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Was steckt hinter Lukaschenkos Vorschlag für eine weißrussisch-polnische Annäherung?

Archivmeldung vom 18.08.2023

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 18.08.2023 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Sanjo Babić
Alexander Lukaschenko  (2021)
Alexander Lukaschenko (2021)

Bild: Sputnik / Alexey Nikolskiy

Die pragmatischen Absichten des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko wurden öffentlich gemacht, um die Chancen zu nutzen, die sich aus dem rasanten Verfall der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Polen und der Ukraine ergeben. Dies analysiert Andrew Korybko im Magazin "RT DE".

Weiter analysiert Korybko auf RT DE: "Die Beziehungen Polens zu Weißrussland und zur Ukraine haben sich im vergangenen Monat parallel zueinander verschlechtert. So findet entlang der polnischen Grenze eine beispiellose militärische Aufrüstung statt, unter dem Vorwand, damit auf eine angebliche Bedrohung durch die Wagner-Gruppe zu reagieren, die seit Kurzem in Weißrussland stationiert ist. Währenddessen befindet sich Polen gleichzeitig in einem Kreislauf wirtschaftlicher und politischer Auseinandersetzungen mit der Ukraine, die kein baldiges Ende erkennen lassen.

Man hätte annehmen können, dass die derzeitigen polnisch-ukrainischen Unstimmigkeiten, angesichts des gemeinsamen strategischen Ziels, Russland "einzudämmen", rascher zu einer Aussöhnung geführt hätten. Doch jetzt zeigt sich, dass Präsident Lukaschenko einfach die Initiative ergriffen hat, als er am Freitag vergangener Woche eine Annäherung seines Landes an Polen vorschlug. Dieser Vorstoß überraschte alle, erst recht, nachdem Lukaschenko zuvor vor Bedrohungen für Weißrussland durch eine mögliche polnische Militäroperation in der Westukraine gewarnt hatte.

Ein völlig unerwarteter Vorschlag

Die weißrussische Nachrichtenagentur BelTA berichtete, dass er bei einem öffentlichen Auftritt Folgendes sagte:

"Derzeit verdienen wir unser Geld hauptsächlich im Osten: in Russland, in China. Aber wir dürfen die Kontakte zum Hightech-Westen nicht vernachlässigen. Er ist geografisch no, die Europäische Union ist unser Nachbar und wir sollten den Kontakt zu ihr pflegen. Wir sind dazu bereit, aber unsere Interessen sollten gebührend berücksichtigt werden. Glauben Sie mir, die Zeit wird kommen und in den Jahren 2024 und 2025 wird es zu gravierenden Veränderungen in der Welt kommen. Und wir müssen auch mit den Polen reden. Ich habe den Premierminister aufgefordert, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen. Wenn die Polen willens sind, können wir Gespräche führen und unsere Beziehungen in Ordnung bringen. Wir sind Nachbarn und die kann man sich nicht aussuchen, Nachbarn sind gottgegeben. Ich bin 15. Oktober dort Parlamentswahlen stattfinden, versuchen sie, Spannungen zu schüren, um zu beweisen, dass die Entscheidung richtig war, das Land zu bewaffnen und wieder aufzurüsten. Daher ist es unwahrscheinlich, dass sie vor dem 15. Oktober wesentliche Schritte unternehmen werden, die ihnen und uns zugute kommen. Sie fordern und verlangen viel von uns, aber dem können wir nicht nachkommen, weil es unseren Interessen widerspricht. Die USA haben auf Polen gesetzt, aber die Polen sind keine dummen Leute, wir sind verwandte Völker, Slawen. Sie verstehen das genau. Warten wir ab, wir sind offen für eine Zusammenarbeit."

Der Weg zum Frieden  – oder zumindest zu einem Waffenstillstand

Die Bemerkung, "die Kontakte mit dem Hightech-Westen nicht zu vernachlässigen", klingt pragmatisch, dient aber auch dem politischen Zweck, zu signalisieren, dass Weißrussland, trotz der nicht provozierten Feindseligkeiten, keine bedrohlichen Absichten gegenüber den Ländern des Westens hegt. In einer idealen Welt würde Weißrussland als Brücke zwischen Ost und West fungieren, so wie es auch die Ukraine hätte sein können. Aber auch wenn es keine militärische Auseinandersetzung in der Ukraine gegeben hätte, wäre dies unwahrscheinlich geblieben, da dies den hegemonialen Interessen der USA in Europa zuwidergelaufen wäre.

Dennoch ist eine Deeskalation der Spannungen zwischen der NATO und Russland und damit die spätere Vereinigung von Weißrussland und Russland zu einem Unionsstaat unvermeidlich, weshalb Lukaschenko seine pragmatischen Absichten einen Schritt im Voraus signalisiert. Er machte jedoch auch deutlich, dass eine mögliche Entspannung der Beziehungen – insbesondere eine wirtschaftlich und technologisch ausgerichtete – zu seinen westlichen Nachbarn nicht auf Kosten der Interessen seines Landes gehen wird.

Was seine Vorhersage über "gravierende Veränderungen in der Welt" in den Jahren 2024 und 2025 angeht, bezog er sich wahrscheinlich auf die Präsidentschaftswahlen in Russland und in den USA. Die Wahlen in Russland sind aufgrund der Popularität von Präsident Putin eine ausgemachte Sache, während es für jene in den USA noch zu früh ist, um über den Ausgang zu spekulieren. Dennoch zwingt Russlands Vorsprung im "Wettlauf der Logistik" und dem "Zermürbungskrieg" mit der NATO, die Administration von Joe Biden dazu, vor den Wahlen in den USA oder spätestens danach mit Moskau zu verhandeln, sollte er an der Macht bleiben, während der republikanische Spitzenkandidat Donald Trump bereits verkündet hat, dass er den Konflikt in der Ukraine "innerhalb eines Tages beenden würde".

Lukaschenko handelt wahrscheinlich mit Putins Zustimmung

Die Bekanntgabe, dass Lukaschenko seinen Ministerpräsidenten damit beauftragt hat, mit den Polen in Kontakt zu treten und das Gespräch zu suchen, geschah höchstwahrscheinlich mit der Zustimmung seines russischen Amtskollegen und möglicherweise sogar auf dessen Vorschlag hin. Ein eigenwilliges Zugehen auf einen der rabiatesten antirussischen Staaten der Welt, könnte als Verrat an den gemeinsamen Interessen des Unionsstaates interpretiert werden, weshalb es äußerst unwahrscheinlich ist, dass Lukaschenko etwas Derartiges unternehmen würde, ohne dies zuvor mit Moskau zumindest besprochen zu haben.

Seine Spekulation darüber, welche Rolle die polnischen Wahlen Mitte Oktober beim jüngsten Säbelrasseln gespielt haben könnten, hat einige Berechtigungen, da es tatsächlich so ist, dass die polnische Regierungspartei die exorbitanten Militärausgaben Polens rechtfertigen muss und nationalistische Kräfte auf Basis antirussischer Stimmung mobilisieren will. Allerdings lässt sich auch nicht leugnen, dass die unerwartete Verlegung der Wagner-Gruppe nach Weißrussland, für Polen ebenfalls als Rechtfertigung für seine militärische Aufrüstung diente.

Im weiteren Verlauf ist es ein positives Zeichen, dass Lukaschenko es für angebracht hielt, erneut zu bekräftigen, dass er die objektiven Interessen seines Landes nicht zugunsten einer einseitigen Annäherung an Polen oder ein anderes westliches Land opfern wird. Seine Worte bestätigen auch, dass Warschau in der Vergangenheit unrealistische Forderungen an Minsk gestellt haben muss, wie viele bereits vermutet haben.

Die Wurzeln der polnischen Großstrategie

Lukaschenkos Andeutung, dass in Polen die USA die Fäden in der Hand halten, kann bestritten werden, da es wohl eher so ist, dass Polen, als aufstrebende regionale Macht, seine eigenen Interessen verfolgt, die mit jenen Washingtons übereinstimmen und somit unterstützt werden. Jede unbequeme Entwicklung einer Einmischung durch die USA zuzuschreiben, ist eine ebenso simple und ungenaue Einschätzung, wie jene Einschätzungen in den USA, bei denen Russland eine Einmischung zugeschrieben wird.

Polen strebt die Wiederherstellung seines vor langer Zeit verloren gegangenen Status als regionale Großmacht an – eine postmoderne Wiederbelebung des ehemaligen Staatenbunds aus Polen und Litauen, jetzt zusätzlich mit der Ukraine als militärischem Kern und der "Drei-Meere-Initiative" als breitere regionale Wirtschaftsform. Dieses große strategische Ziel könnte zunichtegemacht werden oder unter deutsche Kontrolle geraten, wenn die von Berlin bevorzugte Opposition die Regierungspartei bei den Wahlen im Herbst von der Macht verdrängt. Somit ist es für Beobachter wichtig, die Tatsache nicht aus den Augen zu verlieren, dass es sich hier um eine polnische Strategie und nicht um eine Strategie der USA handelt.

Diese Strategie hat ihre Wurzeln im Großprojekt des damaligen polnischen Ministerpräsidenten Józef Piłsudski, dem Intermarium, und in der Politik des Prometheismus der Zwischenkriegszeit, die darauf abzielte, die Region unter polnischer Hegemonie zu einen und gleichzeitig die damalige UdSSR zu balkanisieren. Nachdem der Zweite Weltkrieg dazu geführt hatte, dass Polen seine östlichen Regionen verlor, die heute in der Ukraine liegen, begann die polnische Führung nach Ende des Kalten Krieges darüber nachzudenken, wie Warschau seinen verlorenen Einfluss in dieser Region wiedererlangen könnte, wenn auch inoffiziell und in unpolitischer Form.

Mögliche Szenarien

Im schlimmsten Fall könnte gemeinsam mit Litauen eine faktische Blockade Kaliningrads erfolgen, unter dem Vorwand der Abwehr einer angeblichen Bedrohung durch die Wagner-Gruppe in Weißrussland. Zwar könnte diese Blockade vor oder nach den Wahlen eintreten, sie birgt jedoch Sabotagepotenzial für mögliche Friedensgespräche zwischen Russland und der Ukraine.

Im besten Fall könnte es dazu kommen, dass Warschau seine maximalistischen Forderungen an Minsk zurücknimmt und ernsthaft eine Art Annäherung prüft, unabhängig von den Interessen der USA.

Um es ganz klar zu sagen: Beide Szenarien sind genau das, was sie sind – Szenarien. Keines der beiden kann als selbstverständlich betrachtet werden, vor allem nicht das zweite. Wenn wir aber auf das zweite Szenario eingehen, so geht es darum zu erklären, was Lukaschenko wahrscheinlich erreichen will. Die Wahrscheinlichkeit, dass es eintrifft, ist gering, kann aber auch nicht ausgeschlossen werden.

Somit würde jede Bewegung in Richtung des zweiten Szenarios erfolgen, nachdem die polnische Führung bis dahin möglicherweise ihre nationalen Interessen neu konzipiert hat – und nicht aufgrund irgendeiner slawischen Solidarität, wie Lukaschenko es angedeutet hatte. Diese Aussage war wahrscheinlich für das heimische Publikum gedacht, da die meisten Polen, unabhängig von ihrer politischen Gesinnung, sich selbst und ihre Kultur als zwar etwas ähnlich, aber dennoch sehr unterschiedlich von der Kultur der Ostslawen betrachten.

Wenn man über das nachdenkt, was in dieser Analyse geschrieben wurde, so scheint es überzeugend zu sein, dass Lukaschenkos überraschender Vorschlag für eine weißrussisch-polnische Annäherung eines der Themen war, die er mit Präsident Putin bei ihrem letzten Treffen Ende Juli besprochen hat. Auch wenn ihre Erklärungen damals vor einer regionalen Bedrohung warnten, die von einer nicht provozierten und beispiellosen militärischen Aufrüstung Polens entlang seiner Ostgrenzen ausgeht, haben sie genau aus diesem Grund wahrscheinlich auch eine friedliche Lösung in Betracht gezogen.

Diese pragmatischen Absichten wurden jetzt öffentlich gemacht, um die Chancen zu nutzen, die sich aus dem rasanten Verfall der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Polen und der Ukraine ergeben. Selenskij gilt in den Augen vieler Polen als Verbündeter Polens und Lukaschenko als Feind, doch nun könnten sich die Rollen vertauschen, nachdem der weißrussische Staatschef gerade einen Olivenzweig des Friedens angeboten hat. Im besten Fall könnte dies die öffentliche Wahrnehmung in Polen verändern und es Warschau ermöglichen, nach den Wahlen im Herbst, positiv darauf zu reagieren.

Übersetzt aus dem Englischen.

Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung spezialisiert hat."

Quelle: RT DE

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