Vökerrechtsjuristin: Ukraine-Krieg: Zensierte Fakten - Krieg und Völkerrecht
Archivmeldung vom 30.05.2022
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 30.05.2022 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Sanjo BabićUM bietet – jenseits der gleich-geschalteten westlichen Ukraine-Kriegs-Eskalations-Berichterstattung – hier ein Forum für (durch diese) zensierte Fakten. Machen Sie sich selbst ein Bild. „Die Wahrheit ist in dieser Zeit so verdunkelt und die Lüge so allgemein verbreitet, dass man die Wahrheit nicht erkennen kann, wenn man sie nicht liebt.“ (Blaise Pascal, 1623 – 1662)
Weiter berichtet der Osteuropa-Korrespondent Elmar Forster im Magazin: "
RECHTLICHE STELLUNGNAHME der VÖLKERRECHTS-JURISTIN Dr. Eva Maria Barki
I.) Kurzusammenfassung
- Der russische Präsident Wladimir Putin soll wegen Völkerrechtsverbrechen vor dem Strafgerichtshof in den Haag angeklagt werden. Das fordern u.a. sogar die USA, welche aber für sich selbst den Internationalen Strafgerichtshof nicht anerkennen.
- Diese Anschuldigungen entbehren nicht nur jeder rechtlichen Grundlage, sondern sie sind Teil der sogenannten US-„National Security Strategy 2002“ (1991) zur Ausschaltung Russlands im Sinne eines Unil-lateralismus. Dabei kommt der Ukraine als „Dreh- und Angelpunkt“ eine Schlüsselrolle zu.
- Völkerrechtsverletzungen sind den ukrainischen Machthabern vorzuwerfen, u.a.: · Verletzung von Rechten nationaler Minderheiten · Verletzung der Abkommen von Minsk · Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker
- Die Ukraine ist kein homogener, historisch gewachsener Nationalstaat, sondern ein Vielvölkerstaat. Mehr als die Hälfte des Staates spricht als Umgangssprache nicht Ukrainisch.
- Für die Ukraine als Vielvölkerstaat wäre eine föderale Staatsform erforderlich. Bereits US- Präsident George W. Bush warnte 1991 vor einem „selbstmörderischen Kampf der Nationalitäten“.
- Ursache des Ukraine-Krieges war er blutige Maidan-Putsch-2014, unter Einsetzung einer vom Westen unterstützten Regierung. Die Reaktion darauf – aus Furcht vor einer ähnlicher Aggression ‑waren (sowohl im Donbass und auf der Krim) Volksabstimmungen (mit bis zu 90% russischer Zustimmung). Die militärische Reaktion der Ukraine darauf waren schwerste Artillerie‑, Raketen- und Bombenangriffe, sowie Zerstörung ziviler Einrichtungen und Infrastruktur.
- Das Abkommen von Minsk I (September 2014) wurde von der ukrainischen Regierung gebrochen: Es beinhaltet: einen Waffenstilstand, eine De-facto- Anerkennung der russischen Gebiete im Donbass.
- Auch das Abkommen von Minsk II (12.2.2015) wurde nicht eingehalten, u.a.: Lokalwahlen in den dezentralisierten russischen Gebieten (Donezk und Lugansk)
- Das Abkommen von Minsk ist ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag, welcher durch die UN-Resolution Nr.2202 des UN-Sicherheitsrates völkerrechtlich verbindlich ist. Der Vertragsbruch durch die Ukraine unter Anwendung militärischer Gewalt ist als Kriegsverbrechen zu werten.
- Vertragsverletzungen betreffen: das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Es ist ein universelles Naturrecht und wurde erstmals von Präsident Woodrow Wilson aufgestellt. In realiter wurde aber nach dem 1. und 2. Weltkrieg den Völkern Mitteleuropas dieses Recht verwehrt.
Im UN-Menschenrechtspakte (16.12.1966) heißt es: „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechtes entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit, ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.“ Insofern aber ist das Selbstbestimmungsrecht ein Kollektivrecht eines Volkes und zwingendes Recht (ius cogens).
Die 1954 durch Chruschtschow erfolgte Schenkung der Halbinsel Krim an die Ukraine verletzte dieses Selbstbestimmungsrecht. Somit aber beruft sich Putin daher auf das Recht zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit.
Im Völkerrecht gibt es (neben der Verletzung grundlegender Menschenrechte) nur drei zwingende Normen: das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das Gewaltverbot und das Verbot des Völkermordes. Die Verletzung der territorialen Integrität bzw. der staatlichen Souveränität gehört nicht dazu! Auch die Deklaration der UN- Generalversammlung Nr. 2625 (24.10 1970 „Friendly Relations Declaration“) erkennt das Sezessionsrecht ausdrücklich an.
- Staatliche Souveränität als Argumente gegen die Sezession
Auffallend ist…: Gerade jene Befürworter der staatlichen Souveränität betreiben die Auflösung des Nationalstaates. Staatliche Souveränität beinhaltet das Recht, die Verfassungs- und Rechtsordnung unabhängig vom Einfluss äußerer Mächte zu gestalten. Der Schutz der territorialen Integrität bezieht sich ausschließlich auf die Beziehungen zwischen den Staaten und nicht auf die Völker.
Völker haben gemäß der Resolution der UN-Generalversammlung (7.12.1987) das Recht für Selbstbestimmung zu kämpfen, wobei auch Gewalt gerechtfertigt ist.
Weiters: Die Helsinki-Schlussakte-1975 in Bezug auf die Sezession der Krim
- Budapester Memorandum (1994)
- Das wichtigste Kriegsziel von Präsident Putin ist berechtigt: nämlich bezüglich des Schutzes der russischen Bevölkerung.
- Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine auch außerhalb des Donbass: Gemäß der neuen Völkerrechtslehre ist auch ein präventiver Angriffskrieg zulässig, wenn wesentliche Interessen und die Sicherheit gefährdet erscheinen.
- Russland aber befindet sich zweifellos in dieser Situation: Seine innere Sicherheit und Integrität sind gefährdet. Russland ist von der NATO zur Gänze eingekreist. Russland behauptet überdies auch die Existenz von US-ukrainischen Bio-Labors an seinen Grenzen.
Gerade aber jene rechtsextremen Kräfte in der Ukraine haben bereits im 2. Weltkrieg Massaker an Russen und Juden mit 50.000 Toten verursacht, und sie sind gleichzeitig auch die treibenden Kräfte im Krieg gegen den Donbass.
- Nicht Russland verletzt das Völkerrecht, sondern im Gegenteil die Machthaber in Kiew, unterstützt vom Westen (mit finanziellen Mitteln und Waffen), sowie befeuert von den westlichen Medien.
- Der Ukraine-Krieg beweist: Das Völkerrecht hat keine Geltung mehr. Der Westen bestreitet dies nicht einmal mehr, indem er sich auf eine „regelbasierte Ordnung“ beruft, die der Westen mit allen Mitteln oktroyiert.
Hier die VOLLSTÄNDIGE VERSION:
UKRAINE-KRISE
RECHTLICHE STELLUNGNAHME
UNTER BERÜCKSICHTIGUNG DES VÖLKERRECHTS
1. Seit 24. Februar 2022 wird Russland ein Überfall auf den souveränen Staat der
Ukraine und damit eine völkerrechtswidrige Aggression vorgeworfen. Präsident Wladimir
Putin persönlich wird beschuldigt, Völkerrechtsverbrechen in Auftrag gegeben zu haben und
gab es Stimmen, ein Verfahren beim Internationalen Strafgerichtshof in den Haag
einzuleiten, sogar aus den USA, welche für sich selbst den Internationalen Strafgerichtshof
nicht anerkennen.
2. Die Anschuldigungen entbehren jeder faktischen und rechtlichen Grundlage. Sie sind
als Teil des bereits 1991 von den USA konzipierten und in der „National Security Strategy
2002“ begründeten Krieges gegen Russland zur Ausschaltung als Rivale und zur Wahrung des
Machtmonopols der USA zu sehen. Der geopolitisches Stratege Zbigniew Brzezinski hat die
Ukraine als wichtigen Raum auf dem Eurasischen Schachbrett und als politischen Dreh- und
Angelpunkt bezeichnet. Der Krieg in der Ukraine ist daher ein Krieg der USA gegen Russland.
3. Rechtsverletzungen, insbesondere auch Verletzungen des Völkerrechts sind nicht
Russland, sondern im Gegenteil den ukrainischen Machthabern vorzuwerfen und zwar:
Verletzung von Volksgruppenrechten und Rechten nationaler Minderheiten
Verletzung der beiden Abkommen von Minsk
Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker
Verletzung des Budapester Memorandums (5. Dezember 1994)
4. Die Ukraine ist kein homogener, historisch gewachsener Nationalstaat, seine Gebiete
gehörten im Laufe der Geschichte mehrfach anderen Staaten an, wie z.B. im Westen die
Karpato-Ukraine die bis zum 1. Weltkrieg Bestandteil des Königreiches Ungarn bzw. der
Habsburg-Monarchie war und die mehrheitlich von Ruthenen und Ungarn bewohnt sind,
weitere Volksgruppen bilden Polen, Belarussen, Rumänen und Bulgaren, insbesondere aber
mindestens 6 Millionen Russen im Osten der Ukraine. Die Umgangssprache in der Ukraine
ist für mehr als die Hälfte der Bevölkerung nicht ukrainisch.
5. Da die Ukraine sohin aus Gebietsteilen und Bevölkerungsteilen mit verschiedenen
historischen, kulturellen und nationalen Identitäten besteht, ist eine föderale Staatsform
erforderlich bzw. eine Berücksichtigung der Rechte der verschiedenen Volksgruppen und
Nationalitäten.
Als 1991 während des Zerfalles des Sowjetunion die Frage der Unabhängigkeit der Ukraine,
die bis dahin eine sowjetische Republik war, aktuell wurde, ermahnte der amerikanische
Präsident George W. Bush in seiner Rede am 1. August 1991 im ukrainischen Parlament die
Abgeordneten, nicht für die Unabhängigkeit, sondern für den Verbleib bei Russland zu
stimmen, weil ansonsten ein „selbstmörderische Kampf der Nationalitäten“ stattfinden wird.
Er sollte Recht behalten.
6. Ausgangspunkt und Ursache der derzeitige Krise waren die blutigen Ereignisse auf
dem Maidan 2014, die mit einem Putsch und der Einsetzung einer westlich orientierten und
vom Westen unterstützten Regierung endeten.
Als Reaktion darauf und aus Furcht vor einer ähnlicher Aggression wurden sowohl im
Donbass – in der Oblast Lugansk und in der Oblast Donezk – aber auch auf der Krim
Volksabstimmungen durchgeführt, welche die Zustimmung für eine staatliche
Eigenständigkeit zum Gegenstand hatten.
Als Ergebnis des Referendums erklärten sich Lugansk und Donezk für unabhängig. (90 % für
die Unabhängigkeit bei einer Wahlbeteiligung von 75 % in Donezk und über 80 % in Lugansk)
Die Antwort der (nicht legitimen) Regierung in Kiew waren die Entsendung von Militär und
amerikanischen Söldner Truppen, schwerste Artillerie Raketenangriffe, Bombenangriffe,
Phosphorbomben, Streubomben, Zerstörung von Häusern, Schulen, Spitälern, Infrastruktur,
Abschaltung von Strom, Verweigerung von Hilfsgütern, mit dem Ergebnis von über 5000
Toten – mehrheitlich Zivilisten, Millionen Flüchtlingen und mit dem Ergebnis eines
unbeschreiblichen sozialen Notstandes.
7. Im darauffolgenden Abkommen von Minsk I im September 2014 wurde ein
Waffenstilstand, sowie Schritte zur Umsetzung eines Friedensplanes betreffend den Donbass
vereinbart, wobei die beiden Republiken de facto anerkannt wurden.
Die Vereinbarung wurde von der ukrainischen Regierung gebrochen, die Kämpfe wurden
fortgesetzt.
8. Im Abkommen von Minsk II von 12.2.2015 wurde die Umsetzung von Minsk I
vereinbart, mit dem Ziel, den Konflikt dadurch zu bereinigen, dass insbesondere
eine Verfassungsreform in der Ukraine und eine Dezentralisierung in Bezug auf die
Gebiete Donezk und Lugansk geführt wird
ein Gesetz über den besonderen Status von Donezk und Lugansk erlassen wird
regionale Wahlen in diesen Gebieten der lokalen Selbstverwaltung durchzuführen
sind
Der ukrainische Regierungschef Arsenij Jazenjuk hat bereits einen Tag später zu erkennen
gegeben, dass auch Minsk II nicht eingehalten und die Ansprüche auf Donezk uns Lugansk
nicht aufgegeben werden.
9. Das Abkommen von Minsk ist ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag, welcher
durch Verabschiedung der Resolution 2202 des UN Sicherheitsrates bekräftigt und damit
völkerrechtlich für alle Staaten verbindlich ist.
Die Regierung in Kiew hat die Vereinbarungen von Minsk nicht eingehalten, nicht nur den
Waffenstilstand gebrochen, sondern insbesondere die Verfassungsreform und die Schaffung
eines autonomen Status für Lugansk uns Donezk nicht durchgeführt.
Damit liegt nicht nur ein Vertragsbruch vor, sondern sind die militärischen
Aggressionshandlungen gegen den Donbass in Verletzung dieses Vertrages zweifellos als
Kriegsverbrechen zu werten.
10. Verletzt wurde insbesondere das Selbstbestimmungsrecht der Völker als
fundamentalste Grundnorm des Völkerrechts. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker als
Grundrecht jeder demokratischen und gerechten internationalen Ordnung hat immer als
Naturrecht gegolten. Es ist als universelles Recht die Voraussetzung für
alle anderen Rechte, sowohl des einzelnen als auch jeder Gemeinschaft.
Ohne Selbstbestimmung gibt es keine politische Freiheit, ohne Freiheit
keine Demokratie und keine gerechte internationale
Ordnung. Und ohne gerechte internationale Ordnung keinen Frieden. Alle lokalen Konflikte
haben ihren tieferen Grund in der Verweigerung der Selbstbestimmung. Das
Selbst= bestimmungsrecht der Völker ist daher die wichtigste
Voraussetzung für Frieden und
das friedliche Zusammenleben der Völker und Nationen.
Als politisches Postulat wurde das Selbstbestimmungsrecht der Völker erstmals von
Präsident Woodrow Wilson in seinem 14 Punkte Programm zur Beendigung des 1.
Weltkrieges aufgestellt, welches nicht nur Motiv für den Waffenstillstand war, sondern auch
als Grundlage für die Friedensverhandlungen dienen sollte. Infolge Missachtung der
Selbstbestimmung haben diese keinen Frieden gebracht, sondern den Grundstein für neue
Konflikte gelegt, die bis zum heutigen Tage nicht gelöst und auch bereits aufgebrochen sind
(siehe Naher Osten).
Im 2. Weltkrieg haben Präsident Franklin Roosevelt und der englische Premier Winston
Churchill in der Atlantik Charta 1941 die Grundsätze einer zukünftigen Friedensordnung mit
dem wichtigstes Ziel der Selbstbestimmung der Völker festgelegt. Auch dies blieben leere
Worte, in Jalta herrschte bereits eine andere Sprache. So wie nach dem 1. Weltkrieg wurde
auch nunmehr den Völkern der europäischen Mitte die Selbstbestimmung verwehrt und die
Hälfte des Kontinents unter Fremdherrschaft gestellt.
Infolge dessen wurde das in den Artikeln 1 und 55 der Charta der
Vereinten Nationen als Ziel und Grundlage für friedliche Beziehungen
zwischen den Nationen aufgenommene
Selbstbestimmungsrecht der Völker lediglich als politisches Konzept für Kolonialvölker
betrachtet, für Europa sah man keinen Bedarf.
UN-Menschenrechtspakte vom 16.12.1966
Seit den beiden UN-Menschenrechtspakten vom 16.12.1966, dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ist das Selbstbestimmungsrecht nunmehr nicht nur eine politische Zielvorstellung, es wird nicht nur wie in der UN Charta als Prinzip umschrieben, sondern begründet ein.
Recht der Völker und eine bindende Wirkung der Vertragsstaaten
In beiden Menschenrechtspakten, die individuelle Menschenrechte beinhalten, wird in
Artikel 1 das Kollektivrecht der Völker als Grundlage der Menschenrechte
normiert. In Artikel 1 der beiden Pakte heißt es gleichlautend: „Alle
Völker haben das Recht auf
Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechtes entscheiden sie frei über ihren
politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Entwicklung.“
Demgemäß wird auch im Menschenrechtlichen Kommentar des
Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen, dem die Überwachung
des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte
obliegt, ausgeführt, dass das Selbstbestimmungsrecht die grundlegende
Vorbedingung für den Genuss aller Menschenrechte ist. Viele
Wissenschaftler vertreten daher die Auffassung, dass das
Selbstbestimmungsrecht über das Kollektivrecht eines Volkes hinaus auch
als individuelles Menschenrecht der Einzelpersonen zu verstehen ist.
Das Selbstbestimmungsrecht ist zwingendes Recht (ius cogens)
Es ist einhellige Meinung, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker zwingendes Recht –
ius cogens – ist. Dies bedeutet, dass von dieser Norm in keinem Fall, auch nicht durch
Vertrag, abgewichen werden darf.
Gemäß Artikel 53 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) sind Verträge, die im
Widerspruch zu einer zwingenden Norm stehen, nichtig.
Die Bedeutung einer zwingenden Norm im Völkerrecht kann daran ermessen werden, dass
sie sogar eine rückwirkende Wirkung entfaltet (ius cogens superveniens). Gemäß Artikel 64
der WVK wird jeder Vertrag nichtig und erlischt, wenn nachträglich eine zwingende
völkerrechtliche Norm entsteht. Ein solcher Vertrag erlischt demnach unabhängig vom
Willen der Parteien. Das Erlöschen des Vertrages hat gemäß Artikel 71 WVK die Wirkung,
dass sie die Vertragsparteien von der Verpflichtung befreit, den Vertrag weiter zu erfüllen
und darf die durch den Vertrag geschaffene Rechtslage nur insoweit aufrecht erhalten
werden, als sie nicht im Widerspruch zur zwingenden Norm steht.
Für die Krim bedeutet dies, dass die 1954 von Chruschtschow erfolgte Schenkung an die
Ukraine, die zweifellos das Selbstbestimmungsrecht verletzte, mit Inkrafttreten der
oberwähnten Artikel 1 der UN-Menschenrechtspakte erloschen ist und die Zugehörigkeit zur
Ukraine auch aus diesem Grund nicht aufrechterhalten werden darf. Putin hatte daher
Recht, wenn er sich auch auf die Wiederherstellung der Gerechtigkeit berufen hat.
Zur Klarstellung: Es gibt im Völkerrecht neben der Verletzung grundlegender
Menschenrechte nur drei Normen, die zwingendes Recht sind: das Selbstbestimmungsrecht
der Völker, das Gewaltverbot und das Verbot des Völkermordes. Die Verletzung der
territorialen Integrität bzw. der staatlichen Souveränität gehört nicht dazu!
Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen 2625 (XXV)
vom 24.10 1970 „Friendly Relations Declaration“
Neben der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist die Prinzipienerklärung der
Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 24.10.1970, die Friendly Relations
Declaration, die im Konsens-Verfahren – das heißt ohne Gegenstimme – beschlossen wurde,
der zweifellos bedeutendste Beschluss der UN-Generalversammlung. Wenngleich keine
formelle Rechtsverbindlichkeit besteht, so beinhaltet die Deklaration – wie sich aus den
Schlussbemerkungen ergibt – die Wiedergabe des geltenden Völkergewohnheitsrechtes.
In dieser Deklaration wird das Sezessionsrecht ausdrücklich anerkannt, und zwar entweder
durch Gründung eines eigenen souveränen Staates, oder die freie Assoziation mit einem
anderen Staat oder die Eingliederung in einen anderen Staat.
Die Deklaration enthält nicht nur das Recht der Völker über ihren politischen Status frei zu
entscheiden, sondern auch das Recht, im Falle eines Widerstandes beim Bemühen um die
Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes um Unterstützung zu suchen und zu erhalten.
In Ergänzung hiezu enthält die Deklaration die Pflicht jedes Staates, jede Gewaltmaßnahme
zu unterlassen, welche ein Volk seines Rechtes auf Selbstbestimmung beraubt, sowie
ausdrücklich auch die Pflicht jedes Staates, die Verwirklichung der Selbstbestimmung zu
unterstützen.Eine Einschränkung der äußeren Selbstbestimmung ist nur
dann gegeben, wenn ein Staat die innere Selbstbestimmung gewährleistet,
das heißt die gesamte Bevölkerung unter Wahrung der inneren
Selbstbestimmung vertritt.
Auch unter Zugrundelegung der Friendly Relations Declaration hatte die Krim das Recht zur
Sezession, das Recht die Russische Föderation um Hilfe zu ersuchen und
hatte die Russische Föderation sogar die Pflicht diese Hilfe zu leisten.
11. Staatliche Souveränität und territoriale Integrität
Als Argumente gegen die Sezession und für die Begründung einer Annexion werden die
Grundsätze der staatlichen Souveränität und territorialen Integrität gebraucht.
Zunächst ist auffallend, dass insbesondere jene auf die Achtung der
staatlichen Souveränität verweisen, die ansonsten die staatliche
Souveränität als obsolet betrachten und die Auflösung des
Nationalstaates betreiben.
Staatliche Souveränität beinhaltet das Recht, die Verfassungs- und Rechtsordnung
unabhängig vom Einfluss äußerer Mächte zu gestalten. Sie bezieht sich
auf das Verhältnis der Staaten bzw. Völkerrechtssubjekte zueinander und
nicht auf die Rechte eines Volkes
gegenüber dem Staat. Wenn es auch ein Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung
des Volkes und Souveränitätsanspruch des Staates gibt, so hat jedenfalls das
Selbstbestimmungsrecht Vorrang. Die staatliche Souveränität hat ihre Grenzen im
Völkerrecht. Kein völkerrechtlicher Vertrag, aber auch keine
innerstaatliche Verfassung kann das Selbstbestimmungsrecht verbieten
(siehe ius cogens).
Der Schutz der territorialen Integrität ist in Artikel 2 Abs. 4 der Charta der Vereinten
Nationen enthalten und bezieht sich ebenfalls ausschließlich auf die Beziehungen zwischen
den Staaten und nicht auf die Völker. Es verpflichtet die Staaten und nicht die Völker,
Gewaltanwendungen oder Drohungen, die gegen die territoriale Unversehrtheit und
Unabhängigkeit eines Staates gerichtet sind, zu unterlassen.
Völker haben gemäß der Resolution der UN Generalversammlung vom 7.12.1987
A/RES/42/259 unter ausdrücklichem Hinweis auf die Friendly Relations Declaration das
Recht für Selbstbestimmung zu kämpfen („to struggle“), wobei auch Gewalt gerechtfertigt ist (Punkt 14. der Resolution).
Helsinki Schlussakte 1975
Vielfach wird die Rechtswidrigkeit der
Sezession der Krim mit den Helsinki Schlussakten 1975 und dem darin
enthaltenen Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen (III.) und der
Territorialen Integrität der Staaten (IV.) begründet. Dies ergibt sich aus dem
Souveränitätsprinzip in Punkt I. und bezieht sich auf die Teilnehmerstaaten, die gegenseitig
ihre auf Souveränität beruhenden Rechte zu achten haben, bezieht sich demnach nicht auf
die Völker.
Vollkommen übersehen und ignoriert wird aber, dass auch die Helsinki Schlussakte in Punkt
VIII. das kollektive Recht der Völker auf Selbstbestimmung und darüber hinaus auf
Gleichberechtigung der Völker beinhalten. Artikel 1 der Menschenrechtspakte wird sogar
erweitert und verstärkt, indem betont wird, dass die Völker dieses Recht ausüben können
wann und wie sie es wünschen. Neben der Bestimmung des politischen Status wird
zusätzlich zu der in den Menschenrechtspakten genannten wirtschaftlichen, sozialen und
kulturellen Entwicklung ausdrücklich auch die politische Entwicklung genannt, die nach
eigenen Wünschen verfolgt werden soll.
Übersehen und ignoriert wird auch die in den Helsinki Schlussakten enthaltene Mahnung,
welche Bedeutung die wirksame Ausübung der Gleichberechtigung und des
Selbstbestimmungsrechtes der Völker hat und die ausdrückliche Erinnerung an die
Bedeutung der Beseitigung jeglicher Form der Verletzung dieses Prinzips.
Die Helsinki Schlussakte haben zweifellos dazu beigetragen, dass 15 Jahre später die Macht
des Volkes in zahlreichen Ländern eine Selbstbestimmungswelle in Gang
gesetzt hat, die ein totalitäres System zum Einsturz brachte und
zahlreichen Völkern Unabhängigkeit und
Freiheit brachte.
12. Budapester Memorandum 1994
Eine weitere – derzeit nur versuchte – Rechtsverletzung ist die von der Regierung bekannt
gegebene Absicht, man werde den im Budapester Memorandum 1994 enthaltenen Verzicht
auf Atomwaffen nicht einhalten und gegebenenfalls die Produktion von Atomwaffen
aufnehmen.
13. Das erste und wichtigste von Präsident Putin formulierte Kriegsziel, nämlich Schutz
der russischen Bevölkerung ist daher berechtigt wird durch weiter andauernde militärische
Angriffe gegen den Donbass bekräftigt.
14. Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine
Präsident Putin hat in der Folge als weiteres Kriegsziel über den Donbass hinaus die
Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine angegeben und zu diesem Zwecke auch
Aktionen außerhalb des Donbass durchführen lassen.
Zur Beantwortung der Frage, ob diese zweifellos kriegerischen Aktionen gerechtfertigt sind,
ist die neueste Lehre im Völkerrecht zum Thema Angriffskriege heranzuziehen.
Wenn auch militärische Aktionen ausschließlich unter dem Mandat der Vereinten Nationen
zulässig sind, so wird in den letzten Jahren die Zulässigkeit eines Krieges zum Zwecke der
Friedensicherung und im Zusammenhang mit humanitären Interventionen diskutiert.
Gemäß der neuen Völkerrechtslehre ist auch ein präventiver Angriffskrieg zulässig, wenn
wesentliche Interessen und die Sicherheit gefährdet erscheinen. Zur Abwehr allfällig und
drohender Angriff ist auch ein militärischer Präventionsschlag gerechtfertigt.
15. Russland befindet sich zweifellos in einer Situation, in der seine Sicherheit und auch
seine Integrität gefährdet sind. Russland ist von der NATO zur Gänze eingekreist, in
unmittelbarer Nähe zu russischen Grenzen sind NATO-Truppen stationiert, die
Raketenabwehranlagen in Rumänien und Polen stellen eine unmittelbare Bedrohung durch
Atomwaffen dar, ebenso die Aufstockung der Atomwaffenarsenale in Europa und die
wiederholten und ernstzunehmenden Drohungen des Westens mit Atomwaffen. Eine
weitere Bedrohung wurde von Russland zu Recht in den zahlreichen in der Nähe der
russischen Grenze etablierten Bio-Labors gesehen. Das Bild wird durch die immer mehr
ausgeweiteten Wirtschaftssanktionen gegen Russland und den Informationskrieg mit
unrichtigen Darstellungen abgerundet.
Das Ziel der Entmilitarisierung der Ukraine erscheint unter diesem
Gesichtspunkt als zulässig, wobei die Entnazifizierung auf jene
rechtsextremen Kräfte in der Ukraine verweisen soll, welche bereits im
2. Weltkrieg Massaker an Russen und Juden mit 50.000 Toten verursacht
haben und welche auch derzeit die treibenden Kräfte im Krieg gegen den
Donbass sind.
16. Zusammenfassend kann daher gesagt werden:
Nicht Russland verletzt das Völkerrecht, sondern im Gegenteil die Machthaber in Kiew,
unterstützt vom Westen, insbesondere auch mit finanziellen Mitteln und Waffen, sowie
befeuert von den westlichen Medien.
17. Regelbasierte Ordnung anstelle des Völkerrechts
Auch der Ukraine-Krieg ist ein Beispiel dafür, dass das Völkerrecht keine Geltung mehr hat.
Im Westen wird die mangelnde Beachtung und Beseitigung des bisherigen Völkerrechtes
auch gar nicht bestritten. Man beruft sich nicht auf das Völkerrecht, sondern auf die
„regelbasierte Ordnung“, wobei diese regelbasierte Ordnung vom Westen diktiert und mit
allen Mitteln versucht wird, sie durchzusetzen. Macht geht vor Recht.
Eine internationale Diskussion und Initiative zur Wiederherstellung des Völkerrechts wäre
notwendig."
Quelle: Unser Mitteleuropa