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Wolfgang Bosbach fordert Konsequenzen aus US-Spähaktionen

Archivmeldung vom 06.07.2013

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 06.07.2013 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Wolfgang Bosbach Bild: CDU/CSU-Fraktion
Wolfgang Bosbach Bild: CDU/CSU-Fraktion

Die umfassenden Ausspähaktionen des US-Geheimdienstes NSA belasten die transatlantischen Beziehungen. US-Präsident Barack Obama hat nun in einem Telefonat mit Kanzlerin Angela Merkel zwar versichert, dass er die Bedenken der europäischen Partner sehr ernst nehme und Informationen über die NSA-Aktivitäten zur Verfügung stellen werde, aber der Vertrauensverlust ist groß. "Von Partnern in einer Wertegemeinschaft muss man erwarten, dass sie fundamentale Freiheits- und Bürgerrechte verteidigen und nicht außer Kraft setzen", sagte der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach im Gespräch mit unserer Zeitung. Er fordert, dass die am Montag beginnenden Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA ergänzt werden um die Themen Datensicherheit und Schutz vor Industriespionage.

Herr Bosbach, Sie haben mit Blick auf die Datenspionage des US-Geheimdienstes NSA Konsequenzen für das geplante Freihandelsabkommen der USA mit der EU gefordert. Welche Konsequenzen könnten das sein?

Wolfgang Bosbach: Das Freihandelsabkommen hat sowohl für die USA als auch für die EU eine große wirtschaftliche und politische Bedeutung. Aber es muss dringend um die Kapitel Datenschutz, Datensicherheit und Schutz vor Industriespionage ergänzt werden. So wichtig ein freier Handel ist, so wichtig ist auch der Schutz nicht nur der privaten Kommunikation, sondern auch von Betriebsgeheimnissen wie zum Beispiel sensiblen Forschungsergebnissen, die für die Unternehmen von überragender wirtschaftlicher Bedeutung sein können.

Kanzlerin Angela Merkel hat verärgert auf die jüngsten Enthüllungen reagiert. Wenn sich bestätige, dass die NSA diplomatische Vertretungen der EU und europäischer Länder ausgespäht habe, sei das "inakzeptabel". Sehen Sie das genau so?

Bosbach: Da hat sich die Kanzlerin noch sehr diplomatisch ausgedrückt. Das ist unter keinem Gesichtspunkt akzeptabel. Hier drängt sich der Eindruck auf, als sei Terrorabwehr oft nur ein Vorwand für Spionagetätigkeit, die wir in diesem Ausmaß eigentlich nur aus der Zeit des Kalten Krieges kennen. Die Amerikaner werden ja wohl nicht ernsthaft bei Institutionen der EU in New York oder Washington Unterstützung für den internationalen Terrorismus vermuten.

Wie groß ist Ihrer Meinung nach der entstandene Schaden im transatlantischen Verhältnis?

Bosbach: Es gibt eine Vertrauenskrise - und ich fürchte, sie wird bleiben, wenn die Fragen, die die Bundesregierung an Washington und London gerichtet hat, nicht überzeugend beantwortet werden. Wir haben immer betont, dass wir uns mit Großbritannien nicht nur in der Wirtschaftsgemeinschaft EU oder mit den USA in der Verteidigungsgemeinschaft NATO befinden, sondern dass dies Wertegemeinschaften sind. Und von Partnern einer Wertegemeinschaft muss man erwarten, dass sie fundamentale Freiheits- und Bürgerrechte verteidigen und nicht außer Kraft setzen.

US-Präsident Barack Obama hat den Europäern Aufklärung zugesagt und betont, man prüfe den "Spiegel"-Artikel. Es sei noch unklar, welche Geheimdienstprogramme darin genau angesprochen worden seien. Wenn dies geklärt sei, würde er "unsere Verbündeten angemessen unterrichten". Muss man aus dieser Aussage ableiten, dass Washington nur das zugibt, was ohnehin durchgesickert ist?

Bosbach: Es ist durchaus möglich, dass Präsident Obama nicht jede Einzelheit der Ausspähungsprogramme kennt. Das macht die Sache aber nicht besser. Seit geraumer Zeit wird befürchtet, dass sich Geheimdienste selbstständig machen und sich einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle entziehen können. Sowohl die USA als auch Großbritannien haben nach den verheerenden Terrorangriffen ihren Geheimdiensten sehr weitreichende Befugnisse gegeben. Das ist vor dem Hintergrund der dramatischen Erfahrungen mit dem Terror zwar verständlich, rechtfertigt aber nicht Ausspähungsprogramme, die die komplette Kommunikation erfassen, und sogar die Speicherung von Kommunikationsinhalten, die keine Sicherheitsrelevanz haben.

Die USA haben ein Heer von Mietspionen engagiert - auch um die enormen Mengen an Daten besser auswerten zu können. Ist davon auszugehen, dass diese Privatunternehmen Daten nicht nur an die US-Behörden weiterreichen, sondern auch noch auf dem "digitalen" Markt verkaufen?

Bosbach: Das ist genau die sich daran anschließende Frage. Wenn Großbritannien und die USA behaupten, die ausgespähten Informationen würden nur auf Servern der Sicherheitsdienste lagern, beruhigt mich das nicht. Die Frage ist, wer unter welchen Voraussetzungen auf diese Daten zugreifen kann. Und wer diese Daten zu welchem Zweck nutzt. Natürlich werden beide Staaten behaupten, dass die Analyse der Daten nur zu Sicherheitszwecken stattfindet. Aber wenn auch Daten gespeichert werden, die keine Relevanz zur Gefahrenabwehr haben, stellt sich die Frage, warum dann überhaupt eine Speicherung stattfindet.

Sie haben Wirtschaftskriminalität angesprochen. Es gibt aber noch andere Aspekte: Sind Informantenschutz von Journalisten oder Anwaltsgeheimnisse nur noch leere Hüllen, wenn der gesamte Datenverkehr von Telefonat, E-Mail bis zur SMS ausgespäht werden kann?

Bosbach: Das kommt noch hinzu. Außerdem ist es ein entscheidender Unterschied, ob man wie der Bundesnachrichtendienst den Informationsfluss nach bestimmten Suchbegriffen oder Schlagwörtern scannt, um sicherheitsrelevante Informationen herauszufiltern, oder ob eine Kompletterfassung und Speicherung der Kommunikation stattfindet. Dann geraten wichtige Freiheits- und Bürgerrechte unter die Räder - wie zum Beispiel das vertrauliche Gespräch zwischen Anwalt und Mandant.

Müsste es dann nicht multinationale Abkommen geben?

Bosbach: Meine Befürchtung ist, dass wir im Verhältnis zu den USA wenig erreichen, wenn wir in Europa nicht mit einer Stimme sprechen. Ganz wichtig ist, dass sich die Staaten der Europäischen Union auf eine gemeinsame Vorgehensweise verständigen und dass alle Länder die Themen Datenschutz, Datensicherheit und informationelle Selbstbestimmung der Bürger wirklich ernst nehmen. Wenn jedes Land eigene Vorstellungen entwickelt und eigene Programme hat, werden wir gegenüber der amerikanischen Regierung keine große Wirkung erzielen.

Ist die Empörung auch ein Stück weit vorgeschoben, weil die fortschreitende Digitalisierung den Geheimdiensten die Erfüllung ihres Überwachungs-Auftrages so erleichtert wie nie zuvor?

Bosbach: Nein, die Empörung ist verständlich. Und sie ist gerechtfertigt, denn nicht alles, was technisch machbar ist, ist auch legal oder legitim.

Glauben Sie, dass die Enthüllungen über die Geheimdiensttätigkeiten beim Bürger Spuren hinterlassen und sich die Nutzung von Facebook, Twitter, Google und Co. künftig ändert?

Bosbach: Wir hatten vor zwei Wochen ein Gespräch mit amerikanischen Unternehmen, die eine Niederlassung in Deutschland haben. Für uns Bundestagsabgeordnete war es sehr interessant zu hören, dass die Repräsentanten dieser Firmen die Bundesregierung darum gebeten haben, in ihren Gesprächen mit der US-Administration die Themen Datenschutz und Datensicherheit anzusprechen und für mehr Schutz zu werben. Diese Firmen wissen genau: Wenn die Nutzer, ihre Kunden, Vertrauen in das Unternehmen verlieren und in die Sicherheit der Kommunikation oder wenn es eines Tages europäische Alternativen geben sollte im Bereich Cloud-Computing gegenüber Apple, Microsoft oder anderen US-Internetriesen, geht es um Umsatz und Gewinne. Und an dieser Stelle sind die Unternehmen besonders sensibel.

Werden Sie künftig im Internet anders agieren als vorher?

Bosbach: Nein, ich werde mein Nutzungsverhalten nicht ändern, denn ich tausche hochsensible Informationen nicht online aus. Das mache ich auf andere Weise: So benutze ich für wichtige und vertrauliche Gespräche nicht mein modernes Smartphone, sondern ein eher antikes Handy, weil ich weiß, dass dieses wesentlich schwerer abzuhören ist.

Das Interview führte Werner Kolbe

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots)

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