Ist mit einer Invasion der Taliban in Zentralasien zu rechnen?
Archivmeldung vom 06.07.2021
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Freigeschaltet durch Anja SchmittNachdem in der Nacht zum Montag mehr als 1000 afghanische Soldaten vor den näher rückenden Taliban nach Tadschikistan geflohen waren, befürchten die angrenzenden zentralasiatischen Republiken, dass den Soldaten Millionen von Zivilisten folgen werden. Als Flüchtlinge getarnt könnten auch Taliban-Kämpfer in die Länder vordringen. Dies berichtet das russische online Magazin „SNA News“ .
Weiter heißt es diesbezüglich auf deren deutschen Webseite: "Während die USA und ihre Nato-Partner sich beeilen, ihre Truppen aus Afghanistan abzuziehen, bringen die radikalislamischen Taliban immer größere Teile des Landes unter ihre Kontrolle. Mehr als 150 Bezirke sind bereits eingenommen, darunter auch weite Teile der Provinz Badachschan. Nach offiziellen Angaben Tadschikistans kontrollieren die Taliban auch 70 Prozent der gemeinsamen Grenze.
In der Nacht zum Montag sind über 1000 Soldaten der afghanischen Armee vor den vorrückenden Taliban ins benachbarte Tadschikistan geflohen. Die tadschikischen Grenztruppen haben sie unter Verweis auf gutnachbarschaftliche Beziehungen ins Land gelassen. Befürchtet wird nun, dass Millionen Flüchtlinge folgen werden. Tadschikistans Präsident Emomali Rahmon reagierte am Montag mit einer Verstärkung der Grenztruppen um 20.000 Reservisten.
Der offizielle Sprecher der Taliban, Sabihulla Mudschahid, betonte, die Taliban würden keine Angriffe auf Tadschikistan planen. Sputnik Tadschikistan zitiert ihn mit den Worten:
„Wir werden gute Beziehungen zu unserem befreundeten Land Tadschikistan pflegen. An den Grenzen wird Sicherheit hergestellt und es wird keinerlei Einmischung geben.“
Staaten verlegen ihre diplomatischen Vertretungen
Trotz dieses Versprechens wachsen die Sorgen in Tadschikistan, den anderen zentralasiatischen Republiken und Russland vor einem Vorrücken der radikalislamischen Taliban. Der russische Außenminister Sergej Lawrow zeigte sich zudem besorgt über den zugleich wachsenden Einfluss von ISIS im Norden des Landes. Wie Sputnik Tadschikistan berichtet, haben im afghanischen Masar-i-Scharif wegen der sich verschlechternden Sicherheitslage die Konsulate der Türkei, Pakistans und Irans zugemacht. Die USA würden derzeit an einem Plan zur Evakuierung aller ihrer Diplomaten aus Kabul arbeiten. Moskau hingegen erwägt, sein Truppenkontingent an der tadschikisch-afghanischen Grenze zu verstärken. Nach Einschätzung von Experten würde Russland auch Turkmenistan bei der Sicherung seiner Grenze helfen, sollte das nötig werden. Usbekistan hingegen verfügt über eine eigene, gut ausgebildete Armee.
Bei der Betrachtung der Lage dürfe nicht vergessen werden, welche Rolle die Türkei und Pakistan im innerafghanischen Konflikt spielten, schreibt Aleksandr Chrolenko, Kolumnist von Sputnik Tadschikistan. Der „Bruderstaat“ Türkei scheine unentschlossen – mal beschütze er den Flughafen in Kabul, mal verharre er tatenlos und warte auf Unterstützung durch die USA und Pakistan. Pakistan behaupte, es habe keine Druckmittel, um die Taliban zum Frieden zu zwingen. Dabei sei gerade Pakistan die „Wiege“ der Taliban gewesen und habe sie über Jahrzehnte mit Waffen und Ausbildungslagern auf dem eigenen Territorium unterstützt.
Große Fluchtbewegungen erwartet
Tadschikistan und die benachbarten zentralasiatischen Republiken befürchten große Flüchtlingsströme aus Afghanistan. Von den 38 Millionen der in Afghanistan lebenden Menschen besteht fast ein Drittel aus ethnischen Tadschiken, ein Zehntel aus Usbeken. Auch zahlreiche Turkmenen, Kirgisen und Kasachen leben in Afghanistan. Befürchtet wird außerdem, dass zusammen mit den Flüchtlingen auch Taliban-Kämpfer unbemerkt in die ehemaligen Sowjet-Republiken gelangen könnten.
Seit Ende April werden die Nato-Truppen aus Afghanistan abgezogen. Zuletzt räumten sie ihre größte Militärbasis Bagram, wo bis zu 30.000 Soldaten stationiert waren. Spätestens bis zum 11. September wollen die USA das Land verlassen haben. Laut der Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, könnte der vollständige Abzug sogar schon bis Ende August erfolgen. Die Bundeswehr hat in der vergangenen Woche ihre Truppen aus Afghanistan abgezogen, das Generalkonsulat in Masar-i-Scharif ist geschlossen worden. Für schutzsuchende afghanische Ortskräfte und ihre Familien hat die Bundesregierung bisher 2400 Visa erteilt, wie das Auswärtige Amt am Montag mitteilte.
Beobachter werfen den USA und ihren Verbündeten vor, nach 20 Jahren des exorbitant teuren und opferreichen Einsatzes ein instabiles und bitterarmes Land zurückzulassen. Wie die „Deutsche Welle“ berichtet, warnen US-Geheimdienste davor, dass die zerstrittene afghanische Regierung schon sechs Monate nach dem Abzug der letzten US-Truppen unter dem Druck der Taliban kollabieren könnte."
Quelle: SNA News (Deutschland)