Fehlende Schutzmaßnahmen auf den Baustellen in Katar: Sicherheitsingenieur Donato Muro klärt auf, was in den Vorbereitungen für die WM schiefgegangen ist
Archivmeldung vom 06.12.2022
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Freigeschaltet durch Mary SmithDie Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar ist eine der umstrittensten Veranstaltungen in der Sportgeschichte. Neben schlechten Arbeitsbedingungen für Gastarbeiter und zahlreichen weiteren Skandalen überschatten vor allem fehlende Schutzmaßnahmen auf den Baustellen das bevorstehende Großevent.
"Während den Vorbereitungen für die WM in Katar kam es auf den Baustellen immer wieder zu schwerwiegenden Unfällen mit Todesfolge. Zwar seien diese Arbeiter laut FIFA nicht während ihrer Tätigkeit verstorben, allerdings sind die fehlenden Schutzmaßnahmen auf den Baustellen alarmierend", so Sicherheits-Experte Donato Muro. In diesem Gastbeitrag erläutert er, was in Vorbereitung auf die WM in Katar schief lief.
15.000 Arbeitsmigranten starben seit der WM-Vergabe
Vorwiegend junge Männer sind bei Bauarbeiten zur Fußball-WM 2022 ums Leben gekommen. Was in Katar passiert ist, ist unmenschlich und traurig. Wieder einmal, so scheint es, galten im Fußball andere Maßstäbe und Regeln. Die Ursache für die katastrophalen Arbeitsbedingungen auf den WM-Baustellen in Katar liegt ganz klar in den fehlenden Gesetzen und Verordnungen.
Es gab schlichtweg keine Schutzmaßnahmen auf den Baustellen. Zudem haben die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Gastarbeitern und Arbeitgebern dafür gesorgt, dass Menschen bis zur völligen Erschöpfung arbeiteten. Menschen dürfen beim Tausch von Zeit gegen Geld nicht zu Schaden kommen. Neben ausbleibenden Hitzeschutz-Gesetzen - in Katar erreicht das Thermometer in den Sommermonaten Spitzenwerte von über 45 Grad - soll es sowohl zu wenige Gesundheitschecks als auch Inspektionen auf den Baustellen gegeben haben. Die Liste an Verstößen ist lang. Verglichen mit dem Arbeitsschutz in Europa werden die Missstände seit der WM-Vergabe noch deutlicher.
Arbeitsschutz hierzulande - ein Vergleich
In Deutschland gelten das Arbeitsschutzgesetz sowie die Baustellenverordnung. Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, Gesundheitsgefährdungen am Arbeitsplatz zu beurteilen und notwendige Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Arbeitsschutz hat in der Europäischen Union eine lange Tradition.
Doch aktuelle Zahlen aus Deutschland belegen: Auch hierzulande sterben noch immer Menschen bei ihrer Arbeit auf Baustellen. 2021 haben insgesamt 85 Bauarbeiter durch einen Arbeitsunfall ihr Leben verloren. Bauherren werden bei Verstößen gegen den Arbeitsschutz in die Pflicht genommen. Sie haben die Verantwortung für die Sicherheit ihrer Mitarbeiter. So arbeitet auf Baustellen in Deutschland verpflichtend ein SiGeKo, also ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator. Er wird vom Bauherrn ernannt und ist für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten zuständig.
Welche Schlüsse sollte Katar aus den hohen Todeszahlen für die Zukunft ziehen?
Großbaustellen sind eine komplexe Angelegenheit: Viele Personen aus unterschiedlichsten Gewerken sind beteiligt. Koordinierungsgespräche zwischen allen Gewerken müssen die Grundlage sein. Kommunikation und Teamwork sind unumgänglich. Unterweisungen für den sicheren Betrieb von Anlagen und Maschinen sowie die PSA, die persönliche Schutzausrüstung, bilden die Grundlage für die Arbeitssicherheit am Bau. Das deutsche Regelwerk ist sehr genau und ermöglicht gerade deshalb einen hohen Eigenschutz.
Doch wie funktioniert Arbeitsschutz in der Praxis? Ein Beispiel: An einer Fassade finden gerade Arbeiten statt. Auch auf dem Dach warten Bauarbeiter auf ihren Einsatz. Das ist ein typischer Fall, in dem es ohne Koordination sehr schnell zu schweren Unfällen kommen kann. Daher dürfen diese Arbeiten niemals parallel stattfinden. Die Planungsphase deckt Fehlerquellen wie diese auf. Meetings und schriftliche Anweisungen sind weitere Instrumente, um Arbeiten sicher durchzuführen.
All das war auf den WM-Baustellen in Katar offensichtlich mangelhaft. Verantwortliche Sicherheits- und Gesundheitskoordinatoren gab es nicht. Kontrollen von Behörden blieben aus. Die Gastarbeiter arbeiteten tagtäglich in Lebensgefahr. Viele bezahlten die Fehler anderer mit ihrem Leben. Was bleibt, sind trauernde Familien - und die Gewissheit, dass in Katar ein radikales Umdenken erforderlich ist!
Quelle: Donato Muro (ots)