EuGH-Urteil könnte Österreichs Zuckerfabriken den Garaus machen
Archivmeldung vom 20.02.2023
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićÖsterreichs Rübenbauern sind sauer auf die EU. Durch ein neues Verbot gefährdet diese nicht nur die Existenz vieler heimischer Landwirte, sondern auch die Produktionsstätten von gutem heimischen Zucker. Dies berichtet das Portal "AUF1.info".
Weiter berichtet das Portal: "In der Marchfeldgemeinde Leopoldsdorf, in der eine von insgesamt zwei noch existierenden Zuckerfabriken Österreichs steht, wurde gestern von Betriebsangehörigen im Verein mit SPÖ-Mandataren des Landes Niederösterreich die „Absicherung der heimischen Zuckerproduktion“ gefordert. Denn die Zuckerfabrik Leopoldsdorf sei ein wichtiger Baustein für die Eigenversorgung mit hochqualitativem Zucker, betont Betriebsrat Dietmar Hubek und verlangt dringend eine Lösung des neuen, von der EU verursachten Problems.
Fatale EuGH-Entscheidung
Der Auslöser für Hubeks Hilfeschrei ist die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), demzufolge Zuckerrübensaatgut nicht mehr mit Neonicotinoiden, also mit hochwirksamen Insektiziden, behandelt werden darf. Für Neonicotinoiden zur Bekämpfung von Schädlingen wie beispielsweise den „Rübenderbrüssler“ – nomen est omen – gibt es nach Ansicht der Betroffenen in den östlichen österreichischen Zuckerrüben-Anbaugebieten keine Alternative.
In Oberösterreich ist der Rübenanbau hauptsächlich von Erdflöhen und Blattläuse bedroht, bestätigt Agrar-Landesrätin Michaela Langer-Weninger (ÖVP). Doch auch hier wäre der alleinige Biozuckerrübenanbau, bei dem keine Insektizide zum Einsatz kämen, nach Auskunft von Fachleuten nicht die Lösung des Problems.
Nur Bio-Zucker gefährdet Versorgungssicherheit
Nach Ansicht von Martin Bäck, dem Obmann der oberösterreichischen Rübenanbaugenossenschaft, wäre bei einem reinen Bioanbau sogar die Versorgungssicherheit gefährdet. Warum? Weil mit Bio-Zuckerrüben eine Zuckerfabrik höchstens fünf Tage im Jahr ausgelastet werden könne, doch für einen wirtschaftlichen Betrieb seien mehr als 100 Tage erforderlich, erklärt Bäck.
Das EuGH-Urteil sei der Todesstoß für unsere Zuckerproduktion, konstatiert Ernst Karpfinger, der Präsident der Vereinigung der heimischen Zuckerrübenbauern. Er ist auch überzeugt, dass Neonicotinoiden in pilliertem Rübensaatgut nicht bienenschädlich ist, was immer wieder behauptet werde. Gestützt wird seine Erkenntnis durch das schon seit Jahren laufende Bienenmonitoring, heißt es.
Alternative belasteter Billig-Zucker aus Übersee
Leider gebe es trotzdem keine Notfallzulassung mehr, bedauert Karpfinger. Damit sei das Tor für Zuckerimporte aus Übersee weit geöffnet. Allerdings würden dort nicht jene hohen Produktionsstandards gelten, wie sie in der EU und bei uns üblich sind. Bei der Zuckerproduktion in Übersee, beispielsweise in Brasilien, kämen nämlich die in Österreich längst verbotenen Pflanzenschutzmittel zum Einsatz, sagt Franz Waldenberger, der Präsident der Landwirtschaftskammer Oberösterreich.
Schon im letzten Jahr sind die qualitativ fragwürdigen Zuckerimporte stark angestiegen, was der EU jedoch egal zu sein scheint. Zudem führt diese wieder Verhandlungen über das Mercosur-Freihandelsabkommen, was Karpfinger als „heuchlerische Doppelmoral“ der EU geißelt.
Unselige Umwelt-NGO
Durch die Zuckerimporte werden Pestizide wieder durch die Hintertür eingeführt, erregt sich nicht nur die niederösterreichische SPÖ-Abgeordnete Katharina Kucharowits. Und Karpfinger weiß, dass von Umwelt-NGO schon seit Jahren mit fragwürdigen Studien Druck auf die Europäische Kommission ausgeübt wird, um damit Entscheidungen herbeizuführen, mit denen unsere Versorgungssicherheit und die Qualität der Lebensmittel extrem gefährdet wären. Was die Verschlechterung der Zuckerqualität anbelangt, erreicht man dies nun wohl sehr schnell mit einer strengen Umsetzung des jüngsten EuGH-Urteils, befürchtet die oberösterreichische Agrarlandesrätin.
„Notfallzulassung“ wird gefordert
Für die niederösterreichische Zuckerfabrik in Leopoldsdorf – wie auch für die in Tulln – könnte das Urteil schon bald ihr jeweiliges Ende bedeuten, wenn man auf das EuGH-Urteil nicht reagiert. Der Leopoldsdorfer Bürgermeister plädiert für eine Beibehaltung der früheren Zuckeranbaumodalitäten und somit für eine weitere „Notfallzulassung“, also die Weiterverwendung von Neonicotinoiden beim Rübenanbau im Marchfeld.
Der Leopoldsdorfer Bürgermeister Clemens Nagel (3.v.r.) mit dem Zukerfabrik-Betriebsrat Dietmar Hubek (l,) und besorgten Abgeordneten vor der bedrohten Zuckerfabrik im Marchfeld. (Foto: Walter Vymyslicky)
Dabei gehe es nur um den Einsatz von gebeiztem Saatgut, wodurch – im Vergleich mit anderen Pestiziden – 25 Mal weniger Schadstoffe in die Ackerflächen gelangten, argumentiert der Bürgermeister, der leicht verzweifelt ist: Denn bei einer Schließung der Zuckerfabrik würde es auf einen Schlag mindestens 200 Arbeitslose im Ort geben, was sich dann die EU auf ihre Fahnen schreiben darf.
Leopoldsdorf droht Arbeitslosigkeit
Von Arbeitslosigkeit betroffen wäre vermutlich auch der Gastronom Andreas Sinnhuber, der das Fabriksgasthaus im 3.000 Einwohner zählenden Leopoldsdorf betreibt, wo es ohnehin nicht mehr viele Gaststätten gibt. Vermutlich müsste dann wohl auch die Betreiberin eines Cafés im Ort schließen, die dem Vernehmen nach auch viele Zuckeranbauflächen besitzt. Für jede Fläche, die nicht mehr bewirtschaftet werden kann, soll es zwar ein bisschen Geld von der EU geben, das aber kaum einer der derzeitigen Zuckerrübenbauer haben möchte. Diese wollen viel lieber weiter ihren Grund und Boden mit dem Anbau von Zuckerrüben bewirtschaften.
Noch wird in Leopoldsdorf guter heimischer Zucker produziert. (Foto: Walter Vymyslicky)
Quelle: AUF1.info