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Psychische Gesundheit bei Bundeswehr Soldaten und Soldatinnen im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen

Archivmeldung vom 07.04.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 07.04.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Bild: Siegfried Fries / pixelio.de
Bild: Siegfried Fries / pixelio.de

Rund zwei Prozent aller deutschen Bundeswehrsoldaten, die im Jahre 2009 an einem Auslandseinsatz in Afghanistan im Rahmen der ISAF-Mission teilgenommen haben, kehrten mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) aus dem Einsatz zurück. In absoluten Zahlen sind also jährlich rund 300 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die zum Auslandseinsatz in Afghanistan waren, betroffen.

Dies ist eines der Ergebnisse eines Forschungsprogramms der TUD zu den Folgen von Auslandseinsätzen der deutschen Bundeswehr, die Professor Hans-Ulrich Wittchen und Dr. Sabine Schönfeld vom Institut für Klinische Psychologie und dem „Center of Clinical Epidemiology and Longitudinal Studies (CELOS)“ der TU Dresden durchgeführt und anlässlich einer Pressekonferenz am 6. April 2011 in Berlin vorgestellt haben.

Lediglich jeder Zweite der Betroffenen hat bislang in den zwölf Monaten nach dem Einsatz eine professionelle Hilfe aufgesucht. Dies weist im Zusammenhang mit früheren Daten aus Behandlungseinrichtungen der Bundeswehr darauf hin, dass es eine nicht unerhebliche jährliche Dunkelziffer (150 von 300 Betroffene) gibt.

Im Unterschied dazu wurde bei vergleichbaren Soldatinnen und Soldaten ohne Auslandseinsatz nur bei 0,3 Prozent eine PTBS festgestellt. Die Soldaten in den Afghanistan-Missionen der Bundeswehr haben also ein 6- bis 10-fach erhöhtes Erkrankungsrisiko.

Erstaunlich ist, dass bei gleichen methodischen Standards die Raten der deutschen Soldaten gravierend niedriger sind als beispielsweise die PTBS-Raten bei englischen und amerikanischen Soldaten, die im Irak oder Afghanistan im Einsatz waren. Die Studienleiter vermuten aufgrund erster vertiefender Analysen, dass die vergleichsweise niedrigeren Raten an einsatzbezogener PTBS mit besseren Auswahlkriterien der Bundeswehr für Auslandseinsätze, einer besseren Einsatzvorbereitung, mit einer kürzeren Einsatzdauer (vier bis fünf Monate statt ein bis zwei Jahre) und einer niedrigeren unmittelbaren Exposition an kriegerischen Kampfsituationen zusammenhängen.

Die scheinbar niedrige Rate an PTBS darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Afghanistan-Auslandseinsätze nahezu ausnahmslos bei allen Soldaten mit einem hohen Ausmaß von Belastungen verbunden sind. Belastende einsatzbezogene Ereignisse (Kampf-, Verletzungs- und Todeskonfrontation) kommen in der überwiegenden Mehrzahl mehrfach in der Einsatzzeit vor. Im Mittel berichten die Soldaten in ihrer Einsatzzeit (im Mittel vier bis fünf Monate) von mehr als 20 solchen Ereignissen; Kampftruppen in Kunduz nahezu doppelt so häufig wie andere Truppenteile und an anderen Standorten. 50 Prozent dieser belastenden Ereignisse erfüllten die Studienkriterien für sogenannte „traumatische Ereignisse“. Ein hoher Anteil der Soldaten und Soldatinnen erlebte multiple traumatische Ereignisse.

Insgesamt kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass die Größenordnung des Problems zwar erheblich, aber nicht so dramatisch erhöht ist, wie es gelegentlich in der Öffentlichkeit vermutet wurde.

Die Psychologen der TU Dresden weisen auch darauf hin, dass ihre Studie nahelegt, nicht zugunsten einer überaus starken Fokussierung auf die PTBS andere psychische Störungen, insbesondere Angst, depressive und somatoforme Störungen sowie Erschöpfungssyndrome aus dem Auge zu verlieren. Diese Störungen haben ein quantitativ sehr viel größeres Ausmaß. Zwar sind diesbezüglich Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr nicht häufiger betroffen als die deutsche Durchschnittsbevölkerung. Aber auch bei Bundeswehrsoldaten werden derartige psychische Störungen häufig nicht frühzeitig erkannt und adäquat behandelt.

Die Autoren weisen darauf hin, dass derartige unerkannte, vor den Auslandseinsätzen bestehende Störungen ein zusätzlicher Risikofaktor für eine PTBS-Entwicklung sein können. Deshalb sollten psychische Störungen insgesamt und auch unabhängig von Auslandseinsätzen in der Bundeswehr mehr Aufmerksamkeit erhalten.

Wie wurde die Studie durchgeführt?

Das Forschungsvorhaben der TUD ist die weltweit größte und hinsichtlich der Methoden klinisch differenzierteste Studie dieser Art. Grundlage der Studie war eine nach relevanten Merkmalen (Einsatzort, Truppenteil, Dienstgrad etc.) geschichtete Zufallsauswahl von 10 045 ISAF-Soldaten, die 2009 nach Afghanistan entsendet wurden. Die ausgewählten Soldaten wurden angeschrieben, um ihre Mitarbeit gebeten und dann an ihren Standorten von klinisch geschulten Teams der TU Dresden untersucht.

Insgesamt wurde mit 1488 Auslandseinsatz-Soldaten ein persönliches, der ärztlichen Schweigepflicht unterliegendes, zweistündiges Untersuchungsgespräch realisiert. Zusätzlich wurden 882 Kontrollsoldaten untersucht, die nicht im Auslandseinsatz waren. Die Teilnahme war freiwillig; die Teilnahmerate mit 94 Prozent aller zufällig ausgesuchten Soldaten überaus gut, so dass die Ergebnisse keinen bedeutsamen Einschränkungen, z.B. durch systematische Verweigerungen besonders gefährdeter Soldaten unterliegen.

Diese weltweit bislang einmalig differenzierte und sehr aufwändige Strategie erforderte, an 19 Standorten im ganzen Bundesgebiet zusammen mit den Standortkommandanten und dem Sanitätsdienst entsprechende Untersuchungszentren aufzubauen, um eine entsprechend umfassende und vertrauliche Untersuchung zu ermöglichen.

Die vorgestellten Ergebnisse beruhen auf der Auswertung der ersten von insgesamt fünf Fragestellungsgruppen. Bislang können daher zunächst nur Fragen nach der Häufigkeit einer einsatzbezogenen PTBS sowie der „Dunkelziffer“ beantwortet werden.

Neben der nun angelaufenen umfassenden Datenauswertung ist das Untersuchungsteam mit der Durchführung der längsschnittlichen Studienkomponente befasst. Dabei werden 600 Soldaten vor und nach dem Auslandseinsatz in ähnlicher Weise untersucht, um vor allem Prädiktoren und die Dynamik einsatzbezogener Erkrankungsprozesse genauer analysieren zu können. Dieser Studienteil wird entscheidend sein für die Ableitung von Empfehlungen, wie zukünftig die Prävention und Behandlung von Soldatinnen und Soldaten vor, während und nach einem Auslandseinsatz verbessert werden kann.

Quelle: Technische Universität Dresden

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