Kromp-Kolb: "Frieden in Syrien ist keine Lösung"
Archivmeldung vom 23.04.2016
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie öffentliche Diskussion zu Themen wie Europa, Migration und die anhaltende Flüchtlingskrise konzentriert sich zu oft auf politische und wirtschaftliche Aspekte. Dass sowohl der "Arabische Frühling" als auch der Bürgerkrieg in Syrien seine Wurzeln letztendlich im Klimawandel beziehungsweise einer von ihm ausgelösten Dürrewelle findet, bleibt dabei meist unerwähnt. Wie die Österreichische Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb, Leiterin des Zentrums für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit an der Universität für Bodenkultur in Wien, im pressetext-Interview erklärt, bringt ein Frieden in Syrien daher noch lange keine Lösung des Flüchtlingsproblems.
Nachfolgend das von "pressetext" veröffentlichte Interview:
pressetext: Frau Kromp-Kolb, am 12. Mai werden Sie im Rahmen der Europäischen Toleranzgespräche in Fresach mit Experten aus verschiedensten Fachgebieten zum Thema "Die Grenzen Europas" diskutieren. Welche Expertise können Sie als Klimaforscherin einbringen?
Kromp-Kolb: Das Thema ist vielschichtig, weil das Wort "Grenzen" so vielschichtig ist. Mich interessieren primär die Grenzen des ökologischen Systems - also etwa: Wie viel Treibhausgase verträgt die Atmosphäre? Diese Frage hängt aber unmittelbar damit zusammen, wie viel Klimawandel die Welt verträgt. Und dies führt wiederum zu ethischen Fragen. Der Klimawandel macht deutlich, dass unser Planet als Quelle all unserer Ressourcen mit Ausnahme der Sonnenstrahlung begrenzt ist, sodass ein Wirtschaftssystem, dessen Stabilität von ständigem Wachstum abhängt, auf Dauer nicht funktionieren kann.
pressetext: Das diesjährige Jahresthema ist angesichts der Flüchtlingskrise ein Anlass für spannende Debatten. Welche Erwartung haben Sie in dieser Hinsicht an die Veranstaltung und welchen inhaltlichen Standpunkt werden Sie dort vertreten?
Kromp-Kolb: Ich bin sicher, dass sich mir bei der Veranstaltung neue Perspektiven eröffnen werden und ich bereichert wegfahren werde. Als Klimaforscherin werde ich darauf hinweisen, dass die industrialisierte Welt ganz wesentlich zur Entstehung von Flüchtlingskrisen beigetragen hat und weiterhin beiträgt, und zwar auf unterschiedlichste Weise. Eine oft unterschätzte Komponente ist der Klimawandel, der zum größten Teil auf unser Konto geht, und vor allem die Schwächsten trifft. Deswegen ist es wichtig, dass der im Abkommen von Paris konkretisierte Klimafonds, mit dem Minderungs- und Anpassungsmaßnahmen in den Schwellen- und Entwicklungsländern finanziert werden sollen, auch tatsächlich gefüllt wird - insbesondere von reichen Ländern wie Österreich.
pressetext: Die Gründe für Migration, Flucht und Vertreibung können vielfältiger Natur sein. Inwiefern spielt auch der Klimawandel eine wichtige Rolle?
Kromp-Kolb: Der Arabische Frühling, der unerwartete Bürgerkrieg in Syrien - sie haben Wurzeln in einer klimawandelbedingten Dürre. Diese hat in Syrien zwischen 2006 und 2011 rund 60 Prozent des Landes betroffen, Ernteausfälle und Verlust von Vieh in großem Stil waren die Folge. Etwa zwei bis drei Mio. Menschen waren direkt betroffen. Eine kurzsichtige Agrarpolitik, das Ausbleiben der notwendigen Hilfe für die Landbevölkerung und ein repressives politisches System sind weitere Zutaten zum Bürgerkrieg. Auch die Katastrophe von Darfour hat Wurzeln im Klimawandel. Der Klimawandel ist selten die einzige Ursache für Migration, aber in vielen Fällen trägt er zur Verschärfung einer schwierigen Situation bei oder ist sogar Auslöser von Kriegen und Migration. Das Problem wird also mit einem Friedensschluss in Syrien nicht aus der Welt geschafft.
pressetext: Sie waren 2014 eine der Initiatorinnen des ersten Österreichischen Sachstandsberichts zum Klimawandel. Wie haben Sie die Situation damals bewertet und was hat sich seitdem verändert?
Kromp-Kolb: Der Österreichische Sachstandsbericht Klimawandel 2015 wurde nach dem Vorbild der internationalen IPCC-Berichte für Österreich erstellt und war einer der ersten weltweit. Er trägt das Wissen über den Klimawandel in Österreich, seine Auswirkungen und die möglichen Maßnahmen zur Anpassung und Emissionsminderung zusammen. Er zeigt auf, dass der Klimawandel stattfindet - auch in Österreich; dass er sich verschärfen wird und die Auswirkungen dramatischer und teurer werden. Was in Österreich derzeit dagegen getan wird, reicht bei weitem nicht - Österreich kommt weder seiner internationalen Verantwortung nach, noch handelt es im eigenen Interesse klug. An diesem Befund hat sich nichts geändert.
pressetext: Obwohl der Weltklimarat bereits in seinem Jahresbericht 2013 klargestellt hat, dass die steigende Erderwärmung auf das Verbrennen von Kohle, Gas und Öl zurückzuführen ist, gibt es immer noch Stimmen, die von einer "Klima-Lüge" sprechen. Wie ist das zu erklären?
Kromp-Kolb: Bei einigen Personen vermute ich, dass sie einfach nur Medienaufmerksamkeit erregen wollen. Für die USA konnten Oreskes und Conway zeigen, dass die Klimaleugner im Kern dieselben Personen sind, die zunächst die Gesundheitsgefährdung des Rauchens, dann die Zerstörung der Ozonschicht und das luftverunreinigungsbedingte Waldsterben beharrlich infrage stellten. Die Strategie war und ist es, Zweifel an den wissenschaftlichen Ergebnissen aufrechtzuerhalten. Das Ziel ist das Verhindern staatlicher Eingriffe, die nach deren Meinung langfristig persönliche Freiheiten einschränken. Es geht also gar nicht um den Klimawandel, sondern um eine politische Ideologie. In vielen Fällen mögen aber auch gängige psychologische Mechanismen wie etwa Verdrängung durchschlagen. Denn wenn man die wissenschaftlichen Ergebnisse ernst nimmt, hat das Konsequenzen für das eigene Leben. Da ist es doch einfacher, den Klimawandel zu leugnen.
pressetext: Welche konkreten praktischen Tipps können Sie denjenigen Bürgern mitgeben, die ihren ökologischen Fingerabdruck im Alltagsleben nachhaltiger gestalten wollen?
Kromp-Kolb: Das Wichtigste ist, den Klimawandel als Chance zu begreifen, all das zu ändern, was man ohnehin schon immer ändern wollte: die Befreiung von materiellem Ballast und das Hinwenden zu den wahren Werten des Lebens - Familie, Freundschaft, Natur, Kultur, Bildung, Zeit. Dann fallen all die kleinen praktischen Maßnahmen leicht: Nur kaufen, was wirklich gebraucht wird, Haltbares und Reparierbares bevorzugen, qualitätsvolle saisonale Nahrungsmittel aus biologischem und regionalem Anbau auswählen und generell mehr Getreide, Gemüse oder Obst und weniger Fleisch, Käse oder Milch konsumieren. Auch das Energiesparen im Wohnbereich ist wichtig: sparsam heizen, kurz duschen, beim Kochen den Topfdeckel verwenden, Standby-Geräte ausschalten, bei der Neuanschaffung von Elektronik auf deren Energieeffizienz achten, Wärmedämmen, erneuerbare Energien nutzen. Man sollte auch auf eine gesunde Mobilität setzen, Flüge vermeiden und mehr gehen, Radfahren und öffentliche Verkehrssysteme nutzen. Es geht darum, Vorbild zu sein, andere zu gewinnen und über das zu sprechen, was man tut und weshalb man es tut - egal, ob in der Familie, im Beruf, in der Schule, den Vereinen oder auf Stammtischen.
pressetext: Vielen Dank für das Gespräch!
Quelle: www.pressetext.com/Markus Steiner