DIW-Ökonom sieht Schuldenschnitt für Griechenland als unausweichlich
Archivmeldung vom 19.11.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNach Einschätzung des Forschungsdirektors für Internationale Makroökonomie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Ansgar Belke, führt an einem Schuldenschnitt für Griechenland trotz des Widerstands aus Deutschland kein Weg vorbei. Diese Überzeugung äußerte Belke, der zugleich der Direktor des Instituts für Betriebswirtschaft und Volkswirtschaft (IBES) an der Universität Duisburg-Essen ist, am Montag gegenüber "Handelsblatt-Online".
"Griechenland wird mindestens bis nach der Bundestagswahl, etwa bis 2014, weiter finanziell gestützt und dann dem ohnehin notwendigen Schuldenschnitt oder sogar dem Euro-Austritt ausgesetzt", so der Ökonom. Denn das Ziel der Schuldentragfähigkeit gerate immer mehr außer Kontrolle. "Spätestens 2014 wäre dann das nächste Hilfspaket mit weiteren, immer weiter steigenden Milliardenkrediten erforderlich oder es kommt eben doch zum nächsten Schuldenschnitt." Die Folgen: "Je länger mit einem Schuldenschnitt gewartet wird, umso höher werden die mittlerweile sicher eintretenden Kosten für Deutschland sein", warnt Belke. Für Deutschland wäre die Belastung bei einem 50-Prozent-Schuldenschnitt nach Belkes Einschätzung derzeit überschaubar.
Der DIW-Experte geht von Kosten für Deutschland in Höhe von 22 Milliarden Euro aus. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel wäre dieser Betrag aber wohl zu hoch, um ihn vor der Wahl der Wählerschaft schmackhaft machen zu wollen, fügte Belke hinzu. "Zudem dürfte ein Schuldenschnitt anschließende weitere Kredite haushaltsrechtlich ausschließen; diese Flexibilität dürfte sich die deutsche Regierung aber bewahren wollen", sagte der DIW-Experte.
Vor diesem Hintergrund rechnet Belke daher eher damit, dass die Politik zu einem "sanften Schuldenschnitt" mit Laufzeitverlängerungen und Zinssenkungen einer Verringerung des Aufschlags von derzeit 150 Basispunkten auf 50 Basispunkte - bei den Rettungskrediten tendiere. "Auch könnte die EZB Buchgewinne aus Geschäften mit griechischen Anleihen über die nationalen Notenbanken an Griechenland transferieren", fügte der Forscher hinzu. Gegen diese Optionen wehre sich die EZB aber, da sie Griechenanleihen im Bestand hält und beides unter die Kategorie Schuldenerlass und folglich einer direkten Finanzierung des griechischen Staates falle und ihr juristisch nicht gestattet sei. "Es bleibt abzuwarten, ob ihre politische Abhängigkeit schon so groß geworden ist, dass sie auch hier gegenüber den Regierungen einknickt", sagte Belke. Daher sei, sagte der Ökonom weiter, wohl erst einmal ein "drittes Rettungspaket" wahrscheinlich, welches die in den kommenden zwei Jahren klaffende Finanzierungslücke in Höhe von 13,5 Milliarden Euro noch einmal schließen könne. "Damit würden die Euro-Staaten die Politik seit Mai 2010 fortsetzen und das Problem immer weiter in die Zukunft verschieben", sagte der DIW-Experte.
DIHK strikt gegen Schuldenschnitt für Griechenland
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, lehnt einen Schuldenschnitt der öffentlichen Gläubiger für Griechenland strikt ab. "Griechenland zeigt nun zumindest den nötigen Reformwillen. Deshalb kommen die Diskussionen um einen weiteren Schuldenschnitt zur Unzeit", sagte Wansleben "Handelsblatt-Online". "Eine solche vermeintlich leichte Lösung ist gegenüber den Gläubigern der falsche Weg." Allerdings bräuchten wirtschaftspolitische Reformen in Griechenland mehr Zeit, um angesichts der schwierigen Lage wirken zu können, sagte Wansleben weiter. "Die nötigen zusätzlichen zwei Jahre müssen im Rahmen der Programme geschultert werden", betonte er und fügte hinzu: "Wir müssen für alle Seiten verträgliche Wege der Finanzierung finden zum Beispiel durch Streckung der Rückzahlungszeiträume."
Streit um Schuldenschnitt für Griechenland
Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) hat der Einschätzung von EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) widersprochen, wonach ein weiterer Schuldenschnitt für Griechenland kaum zu vermeiden sei. Der "Bild-Zeitung" (Montagausgabe) sagte Kauder: "Ein Schuldenschnitt, der auch die öffentlichen Gläubiger in Anspruch nimmt, ist völlig abwegig. Er würde auch den Reformwillen der Staaten in Europa insgesamt schwächen. Die Griechen haben zugesagt, ihre Schulden zu bezahlen. Dabei muss es bleiben. Täglich neue Diskussionen rufen nur immer neue Irritationen hervor. Wir müssen nach wie vor den endgültigen Bericht der Troika abwarten."
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier warf der Bundesregierung in dieser Frage "Herumtrickserei" vor. In einem Interview mit der "Bild-Zeitung" sagte Steinmeier: "Ich komme gerade aus Brüssel. Die Spatzen pfeifen es dort schon von den Dächern: Griechenland braucht wieder Geld, und zwar noch in diesem Monat. Nur Merkel und ihr Finanzminister Schäuble tun so, als wüssten sie von nichts. Diese Herumtrickserei schadet Europa, und anständig mit den Menschen in Deutschland ist es auch nicht. Die haben es aber verdient, dass ihre Regierung ehrlich zu ihnen ist. Diese Woche ist Haushaltsdebatte. Da muss die Wahrheit auf den Tisch. Wir wollen endlich wissen, welche Belastungen auf Deutschland noch zukommen!"
EU-Energiekommissar Günther Oettinger hatte dem Blatt am Wochenende bestätigt, dass er einen weiteren Schuldenschnitt für Griechenland für unabwendbar hält: "Am Ende des Tages werden wir um einen Schulden schnitt der öffentlichen Gläubiger für Griechenland nicht herumkommen", so Oettinger.
Regling: Öffentlicher Schuldenschnitt nur in Extremsituationen möglich
Der Chef des Euro-Rettungsfonds Klaus Regling hat signalisiert, dass die Euro-Staaten Griechenland wahrscheinlich keine Schulden erlassen werden. "Ein öffentlicher Schuldenschnitt ist etwas ganz Außergewöhnliches, den kann es nur in extremen Ausnahmesituationen geben", sagte Regling dem "Handelsblatt". Es gebe zwar viele historische Beispiele für einen Schuldenschnitt. "Dabei gab es allerdings fast immer eine Arbeitsteilung zwischen privaten und öffentlichen Gläubigern. Die privaten Gläubiger verzichteten auf einen Teil ihrer Forderungen, während die öffentliche Hand dem betroffenen Staat neue Kredite zu günstigen Konditionen gab. So ist es in Asien und Lateinamerika gelaufen und so machen wir es jetzt auch im Euroraum", sagte Regling. Er räumte ein, dass Griechenland der "mit Abstand schwierigste Fall" in der Euro-Zone sei. Trotzdem könne das Land von seiner extrem hohen Staatsverschuldung wieder herunterkommen. "Auch ohne weiteren Schuldenschnitt wird die griechische Schuldenquote im kommenden Jahrzehnt auf jeden Fall um ein Drittel sinken", sagte der deutsche Chef des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Er begründete diese Erwartung damit, dass Griechenland für die Kredite des Euro-Rettungsschirms nur noch extrem niedrige Zinsen von eineinhalb bis 2 Prozent zahle.
Regling äußerte sich zugleich zuversichtlich, dass der IWF sich auch künftig an den Krediten für Griechenland beteiligt. "Die Zusammenarbeit zwischen dem IWF und dem Euroraum in der Troika hat sich bewährt. Dass die Ansichten nicht immer deckungsgleich sind, liegt bei einem so komplexen Fall auf der Hand. Bisher ist es trotzdem immer wieder gelungen, einen Konsens in der Troika herzustellen", sagte Regling.
Zwischen der Euro-Zone und dem IWF war ein Streit darüber entbrannt, zu welchem Zeitpunkt Griechenland seine Gesamtverschuldung wieder auf ein tragfähiges NIveau senkt.
Die Euro-Finanzminister und IWF-Chefin Christine Lagarde wollen bei einer Sondersitzung am Dienstag versuchen, den Konflikt beizulegen Regling appellierte an die Euro-Zone, ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik zusammenzulegen und dafür den EU-Vertrag zu ändern. Die Währungsunion habe im Laufe der Krise sehr viel internationales Ansehen verloren. "Deshalb müssen wir jetzt beweisen, dass die Währungsunion wirklich unauflöslich ist und sich in Richtung einer gemeinsamer Haushalts-und Wirtschaftspolitik bewegt", sagte Regling. Der Euro-Raum brauche solidere institutionelle Grundlagen. "Dafür brauchen wir wahrscheinlich eine EU-Vertragsreform", sagte Regling. Da eine solche Vertragsreform sehr lange dauere, solle die EU so schnell wie möglich damit beginnen.
EZB soll stärker in Griechenland-Rettung eingebunden werden
Die Europäische Zentralbank (EZB) soll laut Informationen des Nachrichten-Magazins "Der Spiegel" bei der Rettung Griechenlands stärker eingebunden werden als bislang bekannt. Griechenland finanziert sich nicht zuletzt über sehr kurzfristige Schuldverschreibungen, sogenannte T-Bills. Derzeit darf die Athener Regierung diese Papiere bis zu einem Volumen von 18 Milliarden Euro ausgeben. Gekauft werden sie meist von griechischen Banken die sich fast ausschließlich über Notenbank-Nothilfen finanzieren. Deshalb sollte die Höchstgrenze für die T-Bills eigentlich auf 12 Milliarden Euro sinken. Nun wird diskutiert, weiterhin die ursprüngliche Summe von 18 Milliarden Euro zu akzeptieren. So kämen 6 Milliarden Euro zusammen. Weitere 7 Milliarden Euro soll die EZB direkt beisteuern. Schließlich hat die Notenbank griechische Staatsanleihen gekauft, die auf dem Papier 45 Milliarden Euro wert sind. Weil die EZB dafür aber weniger bezahlt hat, entsteht am Ende der Laufzeit ein Gewinn. Deutschland drängt, die möglichen Milliarden der Zukunft bereits heute fest einzuplanen. Die verbleibende Lücke im Rettungsprogramm soll durch viele weitere Maßnahmen geschlossen werden etwa durch das Absenken der Zinssätze für die bestehenden Griechenland-Kredite.
Söder verstärkt Kritik an Griechenland-Hilfen
Der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) hat seine Kritik an den Hilfen für Griechenland verstärkt. "Wir spüren doch, dass wir als Deutsche immer tiefer in die Haftung gezogen werden", sagte Söder in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Focus". "Die Risiken werden für Deutschland größer. Davor haben uns bereits Rating-Agenturen gewarnt. Ich hätte deshalb Probleme damit, Zinsen zu verschenken. Und dass wir im Bundeshaushalt einen zusätzlichen Extra-Etat für Direktzahlungen an Griechenland einrichten, ist nicht vorstellbar." Der Finanzminister plädierte dafür, sich auf jeden Fall einen "Plan B" offen zu halten. "Denn wenn wir so weitermachen, besteht die Gefahr, dass am Ende Deutschland auf den ganzen Rettungspaketen sitzen bleibt. Diesen Effekt fürchte ich mehr, als den, dass Griechenland am Ende doch einen geordneten Weg aus dem Euro nehmen könnte." Seine Partei wolle keine Transferunion, sondern gleichberechtigte starke Euro-Partner. "Bei Griechenland sehe ich das auf absehbare Zeit nicht."
Söder sprach sich zudem für ein Vetorecht der Bundesbank bei allen Fragen der europäischen Fiskalpolitik aus. Die Bundesregierung müsse die Bundesbank vor allen wichtigen Entscheidungen hören. Sie kann das Veto der Bundesbank dann auch überstimmen. "Aber dann muss eine Regierung immer erklären, aus welchen Gründen sie sich über das Veto der Bundesbank hinwegsetzt", sagte der CSU-Politiker.
CSU will Griechenland mehr Zeit für Reformbemühungen geben
Die CSU ist bereit, Griechenland mehr Zeit einzuräumen, um Reformen und Sparmaßnahmen umzusetzen. Parteichef Horst Seehofer sagte "Bild am Sonntag": "Falls die Griechen mehr Zeit brauchen, kann man mit der CSU darüber reden." Seehofer betonte, dass weitere Hilfen für das pleitebedrohte Mitglied der Eurozone mit Bedingungen verknüpft seien: "Für die CSU und den Freistaat Bayern gilt nach wie vor der Grundsatz, dass es Hilfen nur gegen Auflagen geben kann. Und die Auflagen heißen Sparen und Reformen. Griechenland hat hier Fortschritte erzielt und wir sollten Respekt haben vor den Anstrengungen der griechischen Regierung und der Bevölkerung." Zur Begründung eines möglichen zeitlichen Aufschubs für Griechenland, den er noch im Sommer abgelehnt hatte, sagte Seehofer: "Die wirtschaftliche Situation ist leider eine ganz andere geworden als noch im Sommer. Wir haben es mit einem spürbaren Abflachen der Konjunktur zu tun. Bayern ist ein sehr exportorientiertes Land, und ich muss als Regierungschef darauf achten, dass unsere Arbeitsplätze sicher bleiben. Wir müssen abwägen, ob die Alternative zu einem zeitlichen Aufschub für die Griechen nicht deutlich mehr Geld kosten würde, zum Beispiel durch einen sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit auch bei uns." Seehofer weiter: "Die politische Kunst ist es, einen Flächenbrand, den eine Pleite Griechenlands auslösen könnte, zu vermeiden ohne die Schuldenbekämpfung aufzugeben." Zukünftige Hilfen für Griechenland dürften nach Seehofers Worten ausschließlich vom Bundestag beschlossen werden: "Das ist eine Entscheidung des gesamten Parlaments. Denn es geht dabei um die Stabilität unserer Währung und die Sicherung der Arbeitsplätze."
SPD-Chef: Reiche Griechen sollen zahlen
Die SPD will einem weiteren Hilfspaket für Griechenland nur zustimmen, wenn sich die wohlhabenden Griechen stärker an den Sparanstrengungen in dem Land beteiligen. "Bild am Sonntag" sagte der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel: "Ich kann mir kein neues Hilfspaket vorstellen, ohne dass nicht endlich auch die vermögenden Griechen zur Kasse gebeten werden." Gabriel beschuldigte die Bundesregierung, am Steuerbetrug vermögender Griechen Mitschuld zu haben: "Die europäischen Regierungen sollten das in Europa gebunkerte Vermögen von Griechen einfrieren, bis die nachgewiesen haben, dass sie in Griechenland nach Recht und Gesetz Steuern bezahlt haben. Frau Merkel muss dafür sorgen, dass sich die Bundesregierung nicht länger der Mittäterschaft der Steuerhinterziehung von griechischen Super-Reichen schuldig macht."
Gabriel weiter: "Bislang profitieren Deutschland und die anderen europäischen Länder, weil griechische Millionäre ihr Geld zu ihnen verschieben. Die Staats- und Regierungschefs sollten sich dafür schämen, dass sie klammheimlich wie Hehler an der Steuerflucht der griechischen Milliardäre verdienen und dann anschließend die deutschen und europäischen Steuerzahler für Hilfspakete zur Kasse bitten. Möglichkeiten für Griechenland weiter zu sparen, sieht Gabriel vor allem bei den Militärausgaben: "Es gibt großes Sparpotenzial im griechischen Militärhaushalt, der gemessen an der Wirtschaftskraft einer der größten in Europa ist.
Der SPD-Chef warf der Bundesregierung vor, lediglich aus Rücksichtnahme auf die deutsche Rüstungsindustrie noch keine entsprechenden Einschnitte gefordert zu haben: "Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung nur deshalb nichts dagegen sagt, weil die deutsche Rüstungsindustrie davon profitiert. Panzer kaufen und die eigene Bevölkerung hungern lassen, war noch nie ein gutes Rezept gegen die Krise."
Quelle: dts Nachrichtenagentur