Iran dementiert Pläne zur Internet-Abkopplung
Archivmeldung vom 11.04.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Iran rudert bezüglich Meldungen über eine baldige Trennung des nationalen Internets vom globalen Netzwerk zurück. Äußerungen des Kommunikationsministers Reza Taghipour, wonach ausländische Suchmaschinen im Iran schon ab Mai nicht mehr zu erreichen sein sollen, bezeichnet das Regime in Teheran jetzt als Aprilscherz. Die Registrierungsphase für eine rein iranische Suchmaschine mit angeschlossenem Mail-Dienst soll nach internationalen Medienberichten aber schon begonnen haben. Anmeldungen sind angeblich nur nach Prüfung von Identität und Wohnadresse möglich.
"Seit kurzem scheinen sich die Bemühungen des Iran zur Kontrolle des Informationsflusses zu verstärken. Berichten zufolge wird sogar die Internetseite der Olympischen Spiele geblockt. Beängstigend ist auch die Ankündigung von Ayatollah Khamenei letzten Monat. Er will einen 'Obersten Rat für den virtuellen Raum' einführen, der die Bemühungen, das Internet zu kontrollieren, bündeln und vorantreiben soll. Das würde vermutlich zu einer Verschlechterung der Situation führen", sagt Naomi Hunt vom Internationalen Presseinstitut gegenüber pressetext.
Ab August sollen aus dem Iran nur noch Webseiten zugänglich sein, die der Regierung unbedenklich erscheinen. Alle anderen Inhalte sollen geblockt werden. Das Regime in Teheran bezeichnet alle diesbezüglichen Berichte als "Propaganda feindlicher Medien". Ein Interview mit Taghipour, auf das sich die Medien berufen, wird als Aprilscherz abgetan, obwohl Berichte erst am 9. April erschienen sind.
"Wenn es um kontroversielle Vorschläge geht, ist es eine gängige Taktik von Regierungen, Vorstöße zu wagen und anschließend wieder zurückzurudern. Im Iran gibt es sicher ein Zensurproblem, es gibt weder Post- noch Informationsgeheimnis", sagt Amnesty-International-Österreich-Generalsekretär Heinz Patzelt gegenüber pressetext.
Bestehende Zensur
Spekulationen über verschärfte Internetzensur im Iran gibt es immer wieder. Das iranische Wirtschaftsministerium erklärte vor rund einem Jahr, dass die Regierung ein "Halal-Netz" einzurichten gedenke. Schon damals war geplant, den Zugriff auf einige erlaubte Angebote zu beschränken. Außerdem sollte auch der Zugriff aus dem Ausland reguliert werden, um die Infrastruktur vor Stuxnet-ähnlichen Attacken zu schützen. "Die Kontrolle ist technisch nicht so ausgereift wie in China", sagt Patzelt. Kurzzeitige Beschränkungen des Zugriffs auf ausländische Services gibt es im Iran trotzdem immer wieder.
"Der Iran hat verschiedenste Maßnahmen eingeführt, um zu verhindern, dass die Bevölkerung Zugriff auf Informationen erhält. Webseiten werden geblockt, Suchbegriffe gefiltert und Übertragungen ausländischer Radiosender unterbunden", sagt Hunt.
Im Februar, zum 33. Jahrestag der iranischen Revolution, waren westliche Suchmaschinen und soziale Netzwerke nicht erreichbar. Oppositionelle Internetangebote werden ebenfalls regelmäßig gesperrt. Die technische Infrastruktur zum Zugang des Netzes liegt in der Hand staatlicher Unternehmen. Die Regierung hat daher Zugriff auf jeglichen unverschlüsselten Datenverkehr im Iran. Seit Anfang 2012 müssen sich auch die Besucher von Internetcafes verpflichtend registrieren, Identitätsprüfung inklusive.
Technische Zugangshürde
Technisch versierte Internetnutzer finden immer Mittel und Wege, um die staatliche Kontrolle des Internet zu umgehen. Durch strengere Maßnahmen kann die Regierung den Aufwand aber so weit in die Höhe treiben, dass nur noch eine relativ kleine Gruppe mit entsprechendem Know-how freien Zugang zu Information erhält. Die Ressourcen, die der Iran bisher in ein technologisch ausgereiftes System zum Filtern von Netz-Inhalten investiert hat, lassen nicht darauf schließen, dass die Regierung ihre Bestrebungen in diese Richtung künftig vernachlässigen wird.
Die Netz-Proteste nach den Präsidentenwahlen 2009 haben die Furcht der iranischen Regierung vor einem freien Internet nur weiter verstärkt. Vergangenes Jahr hat ein Sprecher des Regimes in Teheran zwar verkündet, dass die Bemühungen, das Internet zu kontrollieren, gescheitert sind. Dass die Regierung einen erneuten Anlauf unternimmt, sich vom globalen Netz abzuschotten, erscheint trotzdem nicht unwahrscheinlich.
Quelle: www.pressetext.com/Markus Keßler