Harvard-Forscher sieht USA auf dem Weg zur Autokratie
Der Demokratieforscher Steven Levitsky sieht die USA dabei, zur Autokratie zu werden. "Wir erleben den Zusammenbruch unserer Demokratie", sagte der Harvard-Professor dem "Spiegel". Die USA rutschten unter Donald Trump in eine Form des Autoritarismus ab. "Diese Entwicklung wird wohl nicht unumkehrbar sein. Aber die USA hören gerade auf, eine Demokratie zu sein."
Levitsky wurde 2018 mit dem Bestseller "Wie Demokratien sterben"
international bekannt, welchen er gemeinsam mit seinem Forscherkollegen
Daniel Ziblatt veröffentlichte. Die beiden Politologen zeigten, wie ein
Präsident mit autokratischen Ambitionen die US-Demokratie zerstören
könnte: nach dem Vorbild lateinamerikanischer und osteuropäischer
Autokraten.
Trump und seine Leute folgten nun einem bewährten
Drehbuch, sagte Levitsky. "Zuerst muss ein Möchtegern-Autokrat die
Institutionen unter Kontrolle bringen, die für Ermittlungen und
Strafverfolgung zuständig sind. Trumps erster Schritt im Amt war die
Neubesetzung dieser Entscheider mit seinen Gefolgsleuten." Zugleich
versuchten Trump und seine Verbündeten, kritische Stimmen wie Medien,
Wissenschaftler sowie andere Akteure der Zivilgesellschaft gefügig zu
machen oder kaltzustellen - oft mit Erfolg.
So ähnlich habe es
unter anderem Hugo Chávez in Venezuela gemacht, später Recep Tayyip
Erdogan in der Türkei - sowie vor allem Viktor Orbán in Ungarn, sagte
der Politologe. "Es ist skurril: Der Präsident der Vereinigten Staaten
und seine Gefolgsleute bedienen sich der Strategie des Machthabers im
kleinen Ungarn. Sie versuchen, Orbáns Modell zu kopieren."
Dabei
stehe Trump derzeit wenig im Wege. "Die viel gepriesenen Kontrollen
unserer Verfassung versagen gerade", sagte Levitsky. Vor allem die
Gewaltenteilung sei massiv geschwächt. "Noch nie hat ein US-Präsident
mehr Kontrolle über eine Partei gehabt als Trump über die Republikaner -
die in beiden Parlamentskammern die Mehrheit haben. Das bedeutet, dass
unsere Legislative ihre Macht an Trump abgibt."
Besondere Sorgen
bereitet Levitsky der schwache Widerstand der US-Zivilgesellschaft: "In
den ersten Wochen von Trump II erleben wir ein unerwartet hohes Maß an
Selbstzensur, Kapitulation oder gar Unterordnung" von Unternehmern,
Wissenschaftlern, Universitätsleitern oder Medien. Zudem seien viele
Amerikaner "naiv", sie hielten die Demokratie für selbstverständlich.
"Wenn das so weitergeht, wird Trump mehr Schaden anrichten, als ich für
möglich gehalten habe."
Noch sei nicht alles verloren, meint
Levitsky - schließlich lehne Umfragen zufolge mehr als die Hälfte der
US-Bürger Trump ab. "Ich denke, wir können es noch schaffen, unsere
Demokratie wiederherzustellen. Aber wir Amerikaner müssen aktiv werden."
Quelle: dts Nachrichtenagentur