Jugendlich, kriegsbetroffen, traumatisiert
Archivmeldung vom 05.03.2015
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtPosttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen und Suizidgedanken bei Jugendlichen sind im kriegsbetroffenen Norden von Uganda nicht nur bei ehemaligen Kindersoldaten weit verbreitet. Dies zeigt eine aktuelle Studie der Universität Konstanz und der Hilfsorganisation Vivo International, die gemeinsam mit einem internationalen Wissenschaftlerteam psychische Belastungen bei 843 Schülern und Auszubildenden in Norduganda untersuchten.
Bei 32 Prozent der Jugendlichen, die entführt worden waren, und zwölf Prozent der nicht-entführten Teenager stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) fest. Depressionen und Suizidgedanken traten vermehrt auf. Die Studie wurde in der aktuellen Ausgabe der Open-Access-Zeitschrift „Frontiers in Psychiatry“ veröffentlicht.
Geschätzt neun von zehn Teenagern in Norduganda wurden mindestens einmal in ihrem Leben aufgrund des Krieges aus ihren Heimatdörfern vertrieben. Etwa ein Drittel wurde von der paramilitärischen Widerstandsgruppe „Lord's Resistance Army“ entführt, um als Kindersoldaten für sie zu kämpfen. Ungefähr die Hälfte der ehemaligen Kindersoldaten wurde gezwungen, Gewalt auszuüben – beispielsweise andere Kinder zu entführen oder Menschen zu verletzen.
„Den höchsten Anteil an Posttraumatischen Belastungsstörungen und Depressionen fanden wir unter ehemaligen Kindersoldaten, die gezwungen worden waren, selbst Gewalt auszuüben. PTBS war dennoch bei allen Jugendlichen, die traumatischen Erfahrungen ausgesetzt waren, weit verbreitet“, erklärt die Konstanzer Psychologin Nina Winkler, Hauptautorin der Studie. „Unsere Ergebnisse legen einen stufenweisen ‚Baustein‘-Mechanismus bei der Entstehung von PTBS nahe, bei dem das Risiko der Erkrankung mit jeder traumatischen Erfahrung steigt.“
Die Ergebnisse der Studie stammen aus klinischen Interviews mit 843 Jugendlichen aus zwölf weiterführenden Schulen und sechs Berufsausbildungszentren in den Regionen Gulu und Amuru. Traumaberater vor Ort führten die Interviews unter der Aufsicht von Psychologen durch. Die Wissenschaftler achteten auf Symptome von PTBS, Depressionen und auf Suizidgedanken. Sie befragten die Jugendlichen auch, ob sie verschiedene traumatische Erlebnisse erfahren hatten, beispielsweise Entführung oder Vertreibung, bewaffnete Angriffe, sexuelle Gewalt, lebensbedrohliche Verletzungen oder Mitansehen von gewaltsamem Tod.
„Alle Jugendlichen mit hoher Traumabelastung, egal ob sie entführt worden waren oder nicht, scheinen gefährdet, Symptome von PTBS und Depressionen zu entwickeln. Unsere Ergebnisse zeigen auf, dass die psychische Gesundheitsfürsorge nicht nur auf ehemalige Kindersoldaten konzentriert werden sollte“, resümiert Nina Winkler.
Die Wissenschaftler befürchten, dass die weite Verbreitung von psychischen Problemen unter Jugendlichen ein Nährboden für gewalttätige Gangs und bewaffnete Gruppen sein könnte und letztlich zu einem Zirkulieren von Krieg und Gewalt führt. Den Forschern zufolge könnte das Bildungssystem vor Ort psychische Gesundheitsbetreuung und psychosoziale Unterstützung bieten, um allen vom Krieg betroffenen jungen Menschen, darunter auch die Kindersoldaten, zu helfen.
Quelle: Universität Konstanz (idw)