Der Jemen kommt nicht zur Ruhe: Waffenstillstand gebrochen, Initiativen gescheitert, Wien-Gespräche abgewartet
Archivmeldung vom 14.09.2022
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićDie Situation im Jemen wird immer komplexer, die Krise größer als jede Lösungsmöglichkeit. Der Waffenstillstand wird gebrochen, die Auswirkungen der Wiener Iran-Gespräche auf den Jemen sind schwer absehbar, und über die Rolle der Vereinten Nationen herrscht noch viel Unklarheit.
Die Vereinten Nationen bemühen sich, die Kluften zwischen den zerstrittenen Parteien des Jemen-Konflikts zu überbrücken. Sie wollen sie dazu bringen, eine umfassende politische Lösung zu erzielen. Doch davon sind sie jedoch noch weit entfernt.
Fünf Monate, nachdem die international anerkannte Regierung und die vom Iran unterstützte Huthi-Gruppe ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet haben, sind einige seiner Bestimmungen nicht mehr wert als die Tinte auf dem Papier. Das betrifft besonders die Lage in Taiz, der bevölkerungsreichsten Stadt des Jemen, vor allem im Hinblick auf die Besetzung der Fünf-Millionen-Stadt, die Blockaden der Straßen und Schließung der Häfen.
Im Rahmen des von den UN initiierten Abkommens gingen die Feindseligkeiten zunächst weitgehend zurück, aber Minen und Kriegsrelikte fordern weiterhin Zivilistenleben. Die von Saudi-Arabien geführte Militärkoalition stellte ihre Luft- und Bodenangriffe ein, und mehr als 33 Treibstoffschiffe konnten bisher in den Hafen von Hodeidah einfahren, beladen mit fast einer Million Tonnen diverser Ölderivate. Ferner konnten - erstmals seit Ausbruch des Konflikts - mehr als 15.000 Jemeniten über den Flughafen von Sanaa ausreisen. Doch trotz allem ist die Krise im Jemen größer als jede Lösungsoption.
Die Initiativen des UN-Sondergesandten Hans Grundberg und die Demonstration guten Willens durch die Konfliktparteien, also der Regierung und der Huthis, sind die Voraussetzung dafür, dass der Waffenstillstand umgesetzt wird. Der schwedische Diplomat Hans Grundberg, seit einem Jahr als Vermittler im Auftrag der UN aktiv, genießt Autorität, war er doch früher selbst Botschafter im Jemen, kennt den arabischen Raum und hat viele Jahre Erfahrung in Sachen Konfliktmanagement.
Die Vereinten Nationen haben ihre Bemühungen stark intensiviert und versuchen, aufbauend auf dem fragilen Waffenstillstand, einen umfassenden Friedensprozess einzuleiten, der alle Parteien einbezieht. Diese Bemühungen werden von der Europäischen Union unterstützt, insbesondere von Deutschland, das seit jeher eine starke Präsenz im Jemen hat und als Geberland seit Jahrzehnten einer der größten wirtschaftlichen Unterstützer von Sanaa ist. Berlin sieht keine Lösung des politischen und militärischen Konflikts in diesem Land außer durch Verhandlungen und Dialog.
Tatsächlich aber verhindern die tiefen Risse und Rivalitäten zwischen den lokalen Konfliktpartnern im Jemen das Ziel der Vereinten Nationen, die Kontrahenten zu einer politischen Lösung zu bewegen. Deren Friedenswille ist noch nicht ausgereift, weshalb alle Formeln von Lösungsinitiativen, egal ob sie von den Vereinten Nationen, den USA, ja sogar von Saudi-Arabien kommen, scheitern mussten.
Kurzer Blick zurück: Der Bürgerkrieg im Jemen brach im September 2014 aus, nachdem die Ansar Allah Al-Huthi, die laut ihren Gegnern vom Iran unterstützt wird, mit militärischer Gewalt die Kontrolle über die Hauptstadt Sanaa an sich gerissen und den Präsidenten und Premierminister des Landes festgenommen hatten. So durchlebt der Jemen, der in mehrere Krisen zeitgleich verstrickt ist, seit nunmehr acht Jahren einen Bürgerkrieg.
Ende März 2015 intervenierte eine von Saudi-Arabien angeführte Koalition militärisch mit dem Ziel, die legitime Autorität an der Macht wiederherzustellen und Sanaa aus den Händen der vom Iran unterstützten Huthis zu befreien.
2019 beendeten die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), nach Saudi-Arabien das zweitwichtigste Land in der Anti-Houthi-Militärkoalition, ihre Militärpräsenz im Jemen und zogen ihre gesamte Streitmacht von 18.000 Soldaten ab. Seither distanzierte sich Abu Dhabi schrittweise vom Engagement im Jemen und reduzierte seine Rolle auf politischer, militärischer und sogar medialer Ebene. Der damalige Rückzug der VAE bildete den Auftakt für die zukünftigen Optionen der Koalition. Diese Optionen wurden sukzessive realisiert, indem die militärischen Missionen vor Ort reduziert und weitgehend mit lokalen Streitkräften ersetzt wurden. Diese wurden von der Koalition während der Kriegsjahre mit Ausbildung und Bewaffnung unterstützt, woraus sich die Absicht des Anti-Huthi-Lagers ablesen lässt, auf Initiative der internationalen Gemeinschaft die Krise mit friedlichen Mitteln zu lösen.
Welchen Erfolg diese Bemühungen haben werden, hängt aber wesentlich auch davon ab, was in Wien ausgehandelt wird. Die harsche Erklärung vom Wochenende, in der Deutschland, Frankreich und Großbritannien "ernsthafte Zweifel" am iranischen Willen an einem Deal äußerten, wirkt zunächst wie ein Rückschlag des Verhandlungsprozesses. Gelingt es aber in Wient, das von US-Präsident Donald Trump aufgelöste Iran-Abkommen (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA) wiederzubeleben und die Sanktionen gegen den Iran zurückzufahren, würde sich das auch im Jemen auswirken. Sollte der Iran aus den Wiener Verhandlungen gestärkt hervorgehen, wird auch der Einfluss des Landes in der Region wieder zunehmen. Dabei dürften die Huthis wieder mit mehr Unterstützung aus Teheran rechnen und ihre Opposition gegen die international anerkannte Regierung des Jemen ausbauen. Trotz Waffenstillstands und trotz aller Friedensinitiativen der Weltgemeinschaft bleibt die Krise größer als jegliche Lösungsoption.
Quelle: Korrespondenten.eu (ots)