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In Äthiopien sind die Professoren Inder

Archivmeldung vom 14.08.2013

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 14.08.2013 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Flagge der Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien
Flagge der Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien

Äthiopien hat mit Hilfe der Weltbank und internationaler Entwicklungsorganisationen seit dem Jahr 2000 massiv in die Hochschulbildung investiert. Die Zahl der Universitäten ist von ursprünglich zwei auf 31 angestiegen. Die damit verbundene große Nachfrage nach Professoren deckt das Land durch die Rekrutierung indischer Akademiker. Zwar ist die Besetzung der Lehrstühle mit Indern nur als temporäre Lösung geplant. Aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass es schwierig sein wird, sie langfristig durch einheimischen Nachwuchs zu ersetzen.

„Unter den Einwanderern in Äthiopien stellen die Inder eine vergleichsweise kleine Gruppe dar, aber sie werden wegen ihrer Tätigkeit als Lehrer seit Jahrzehnten mit dem Bildungssektor assoziiert“, erklärt die Ethnologin Dr. Sophia Thubauville, die Anfang des Jahres ihren ersten Feldforschungsaufenthalt in Ost-Äthiopien absolvierte. „Das Gehalt der indischen Akademiker ist an den Universitäten zehn Mal so hoch wie das ihrer äthiopischen Kollegen“, so Thubauville. Bezahlt wurden die Gehälter bis 2005 aus einem Programm der Vereinten Nationen und seitdem von den äthiopischen Universitäten selbst. Der einheimische Nachwuchs geht dagegen wegen der geringen Verdienstmöglichkeiten oder aus politischen Gründen oft ins Ausland. Für die indischen Einwanderer ist das großzügige Gehalt der Hauptgrund für die Migration. Sie können davon rund 75 Prozent sparen. Nach Ablauf ihres in der Regel auf zwei Jahre befristeten Vertrags kehren viele in ihre Heimat zurück - jedenfalls wenn sie ihre Familie dort gelassen haben. Denn in Äthiopien finden die Einwanderer keine englischsprachigen Schulen für ihre Kinder, ihre Ehepartner können dort meist nicht arbeiten, und das Gesundheitssystem ist deutlich schlechter als in Indien.

Für ihr Forschungsprojekt im Rahmen des interdisziplinären Verbundprojekts „Afrikas Asiatische Optionen“ (AFRASO) an der Goethe-Universität, das unter anderem die verstärkte Migration zwischen Asien und Afrika untersucht, bereiste Sophia Thubauville die zweitälteste Universität des Landes in Haramaya (gegründet 1954) sowie zwei neuere Universitäten, die 2007 gegründet wurden. Diese liegen in Dire Dawa, einer Handelsstadt auf dem Weg zur Hafenstadt Djibouti und in Jigjiga, einer verschlafenen Stadt in der krisenanfälligen Somali-Zone. Durch ihre Feldforschung will sie herausfinden, wie Äthiopien die Herausforderungen durch die starke Ausweitung seines Hochschulsektors bewältigt.

Zurzeit gibt es schätzungsweise 1.200 indische Dozenten in Äthiopien. Die meisten kommen aus Süd-Indien und werden von Agenturen zum Beispiel durch Anzeigen in der „Times of India“ rekrutiert. Der Bewerbungsprozess ist einfach: „Es gibt walk-in Interviews, bei denen man mit seinem Lebenslauf vorbei kommt und schon nach einem kurzen Gespräch eingestellt wird“, erklärt Thubauville. Auch die bürokratischen Formalitäten für die Einwanderung werden von den Agenturen übernommen. Allerdings tritt nur die Hälfte der Rekrutierten ihre Stelle auch wirklich an, weil viele sich erst nach dem Gespräch über die Bedingungen in ihrem Gastland erkundigen. Ein weiterer Schwund findet vor Ort statt, denn nicht alle Einwanderer haben die gewünschte Qualifikation oder sie sind sogar aufgrund gefälschter Papiere eingestellt worden. „Vor wenigen Wochen las ich eine Anzeige, in der eine äthiopische Universität zu Anfang des Semesters noch 50 offene Stellen zu besetzen hatte“, berichtet Thubauville.

Unter den Auswanderern sind viele Berufsanfänger. Professorinnen und Professoren im mittleren Alter kommen meistens von privaten Colleges in Indien, an denen die Gehälter nicht so stark angehoben wurden wie an den staatlichen Hochschulen. Ebenso wandern indische Seniorprofessoren aus. „Zwar gibt es für die Beschäftigung an äthiopischen Universitäten eine Altersbegrenzung von 65 Jahren zum Zeitpunkt der Einstellung, aber wenn die Professoren gekommen sind, um einen neuen Studiengang aufzubauen, arbeiten sie bis weit in ihre 70er Jahre hinein“, weiß Thubauville. Während ihres Forschungsaufenthaltes erlitt einer der Senior-Professoren einen Herzinfarkt, was angesichts der mangelhaften medizinischen Versorgung besonders tragisch war.

Eine zusätzliche Herausforderung für den Aufbau des äthiopischen Hochschulwesens ist die neuerdings von der Regierung voran getriebene Ausrichtung auf technische und naturwissenschaftliche Fächer. An äthiopischen Universitäten wurden bisher zu 70 Prozent geisteswissenschaftliche Fächer unterrichtet. Nun sollen 60 Prozent der Studierenden in Technik oder Naturwissenschaften ausgebildet werden. Äthiopische Studenten dürfen sich ihr Studienfach nicht aussuchen. Sie reichen eine Wunschliste mit zehn Studienwünschen ein und bekommen dann ein Fach zugeteilt. Der Staat übernimmt dann zunächst nicht nur die Kosten des Studiums, sondern auch Kost und Logis im Studentenwohnheim. Mit Beginn eines Arbeitsverhältnisses zahlen die ehemaligen Studenten dann Teile der Ausgaben an den Staat zurück. In den vergangenen Jahren sind verstärkt „Technical Colleges“ gegründet worden, doch oft fehlt es an der nötigen Ausstattung. So beklagen sich indische Dozenten, die aus ihrer Heimat eine gute praktische Ausbildung gewohnt sind, über das Fehlen von Chemikalien und Ersatzteilen. „An der medizinischen Fakultät in Dire Dawa gibt es kein Labor. Am IT-College in Haramaya fehlt der Computer-Raum“, berichtet Thubauville.

Im kommenden Jahr wird Thubauville nach Indien reisen, um dort zu erforschen, wie sich die Migration der Akademiker aus indischer Sicht darstellt. 2015 ist dann ein weiterer Forschungsaufenthalt in Äthiopien geplant. Mit ihrem Forschungsprojekt möchte sie nicht nur einen wissenschaftlichen Beitrag zur Süd-Südmigration von hochqualifizierten Fachkräften leisten, sondern erhofft sich auch, dass aufgedeckte Missstände in der Rekrutierung indischer Akademiker sowie der Situation einheimischer Akademiker in Äthiopien wahrgenommen werden und womöglich zu einem Umdenken führen.

Quelle: Goethe-Universität Frankfurt am Main (idw)

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