Infolgedessen würden die Vereinigten Staaten nicht mehr gezwungen sein, phänomenale Summen für die Sicherheit der jüdischen Siedlung auszugeben.
Die neue Situation würde die Vereinigten Staaten zwingen, die regionale Rolle des Iran endlich anzuerkennen. Jedoch Washington möchte eine Garantie bekommen, dass Teheran sich aus Lateinamerika zurückzieht, wo es viele Verbindungen geflochten hat, vor allem mit Venezuela. Man kennt die iranische Reaktion nicht, was diesen Aspekt des Plans betrifft, aber Mahmoud Ahmadinedschad beeilte sich bereits, Barack Obama zu versichern, er werde alles in seiner Macht stehende tun, um ihm zu helfen, damit er Abstand von Tel Aviv nimmt.
Dieses Projekt hat Verlierer. Zuerst Frankreich und das Vereinigte Königreich, deren Einfluss schwindet. Dann Israel, seines Einflusses in den Vereinigten Staaten beraubt und auf seinen gerechten Anteil als Kleinstaat reduziert. Schließlich der Irak, der geteilt wird. Und vielleicht Saudi Arabien, das seit Wochen kämpft, um sich mit den Einen und Anderen zu versöhnen, um dem Schicksal zu entkommen, das ihm versprochen wurde. Es hat auch seine Gewinner. Zuerst Baschar Al-Assad, gestern als Verbrecher der Menschenrechte vom Westen angeprangert und morgen als Sieger der Islamisten verherrlicht. Und vor allem Wladimir Putin, der durch seine Hartnäckigkeit während des Konflikts erreicht, dass Russland seinem “Containment” entkommt, wieder in den Mittelmeerraum und den Nahen Osten einzieht und seine Überlegenheit auf dem Gasmarkt sichert.
Quelle: Text von Thierry Meyssan (Übersetzung Horst Frohlich) - Odnako (Fédération de Russie) / politaia.org