Wimmer: „Frau Merkel schrottet nicht nur Deutschland, sondern auch die CDU/CSU“
Archivmeldung vom 27.05.2019
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAlle reden am Morgen nach der EU-Wahl über die Grünen, den erneuten Einbruch der SPD und die die doch nicht so starke AfD - mal abgesehen von Ostdeutschland. CDU-Urgestein Willy Wimmer geht im Sputnik-Interview auch mit seiner Partei hart ins Gericht. Den Wahlkampf empfand Wimmer als „gigantischste Manipulationsstrategie".
Im Interview fragt Armin Siebert auf der deutschen Webseite des online Magazins: "Herr Wimmer, vornweg, wie haben Sie den Wahlkampf für dieser EU-Wahl erlebt?
Das war aus meiner Sicht die gigantischste Manipulationsstrategie, die ich zu meinen politischen Lebzeiten erlebt habe. Es wurde ja wirklich Angst und Schrecken – auch durch staatliche Manipulation – im Land verbreitet. Die Leute bekamen Angst, ihre Meinung zu sagen. Und sie hatten – und das war wohl das Ziel dieser Manipulationsstrategie – vor allem Angst, das zu wählen, was sie eigentlich wählen wollten. Und dann haben die Menschen mit der Wahl der Grünen zwar den Großkoalitionären eins verpasst, aber das kleinere Übel gewählt.
Auch wurde immer wieder über Desinformationsversuche von russischer Seite gewarnt. Am Donnerstag wurde jedoch von der zuständigen Abteilung in Brüssel erklärt, dass es keinerlei Kampagnen von russischer Seite gab. Darüber berichtet dann aber natürlich kaum noch jemand.
Das erleben wir doch schon seit Jahr und Tag. Das glaubt doch kein Mensch mehr, dass von russischer Seite in den zurückliegenden Jahren irgendetwas Manipulatives unternommen wurde. Dieses aufgebauschte Spiel trägt aber dazu bei, diejenigen in Sicherheit zu wiegen, die aus dem eigenen Lager Manipulation betreiben. Das wurde ja bei dieser EU-Wahl mustergültig unter Beweis gestellt.Es herrscht ja eigentlich ein mentaler Bürgerkrieg in einer Situation, wo der Staat eigentlich führen und dafür sorgen sollte, dass die Menschen sich wohl fühlen. Das ist nicht mehr das Land, in dem wir groß geworden sind.
Am Morgen nach der EU-Wahl reden eigentlich alle nur über eine Partei: Die Grünen. Ist das die neue Volkspartei?
Wir sehen ja aus den volatilen Wählerbewegungen, wie das rauf und runter geht. Parteien, die noch vor vier Monaten damit gerechnet haben, 20 und mehr Prozent zu bekommen, sind froh, wenn sie halbwegs an ihr Bundestagswahlergebnis rankommen. Andere, ehemals stolze Volksparteien schmieren in einer Art und Weise ab, dass man nur noch einen Schrecken bekommen kann, wie schnell das geht. Aber das ist ein Zeichen dafür, dass die deutsche Politik seit Jahren ohne jede Substanz ist. Frau Merkel schrottet nicht nur Deutschland, sondern auch die CDU/CSU.
Es scheint, dass die meisten Stimmen, die die Grünen dazugewonnen haben, von der SPD kamen. Bei den Sozis scheint im Moment so einiges schief zu laufen.
Wenn man die Statistiken zur Wählerwanderung betrachtet, dann kommen die Stimmen der Grünen zu fast gleichen Teilen von der CDU/CSU und von der SPD. Und auch von den Linken, den Liberalen und sogar von der AfD sind welche zu den Grünen gewandert. Das ist schon bezeichnend.
Die CDU dagegen redet sich die Wahl schön, dabei haben sie doch auch verloren, oder?
Sie haben nicht nur verloren, sondern sind, nach meiner Meinung, die Ursache für die ganze Misere, mit der wir es hier zu tun haben. Die CDU ist doch nicht mehr wiederzuerkennen. Sie sind doch nur noch eine leere Hülle, die vom Machterhaltungstrieb der Bundeskanzlerin aufrechterhalten wird. Wenn die Dame geht, fällt auch diese Partei in sich zusammen. Das sieht doch jeder, der es mit dieser Partei gut meint.
Die AfD war jetzt insgesamt nicht so stark wie erwartet, aber in Ostdeutschland nach wie vor eine Macht.
Sie sind dort nicht nur eine Macht, sondern inzwischen einfach auch bürgerliche Träger. Die Leute in Ostdeutschland wollen nicht mehr von den ehemaligen Westimporten regiert werden, sondern ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen. Schauen Sie sich doch einmal die AfD-Kandidaten an. Das ist eigentlich Bürgertum, wie wir es im Westen auch verstehen.
Wie sieht es auf Europaebene aus? Gibt es da Verschiebungen? Die größte Klatsche gab es ja wohl für Macron in Frankreich.
Er hat sie ja wohl auch zu Recht bekommen. Wenn die Dinge, die man aus Frankreich hört, auch nur halbwegs zutreffen, dann gibt es dort inzwischen eine fast vorrevolutionäre Situation. Das Land wird ärmer, es gibt immer mehr Suppenküchen und ein allgemeines Unbehagen, das kaum noch zu steigern ist. Und dann reißt da einer die Klappe auf, als wäre er die Reinkarnation Napoleons.
Zumindest sieht es so aus, dass ihr Parteikollege Manfred Weber doch EU-Kommissionspräsident werden könnte und die Pipeline Nord Stream 2 verhindern darf.
Wenn Europa noch einen Restfunken von Verstand hat, dann müsste man in dieser schwierigen Situation für Europa so eine gestandene Persönlichkeit wie den französischen Spitzen-EU-Politiker Michel Barnier zum Kommissionspräsidenten machen. Jemand, der die schwierigen Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien so meisterlich gestaltet hat, hat damit den Nachweis geliefert, dass er es kann. Das Münchner Niveau (von Herrn Weber, Anm. d. Red.) reicht für Europa nicht.
Konnte denn diese EU-Wahl doch in irgendeiner Form Europa einen?
Im Gegenteil. Sie hat Europa erkennbar gespalten. Wenn wir uns Europa nüchtern ansehen, dann tendieren die meisten Staaten östlich von Berlin eher auf Linie der Russischen Föderation – Familie, Nation, Glaube. Das sehen wir beispielhaft in Ungarn. Westlich von Berlin haben wir dagegen eher das Timmermans-Europa (Frans Timmermans, niederländischer Spitzenkandidat der Sozialdemokraten auf den EU-Kommissionsvorsitz, Anm. d. Red.), in dem westeuropäische Regierungen den anderen ihren Willen überstülpen wollen. Das machen die Europäer nicht mit. Wir sehen das doch in Großbritannien, wo sie die Nase gestrichen voll haben von Europa. Jeder will Europa, aber doch nicht so, dass man dafür seine eigene Identität aufs Spiel setzen muss.
Das vollständige Interview mit Willy Wimmer zum Nachhören:
Quelle: Sputnik (Deutschland)