Notenbanken in Not
Archivmeldung vom 07.01.2023
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittRüdiger Rauls, von dem bereits verschiedene Artikel zu den Fragen der Zeit in namhaften Medien erschienen sind unter anderen bei Rubikon, KenFM, RT, SNA und Linke Zeitung schreibt, dass die derzeit grassierende Inflation die politische Stabilität der westlichen Gesellschaften und die Akzeptanz des demokratischen Gesellschaftssystems gefährdet. Bisher bedrohen nach seiner Erkenntnis nicht gekannte Preissteigerungen die Lebensgrundlagen vieler Menschen. Aber auch die Notenbanken geraten durch die Inflation unter Druck.
Rauls weiter: "Nach der großen Finanzkrise von 2008/9 hatten die Notenbanken die Märkte mit billigem Geld
geflutet, um den Zusammenbruch der Weltwirtschaft zu verhindern. Der Interbanken-Handel war
weitgehend zum Stillstand gekommen, weil sie sich untereinander nicht mehr trauten. Aber auch
gegenüber der Wirtschaft hielten sie ihre Taschen zu. Damit drohte die Finanzkrise auf die
Realwirtschaft durchzuschlagen und die ohnehin schon großen wirtschaftlichen Probleme noch
mehr zu verstärken. Aber nicht nur Banken und die Wirtschaft schwächelten. Ganze Staaten
taumelten am Abgrund. Das weltweite Währungssystem stand vor dem Zusammenbruch.
Die Notenbanken öffneten die Geldschleusen und stellten den Finanzmärkten Liquidität in bisher
nicht gekannter Größenordnung zur Verfügung. Mit den Geldmengen sanken auch die Zinsen und
retteten viele bedrohte Banken und Staaten. Die Unternehmen erhielten wieder Kredite. Die
Wirtschaft begann sich zu erholen.
Den Zusammenbruch der Weltwirtschaft zu verhindern, war die vorrangige Aufgabe nach dem
Debakel der Lehman-Pleite. Die Geldschwemme war die Operation am offenen Herzen des
Kapitalismus. Aber die Krise war überstanden, aber nicht für alle ging es gut aus. Weltweit waren
nach OECD-Angaben etwa 20 Millionen Arbeitsplätze vernichtet, die Lebensgrundlagen vieler
Menschen zerrüttet. Die Wirtschaftsleistung der meisten Staaten konnte das Vorkrisen-Niveau nicht
wieder erreichen.
Liquiditätsschwemme
In den Zeiten vor der Lehman-Pleite wurde neue Liquidität dem Markt zugeführt, indem die
Notenbanken eine gewisse Geldmenge zur Versteigerung anboten. Geschäftsbanken, die sich um
Zuteilung bewarben, gaben Gebote ab, zu welchem Zinssatz sie Kapital erwerben wollten. Den
Zuschlag erhielten die Meistbietenden. Über dieses Verfahren wurden Zins und Geldmenge am
Markt reguliert. Letztere wuchs entsprechend dem Bedarf am Markt und die Zinssätze entsprechend
dessen Aufnahmefähigkeit. Um die Rückzahlung zu gewährleisten, hatten die Banken erstklassige
Sicherheiten hinterlegen müssen, in der Regel Anleihen mit AAA-Rating, der höchsten Einstufung,
die die Agenturen vergaben.
Jedoch unter den veränderten Bedingungen der Finanzkrise hätte nach diesem bisherigen Verfahren
nicht genügend Liquidität in den Markt gegeben werden können, um die Finanzprobleme zu lösen.
Im Jahr 2011 verschärfte sich die Kreditklemme in Europa. Besonders groß war das Misstrauen
gegenüber den südeuropäischen Banken. Diese konnten sich wegen ihrer schlechten Ausstattung
mit Eigenkapital kaum noch Geld auf den Finanzmärkten besorgen. Aufgrund dieser Unsicherheiten
zogen sich auch immer mehr private und institutionelle Anleger aus europäischen Staatsanleihen
zurück Die Staaten bekamen nicht mehr genug Geld mehr, um ihre Aufgaben wahrzunehmen.
Ab Ende 2011 stellte die EZB den Banken Liquidität in nahezu unbegrenzter Menge zu
unvergleichlich günstigen Konditionen zur Verfügung. Die Banken kauften diese europäischen
Staatsanleihen zu günstigen Kursen und guter Verzinsung mit dem billigen Geld der EZB. Die
Kurse der Staatsanleihen erholten sich, das Misstrauen der Banken untereinander ging zurück. Die
Banken steigerten wieder die Kreditvergabe an Unternehmen und Private. Hunderte von Milliarden
gelangten so in den Markt.
Dennoch kam die Konjunktur nicht in Schwung; die deflationären Tendenzen in der Wirtschaft
nahmen zu sogar bis in den Bereich negativer Inflationsraten. Um die Banken zur Kreditvergabe zu
zwingen, führte die EZB Negativzinsen ein für Gelder, die die Banken auf ihren EZB-Konten
parkten. Darüber hinaus kaufte sie den Geschäftsbanken deren Wertpapiere ab. Das brachte wieder
Geld in den Kreislauf. Die EZB schöpfte neues Geld und erhielt dafür Anleihen und andere
Wertpapiere. Sie hatte ihre Bilanzen ausgeweitet und damit erneut weitere Liquidität geschaffen.
Das war aber nicht nur bei der EZB so. Ähnliches hatte auch schon die Bank von Japan seit der
Immobilienkrise Ende der 1980er Jahre getan und andere Notenbanken auch.
Gefahren der Notenbankkäufe
Das ist der Vorgang, der oftmals als Geldschöpfung aus dem Nichts bezeichnet wird. Das ist aber
nichts Neues. So ist Geldschöpfung immer vonstatten gegangen, das Verfahren hat sich nicht
geändert. Neu waren nur die Summen. Neu war auch, dass die Notenbanken selbst regelmäßig
Anleihen aufkauften und das Geld der fällig gewordenen Anleihen wieder investierten in neue
Anleihekäufe.
Neu war vor allem, dass die EZB immer häufiger Anleihen geringerer Bonität kaufte. Da die
Notenbank als zusätzlicher Käufer an den Märkten auftrat, waren die Anleihen höchster Qualität
knapp geworden. Um aber weiterhin Geld in den Markt geben zu können, ging sie später dazu über,
schlechter bewertete Anleihen, das heißt Anleihen mit höheren Ausfallrisiko, auf ihre Bücher zu
nehmen. Dadurch stieg das Verlustrisiko der Notenbank. Jedoch stellte dieses Risiko bisher keine
Gefahr dar, vielmehr verdienten die Notenbanken an den Zinsen, die auf die Anleihen ausgeschüttet
wurden.
Gefährlicher sind für die Notenbanken mittlerweile die eigenen Leitzinserhöhungen. Die
Geschäftsbanken verfügen über Konten bei der Notenbank, auf denen die Gelder parken, die sie bei
der Notenbank aufgenommen haben. Auf diese Gelder zahlen sie zwar Zinsen, andererseits aber
erhalten sie auf diese Einlagen Guthabenzinsen. Diese sind mittlerweile höher als die Zinsen, die sie
zahlen müssen.
Zudem gehen die Kurse der Anleihen zurück, die die EZB seinerzeit den Geschäftsbanken
abgekauft hatte, um die Zinsen niedrig zu halten. Der aktuelle Anstieg der Inflation in der Eurozone
sorgt für eine Umschichtung der Anleihen. So „warfen Investoren ... niedriger verzinste
Staatsanleihen aus ihren Depots. Dies trieb die Rendite der zehnjährigen Bundestitel auf 2,145
Prozent von 2,083 Prozent am Vortag“(1).
So lange mit steigenden Zinscoupons zu rechnen ist, dürfte sich diese Entwicklung fortsetzen. Die
Anleihen, die die EZB seinerzeit von den Geschäftsbanken erworben hatte, sind heute weniger
Wert, als die EZB dafür gezahlt hat. Will also die europäische Notenbank keinen Verlust durch
vorzeitigen Verkauf erleiden, muss sie die Anleihen bis zur Endfälligkeit halten.
Diese Entwicklung betrifft aber nicht nur die EZB. Die Schweizerische Zentralbank meldete für die
ersten neun Monate des Jahres 2022 einen Verlust von 142 Milliarden Franken, die australische
Zentralbank einen Buchverlust von 36,7 Milliarden Austral-Dollar. Damit wies sie ein negatives
Eigenkapital von 12,4 Mrd Austral-Dollar aus. Mit solch einem negativen Eigenkapital wäre ein
Wirtschaftsunternehmen überschuldet. Die Bilanz für die EZB liegt noch nicht vor. Der Saldo
zwischen An- und Verkäufen kann noch nicht gezogen werden, weil sie die meisten Anleihen noch immer im Bestand hat.
Zahlungsfähigkeit gefährdet
Welche Auswirkungen haben solche Verluste und negativen Bilanzen der Notenbanken für deren
Zahlungsfähigkeit? Vordergründig vorerst keine. Im äußersten Notfall sind da immer noch Staat und
Steuerzahler, die für die Notenbanken gerade stehen müssen. Andererseits sind die Notenbanken
aber auch in der Lage, das Geld selbst zu schaffen, das sie zum Ausgleich ihrer Bilanz benötigen.
Das sind die Antworten der Wirtschaftswissenschaft und der sogenannten Experten, die bisher aber
noch nicht einem Test an der Wirklichkeit unterzogen wurden.
Die Unabhängigkeit der Notenbanken ist ein Trugschluss. Sie sind wohl unabhängig in ihren
Entscheidungen von Weisungen ihrer nationalen Regierungen. Aber sie sind nicht unabhängig von
den internationalen Märkten, das heißt vom Verhalten der Anleger. Denn wenn diese nicht kaufen,
haben Experten, Staaten und Notenbanken die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Zudem stellt sich
dann die politische Frage, ob diese Unabhängigkeit nur für die guten Zeiten gelten und in den
schlechten dann wieder der Steuerzahler für die Interessen internationaler Anleger herhalten soll?
Das Missverhältnis zwischen den Käufen der Anleger und der Kapitalnachfrage der Staaten scheint
zu wachsen. Denn der Anteil der von den Notenbanken erworbenen Anleihen nimmt stetig zu.
Entweder haben zu wenig Anleger ein Interesse am Kauf dieser Anleihen oder aber das private
Kapital in seiner Gesamtheit reicht nicht mehr aus, um die Anleihemengen der Finanzmärkte
aufzunehmen.
Wie auch immer: Notenbanken sind deshalb gezwungen, als Käufer einzuspringen und private
Nachfrage durch öffentliche zu ersetzen. Dabei schaffen sie selbst das Geld in eigener Währung und
kaufen damit die Anleihen des eigenen Staates. Das ist letztlich die Staatsfinanzierung durch die
Notenbank, die nach den Theorien der Wirtschaftswissenschaft eigentlich nicht stattfinden sollte.
Denn es handelt sich dabei um das Trugbild eines funktionierenden Marktes.
Dennoch und entgegen allen Theorien scheint es zu funktionieren, wie Japan seit Jahrzehnten schon zeigt. „Seit 2013 hält die Notenbank mehr als die Hälfte der ausstehenden japanischen
Staatsanleihen in ihren Büchern“(2).
Schluss mit Lustig
Die Frage ist, unter welchen Bedingungen diese Konstruktion überlastet sein wird. Wie lange
spielen die privaten Investoren noch mit und kaufen weiter? Wann beginnen Unsicherheit und
Zweifel an diesem System zu wachsen? Denn die Kluft zwischen dem öffentlichen Finanzbedarf
und dem Kaufinteresse der Anleger scheint immer größer zu werden. „Der Bund muss 2023 am
Anleihemarkt die Rekordsumme von 539 Milliarden Euro aufnehmen“(3), zwanzig Prozent mehr
als im Jahr davor, wo auch schon 483 Milliarden aufgenommen worden waren.
Das sind über eine Billion Euro in zwei Jahren, was „für zusätzlichen Aufwärtsdruck bei den
Renditen“(4) langlaufender Anleihen sorgen dürfte. Wegen der geringen Nachfrage nach ihren sonst
so begehrten Anleihen musste die Kreditanstalt für Wiederaufbau bereits ungewöhnlich hohe
Risikoaufschläge anbieten, um Abnehmer für ihre Anleihen zu finden. Selbst die amerikanischen
10-jährigen Staatsanleihen verzeichneten im Jahr 2022 Kursverluste von über 25 Prozent und lagen
damit nur einen Platz besser als russische Aktien(5).
Es stellt sich somit die Frage, ob dieses Missverhältnis zwischen dem Finanzbedarf der Staaten und
dem Kaufinteresse der Anleger vorübergehend ist oder strukturell. Vorübergehendes Misstrauen
könnte überwunden werden, indem die Staaten ihre Ausgaben reduzieren und damit das Vertrauen
der Anleger in die staatliche Schuldentragfähigkeit wiederherstellen. Dabei besteht allerdings die
Gefahr wachsender politischer Instabilität.
Schwieriger zu beheben wäre ein strukturelles Missverhältnis, wenn also nicht mehr genügend
privates Kapital vorhanden ist, um die Mengen der Staatsanleihen zu kaufen, die auf den Markt
drängen. Die Staaten wären dann vermutlich gezwungen, in ihrem Werben um Käufer für ihre
Anleihen sich mit den angebotenen Zinssätzen zu überbieten. Wenn das nicht ausreicht, müssten
ihre Notenbanken die eigenen Staatsanleihen aufkaufen, wie es viele, vor allem westliche
Notenbanken mit ihren Anleihe-Kaufprogrammen seit Jahren schon praktizieren.
Das heißt aber auch, dass die Notenbanken mehr Geld schaffen müssen für den Kauf der eigenen
Anleihen. Das läuft jedoch den Plänen zuwider, die eigenen Bilanzen zu reduzieren. Denn das geht
nur über den Verkauf von Anleihen aus dem Altbestand. Doch wer soll diese Anleihen kaufen, die
über eine schlechtere Rendite verfügen als jene, die neu auf den Markt kommen? Unter diesen
Bedingungen geht das nur unter Verlusten gegenüber den Kaufkursen.
Werden jedoch weiterhin Anleihen gekauft, wachsen die Geldmengen weiter besonders in Dollar
und Euro. Was aber sollen deren Besitzer noch dafür kaufen, wenn immer mehr Staaten aus dem
Dollar aussteigen oder ausgeschlossen werden? Den wachsenden westlichen Geldmengen steht eine
schrumpfende Menge von Güter gegenüber, die in diesen Währungsräumen hergestellt werden. Und
deren Preise im Vergleich besonders zu China immer weniger konkurrenzfähig. Denn die
protektionistischen Maßnahmen des Westens, begonnen mit Trumps Zöllen gegen chinesische und
europäische Produkte, aber auch die Schranken des europäischen Green-Deal und des neusten
Inflation Reduction Act (IRA) der USA, führen zu höheren Preisen, weil sie günstigere Anbieter
vom Markt ausschließen. Das schützt zwar die heimische Wirtschaft, aber nur um den Preis
nachlassender Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt.
Was aber kaufen mit den Dollars und Euros, wenn deren Produkte immer teurer werden und die
Welt zunehmend in Yuan, Rubel und anderen nationalen Währungen Handel betreibt? Schon jetzt
steigen Rubel und Yuan im Wert gegenüber den westlichen Währungen. Was wird aus Dollar und
Euro, wenn die Sanktionierten dieser Welt, die immer mehr werden, sich immer enger
zusammenschließen und eine eigene Reservewährung schaffen, was sich bereits abzeichnet? Was
sind die gewaltigen Mengen an Dollar und Euro dann noch wert? Denn letztlich sind Währungen
immer Zahlungsmittel für Waren und Dienstleistungen. Daraus ermisst sich ihr Wert(6).
Datenbasis
(1) Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.12.2022: Notenbanker verhageln die Stimmung
(2) FAZ 21.12.2022: Die Bank von Japan schockt die Finanzmärkte
(3) FAZ 15.12.2022: Bund flutet den Markt mit neuen Anleihen
(4) FAZ 15.12.2022: Bund flutet den Markt mit neuen Anleihen
(5) FAZ 31.12.22: Was im Jahr 2022 aus 100.000 Euro wurde
(6) Rüdiger Rauls: Wie funktioniert Geld?
Rüdiger Rauls, Jahrgang 1952, ist Reprofotograf sowie Autor mehrerer Bücher. Die bekanntesten sind „Wie funktioniert Geld?“, „Zukunft Sozialismus“, „Kolonie Konzern Krieg“ und „Die Entwicklung der frühen Gesellschaften“.
Quelle: Rüdiger Rauls