Ein Reporter Fazit zum turbulentem Montag in Chemnitz
Archivmeldung vom 28.08.2018
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 28.08.2018 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAm Montag fanden in Chemnitz verschiedene Demonstrationen und Gegendemonstrationen nach der Gewalttat vom Wochenende statt. Die Mainstreammedien und Politiker sprechen von einem rechten Mob, der mit großer Gewalt und sogar randalierend durch die Straßen gezogen sei. Wer jedoch die gestrigen Liveaufnahmen gesehen hat oder vor Ort war und dies mit den Geschehnissen bei der Eröffnung der EZB in Frankfurt oder dem G20 Gipfel in Hamburg vergleicht, fragt sich worauf sich solche maßlos übertriebenen Behauptungen sich beziehen. Da überrascht es schon, dass sich das politisch traditionell eher links ausgerichtete russische online Magazin "Sputnik" dieser Propaganda und den verbreiteten Fake News nicht anschließt, sondern journalistisch weitgehend korrekt berichtet. Im nachfolgenden Beitrag zieht der Sputnik-Reporter Andreas Peter, der die Demonstrationen am Montagabend vor Ort erlebte ein Fazit.
Peter schreibt auf der deutschen Webseite des Magazins zu seiner Videoreportage: "Chemnitz wirkte am Montag völlig normal. Der Alltag in der sächsischen Großstadt nahm seinen gewöhnlichen Lauf. Nur vor dem Haus Brückenstraße 8 erinnerten Blumen und Kerzen daran, dass sich hier in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag ein Gewaltverbrechen ereignete, bei dem ein 35-Jähriger so schwer mit Messerstichen verletzt wurde, dass er wenig später im Krankenhaus verstarb. Die ersten spontanen Demonstrationen und Ausschreitungen, genauso wie die widersprüchlichen Meldungen in klassischen Medien und Internetplattformen, lassen die meisten Passanten in einer Mischung aus Ratlosigkeit und Wut zurück. Denn selbst wenn inzwischen zwei Tatverdächtige mit Migrationshintergrund festgenommen wurden. Die genauen Hintergründe der Tat sind immer noch unklar. Dennoch schwelt offenbar bei einigen Passanten ein Gefühl, das schon seit einer Weile ein Ventil suchte.
Auch dieser Passant findet, dass viel zu lange so getan wurde, als gäbe es kein Problem: „Erst mal ist niemand gefragt worden, soviel wie möglich Leute hier rein, es werden ja immer mehr. Hinten im Park am Schlossteich, früher waren wir hier mit den Kindern, das geht nicht mehr. Weil nur die ausländischen Mitbürger da sitzen. Wir durften früher nicht grillen, gar nichts. Die sitzen jetzt mit Grill, mit Kind und Kegel, die machen dort ihre Spiele, die machen dort sehr laut, was für uns, wir haben eine andere Mentalität, nicht so das Gelbe vom Ei ist. Man hat dort keinen Platz mehr. Und wenn man dort hinkommt, wird man angepöbelt. Wenn man irgendwas sagt, mal ein bisschen leiser oder hier sind auch unsere Kinder, die wollen mitspielen, dann wird man angepöbelt. Das ist einfach so. Und dann fühlt man sich irgendwann mal hinten ran gesetzt. Man lebt ja in der Stadt, man ist Deutscher, man darf ja nicht mal mehr sagen, dass man gerne Deutscher oder stolz ist, Deutscher zu sein, dann wird man gleich in die rechte Ecke geschoben.“
Während der Kundgebung von „Pro Chemnitz“ am Karl-Marx-Monument, bei der auch prominente Vertreter der rechtsextremen Szene gesichtet wurden, konnte man beobachten, dass viele Chemnitzer sich in Abstand zur Kundgebung versammelt hatten. Offenbar ihre Art zu zeigen, sie gehören nicht zur Kundgebung, aber auch sie wollen nicht abseits stehen.
Am Karl-Marx-Denkmal schienen die Fronten hingegen sehr klar. Hier herrschte zum Teil offener Hass gegen den Staat, seine Regierung, seine Medien und gegen eine Politik, die als Volksverrat gebrandtmarkt wurde.
Dennoch gelang auch in diesem Umfeld ein Gespräch mit einem Paar direkt am Marx-Monument, bei dem klar wurde, dass eindeutige Grenzziehungen und Zuordnungen in der aufgeheizten Atmosphäre schwierig sind. Für die Frau ist zum Beispiel bereits die Tatsache ein Eingriff und eine Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität, dass seit wenigen Jahren Sicherheitspersonal in Supermärkten nötig sei, dass ihre 15-jährige Tochter mehrfach, in ihrer Gegenwart belästigt wurde, dass auch sie, in Gegenwart ihres Partners belästigt wurde. Und ganz offenkundig könne man mit denen von der anderen Seite, also den Gegendemonstranten, in keinen echten Dialog einsteigen, findet sie.
„Dialog ist nur möglich, wenn er nicht fokussiert wird, und dort sage ich nicht von rechts oder links, sondern von oben. Für mich ist also ganz klar, die Spaltung kommt von oben. Von Politikern, die im normalen Alltag nicht leben, die weder auf der Seite der Flüchtlingshelfer stehen noch mit anpacken und die Menschen unterstützen, die das im Ehrenamt tun, aus einer inneren, wie er es schon sagte, ideologischen Überzeugung. Und genauso wenig sind sie da, um den Menschen beizustehen, die so wie ich dann wahrnehmen und sagen, ich hab einfach Angst.“
Diese Ängste registriert Tim Detzner durchaus auch, er interpretiert sie nur anders. Der Organisator von "Chemnitz Nazifrei" stand direkt gegenüber dem Karl-Marx-Monument im Stadthallenpark, wohin er mehrere hundert, vornehmlich junge Menschen eingeladen hatte, die seinem Aufruf gefolgt waren. Gegen die Demo von „Pro Chemnitz“ hat er eine klare Meinung:
„Den Organisatoren von Pro Chemnitz werfe ich ganz gezielt vor, dass sie die schlimme Gewalttat von Samstagnacht instrumentalisieren für ihre Zwecke. Es ist ein Jahr vor der Kommunalwahl. Es geht ganz klar darum, sich an die Spitze einer Bewegung zu stellen und Stimmen zu fangen und Rattenfänger zu spielen und einfach ein schlimmes Ereignis zu instrumentalisieren, um eben die Kluft noch tiefer zu treiben und den Leuten zu zeigen, dass angeblich die Migrantinnen und Migranten, die hier in Chemnitz leben, das Problem wären.“
Immerhin passierten mehrere Frauen mit Kopftuchverschleierung und afrikanischem Migrationshintergrund die spontane Gedenkstätte am Tatort, ohne dass sie beschimpft oder angegriffen wurden.
Das bedeutet allerdings nicht, dass Chemnitz bereits zur Ruhe gekommen ist."
Quelle: Sputnik (Deutschland)