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„Winter-Flüchtlinge“: Leere Gerüchte oder neuer Trend?

Archivmeldung vom 09.02.2019

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 09.02.2019 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Köln (August 2017)
Köln (August 2017)

Foto: Thomas Wolf, www.foto-tw.de
Lizenz: CC BY-SA 3.0 de
Die Originaldatei ist hier zu finden.

„2700 Menschen kamen in den vergangenen Wochen nach Köln. Alle sind unerlaubt eingereist – aus den Balkanstaaten Albanien, Mazedonien und Serbien. Meist sind es bis zu 100 Personen am Tag“ – mit dieser Passage hat die Zeitung Express eine Diskussion um Migration angeheizt.

„Die Leute freuen sich, dass sie im Gegensatz zu ihrer Heimat über die Wintermonate ein warmes, sauberes Heim, gute Verpflegung und medizinische Versorgung haben. Für sie ist das quasi wie ein traumhafter Urlaub. Deswegen kommen viele jedes Jahr mit ihrer Familie nach Köln. Sie mögen es hier“, berichtet ein Mitarbeiter in der Flüchtlingshilfe Express gegenüber der Zeitung. Die Stadt solle nun mit dem Ansturm von Tausenden „Winter-Flüchtlingen“ aus dem Balkan kämpfen.

​Doch es stellt sich die Frage: Ist die Lage so bestellt, wie die Zeitung sie darstellt? Sputnik klärt auf.

Wer sind diese „Winter-Flüchtlinge“?

Die Winter-Welle aus dem Balkan kommt regelmäßig. Überwiegend seien es Roma aus Albanien, Mazedonien und Serbien, zum großen Teil Familien mit Kindern, sagt die Kölner Stadtverwaltung Sputnik auf Anfrage. Sie kommen in den Winter-Monaten nach Deutschland und reisen dann wieder aus. Es gebe einige Menschen in dieser Gruppe, die einen Asylantrag stellen würden, aber der größere Teil der Leute gehe diesen Weg nicht, „weil das Asylverfahren für sie ungeeignet ist. Denn es handelt sich um sogenannte sichere Herkunftsländer“, erklärte der Geschäftsführer des Flüchtlingsrates, Claus Ulrich Prölß. Sie verbleiben bis zur Ausreise in Köln.

Auch wenn sie unerlaubt einreisen, haben sie – bis ihr Status geklärt ist – Anspruch auf eine Unterkunft. Neben einer Unterbringung mit Vollverpflegung erhalten sie auch eine Gesundheitsvorsorge und Geldleistungen. Dieses Phänomen hat es auch schon in den Vorjahren gegeben, allerdings – mit Ausnahme des Jahres 2015  –  in geringerem Umfang. Im Jahr 2015 war die Flüchtlingszahl sehr hoch.  Die Stadt Köln gab damals für die Unterbringung 75,7 Millionen Euro aus. Doch diesmal reisten seit Oktober 2018 mehr als 2700 Menschen ein  – damit ist die Zahl der Balkanflüchtlinge auf einem Rekordhoch.

Auf Anfrage von Sputnik bestätigt das Kölner Amt für Wohnungswesen, dass es in Köln sogenannte „Winterflüchtlinge“ gibt: „Seit Oktober 2018 ist das Phänomen der unerlaubten Einreise von Menschen aus den Westbalkanstaaten in den Wintermonaten wieder verstärkt festzustellen“. Das Besondere: Es handle sich dabei um ein Köln-typisches Phänomen. „Nur wenige bis keine unerlaubt eingereisten Personen steuern andere Kommunen in NRW an. Die Gründe dafür sind der Stadt Köln nicht bekannt“. Der Kölner Flüchtlingsrat lieferte doch die Erklärung gegenüber Sputnik: „Dass Personen insbesondere aus Ex-Jugoslawien, vor allem Roma, eher Köln als andere Kommunen in NRW ansteuern, ist historisch bedingt. Bereits in der „Anwerbephase“ der Bundesrepublik sind damals viele sogenannte „Gastarbeiter“ aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Köln gekommen – und geblieben.“

Alle angekommenen Menschen aus Südosteuropa gelten als obdachlos, deshalb ist die Stadt verpflichtet, sie unterzubringen. Vermeidung von Obdachlosigkeit ist gesetzlich im Ordnungsbehördengesetz verankert. Es gilt aber für alle – deutsche Obdachlose wie Flüchtlinge.

„In den Wintermonaten ist eine Steigerung der Flüchtlingszahlen aus dem Westbalkan nicht außergewöhnlich – die Familien möchten ihr Überleben sichern und das ist in ihrem Herkunftsland äußerst schwierig“, erläuterte der Flüchtlingsrat NRW im Gespräch mit Sputnik.

Claus Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Köln e.V., zeigt sich mit dem Begriff „Urlauber-Ansturm“ nicht einverstanden: „Der Begriff Urlaub passt da wohl eher nicht.“ Die Existenz der „Winter-Welle“ von Flüchtlingen sei aber keine neue Sache, sagte Prölß: „Es war schon immer so, dass im Herbst und Winter die Zahl der unerlaubt eingereisten Personen gestiegen ist – danach sinkt sie wieder. Aber es ist kein Grund, in Panik zu geraten, sondern man muss jetzt bedenken: Was sind das für Leute? Was haben sie für Gründe?“ Bei diesen Gruppen handle es sich größtenteils um die Roma-Minderheit aus den Westbalkanstaaten, fuhr Prölß im Sputnik-Interview fort. „Diese Minderheit wird in ihren Herkunftsländern diskriminiert und ausgegrenzt. So leben die meisten dort unter unwürdigen Lebensbedingungen“.

Der Flüchtlingsrat veröffentlichte bereits offene Briefe an den Kölner „Express“ und an die Kölner Oberbürgermeisterin, Henriette Reker. Es geht dort um eine unzulässige Gruppendiskriminierung der Flüchtlinge durch die Chefredaktion, die – gewollt oder ungewollt – in Teilen der Leserschaft Intoleranz und Hass fördere. In der Realität sei das Asylverfahren für die Bewerber aus „sicheren Herkunftsstaaten“ aussichtlos, deshalb müssen sie bis zu ihrer Ausreise oder Abschiebung in Landesunterkünften leben.

Den Artikel der Express-Zeitung übernahmen mehrere Medien, darunter auch Focus Online mit einer lapidaren Mittelung unten: „Der Beitrag stammt von Kölner Express. Es gibt keine redaktionelle Prüfung durch Focus Online.“

Nach einiger Zeit wurde der Artikel aber mit keinerlei Anmerkung gelöscht.

Es ist nicht das erste Mal, dass Focus Beiträge von der Webseite löscht. Im Januar entfernte die Plattform kommentarlos einen kritischen Artikel über die Gehälter beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ARD. Was Focus leider vergisst: Gelöscht bedeutet nicht verschwunden. Den Artikel kann man immer noch im Cache aufrufen. Die Frage, warum Focus ihn entfernte, bleibt offen.

Die Flüchtlinge dürfen bis zum Abschluss des Asylverfahrens bleiben. Die Länge ihres Aufenthalts wird aber nicht geregelt. Doch irgendwann sollen sie die Stadt verlassen und in der Regel geht es im Frühjahr wieder nach Hause.

Die Stadtverwaltung und Flüchtlingsorganisationen erklären diese „Winter-Welle“ bereits zum Trend. „Mit ‚Urlaub‘ hat das natürlich nichts zu tun“ betonte der Flüchtlingsrat NRW gegenüber Sputnik.

Jedoch sehen offenbar die Flüchtlinge in diesen „Winter-Reisen“ nach Köln eine Möglichkeit, für eine kurzweilige Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Vor allem aus Mazedonien kamen zuletzt viele Menschen, berichtet das Amt für Wohnungswesen. Die Stadt vermutet, dass auch Strukturen dahinter stehen. Die Recherchen des WDR in Mazedonien zeigen, dass dort regelrecht Werbung gemacht wird; etwa für eine Fahrt im Reisebus nach Köln für 90 Euro.

Quelle: Sputnik (Deutschland)

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