"Der neue kalte Krieg" - Kampf um die Rohstoffe
Archivmeldung vom 06.05.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEin Wort geht um in Deutschland und in Europa, ein böses Wort - das Wort vom "nächsten Kalten Krieg", dem "Kampf um die Rohstoffe".
Nachdem Dr. Frank Umbach, Experte für internationale
Energiesicherheit bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige
Politik (DGAP, Berlin) in der Fachzeitschrift IP (Internationale
Politik) das Wort "Europas nächster Kalter Krieg" geprägt und zum
Titel seines Aufsatzes gemacht hat, reißen entsprechende
Veröffentlichungen nicht mehr ab. Das Hamburger Nachrichtenmagazin
Der Spiegel hob das Thema in den Rang einer Titel-Serie. Der
Europaparlamentarier Elmar Brok sprach nach den Drohungen von Gasprom
gegenüber der EU laut Financial Times Deutschland unlängst von der
"Ankündigung eines Kalten Krieges mit neuen Methoden"; und jüngst
noch fragte Die Zeit angesichts aktueller Entwicklungen auf den
Rohstoff-Märkten "Wo bleibt Deutschland?" - gleichzeitig wies sie
darauf hin, dass mittlerweile "Erpressung, Preistreiberei und
Machtpoker" zu den Gepflogenheiten auf dem (internationalen)
Energiemarkt gehören... Kern all dieser Veröffentlichungen: Der
Wettlauf um den sicheren Zugriff auf die strategischen Industrie- und
Energie-Rohstoffe entwickelt sich dramatisch; Rohstoff- und
Versorgungssicherheits-Politik ist zentraler Bestandteil der Außen-
und Sicherheitspolitik der Großmächte geworden.
Dass die Supermacht USA in ihrer Außenpolitik nationale Interessen
beim "Great Game" um Energie und Rohstoffe nicht vernachlässigt, ist
lange bekannt. Zwei der weltweit wichtigsten Rohstoff-Mächte -
Russland und China - betreiben ihre Politik zur Absicherung ihrer
Interessen inzwischen ebenfalls höchst offensiv, mit großer Dynamik
und klarer Strategie. Dabei hat Russlands Ziel, durch entsprechende
Investitionen und Partnerschaften beim europäischen Strom- und
Wärmemarkt selbst ins lukrative Endkundengeschäft einzusteigen, für
viel Unruhe gesorgt. Gesteigert wurde sie erst recht, als nach
erkennbarem ersten Widerstand gegen die russischen Absichten
Gazprom-Chef Alexei Miller in Moskau vor EU-Botschaftern sehr
deutlich darauf hinwies, dass Russland sein Erdgas künftig verstärkt
auch an asiatische und andere Nachfrager verkaufen könnte - zum
Nachsehen Europas. Das Medienecho war enorm, die EU-Kommission nimmt
den Vorgang sehr ernst; und nicht zuletzt deshalb reiste
Bundeskanzlerin Merkel Ende April mit fast dem ganzen Bundeskabinett
und Spitzen der deutschen Wirtschaft zu Gesprächen mit Wladimir Putin
ins sibirische Tomsk.
Millers Aussagen stehen nicht allein. Kurze Zeit später schrieb
der russische Energieminister Wiktor Christenko in einem
Handelsblatt-Gastkommentar u.a.: "Eine potenzielle Spitzenposition
Russlands in der Energiewirtschaft kann und muss deshalb auch immer
als 'Spitzenposition im Interesse der Sicherheit' interpretiert
werden, bei der sowohl die Interessen der Lieferanten als auch der
Abnehmer von Rohstoffen berücksichtigt werden. Bekanntlich entwickeln
sich heute die Märkte der asiatischen und, breiter gesehen, der
asiatisch-pazifischen Region (darunter auch der Energiemarkt)
besonders dynamisch.... Russland beobachtet diese Tendenzen
aufmerksam und plant seine Handlungen weit voraus. Heute gehen zwar
die russischen Energieexporte zu mehr als 90 Prozent nach Europa, wir
wollen aber den Ländern Asiens und des pazifischen Raums immer mehr
Aufmerksamkeit schenken."
In diesem Zusammenhang steht auch das strategische Verhalten
Chinas. Denn die neue Wirtschaftsweltmacht sichert sich durch Käufe,
Verträge und strategische Partnerschaften in aller Welt den
langfristigen Zugriff auf wesentliche Rohstoffe. Die Rede ist von
entsprechenden Investitionen und Vereinbarungen in einem
Gesamtvolumen von bereits einer Billion - tausend Milliarden -
Dollar. Russland spielt dabei für China eine ganz wesentliche Rolle.
Eigentlich mit Bodenschätzen reich gesegnet, spitzt sich die Lage
Chinas gerade bei den Energierohstoffen zu. Das Riesenreich wandelt
sich vom Exporteur zum Importeur. Bei dem geplanten
Wirtschaftswachstum von jährlich acht Prozent, so schätzt die
Regierung in Beijing, reicht die eigene Erdgasproduktion ab 2010 zur
Deckung der Binnennachfrage nicht mehr aus. Bei Erdöl und Kohle
weiten sich die bereits bestehenden Nachfrageüberhänge dramatisch aus
- Rohstoff-Staubsauger China.
Beinahe ein Horror-Szenario: Würden die Chinesen einen ähnlichen
Energiebedarf wie die US-Amerikaner entwickeln, so bräuchte die
Volksrepublik alle 24 Stunden über 90 Millionen Barrel Rohöl - mehr
als die gegenwärtige Tagesproduktion der ganzen Welt. Gegenwärtig
muss China bereits ein Drittel seines Energiebedarfs durch Importe
decken. Die Zentralregierung erklärte die weltweite
Ressourcensicherung deshalb zur "strategischen Schlüsselaufgabe".
Jeder Weg wird dabei beschritten: Strategische Rohstoffallianzen,
Direkt-Investitionen und Joint-Ventures.
Die chinesischen Staatsunternehmen - allen voran die China
National Petroleum Corporation (CNPC), die China National Offshore
Corporation (CNOOC) oder Sinopec - sind inzwischen höchst begehrter
Handelspartner und Investoren afrikanischer Rohstoff-Lieferanten.
Bislang sind bilaterale Handels- und Lieferabkommen mit 40 Ländern
zustande gekommen. Der Rohstoffsektor allein saugt bereits jetzt
schon die Hälfte aller Auslandsinvestitionen Chinas auf. Bis 2030
werde China allein fast 120 Milliarden US-Dollar in den Ausbau seiner
Ölindustrie investieren, prognostiziert die Internationale
Energie-Agentur (IEA).
Beispiele:
- Schon seit 1997 - als US-Firmen nach einem entsprechenden Verbot
aus Washington im westafrikanischen Sudan nicht mehr investieren
durften - ist China über seine 40prozentige Beteiligung an der
Greater Nile Petroleum Operating Company an der Ausbeutung der
reichen Ölvorkommen im Süd-Sudan beteiligt. Schon knapp fünf Prozent
des Öls, das China importiert, fließt aus diesen Quellen. Zugleich
ist China der größte Waffenlieferant des Sudans, der wiederum 80
Prozent seiner Öl-Einnahmen in die Rüstung steckt.
- Mit dem Iran hat China im Herbst 2004 in einem Langfrist-Vertrag
(Laufzeit 30 Jahre) den Kauf von Öl und Gas im Wert von 60 bis 70
Milliarden US-Dollar vereinbart. Iran liefert schon jetzt 13 Prozent
aller chinesischen Öl-Importe. Zugleich soll sich das staatliche
chinesische Unternehmen Sinopec an der Erschließung des iranischen
Yadavaran-Gasfeldes beteiligen.
- In Venezuela betreibt die CNPC die großen Ölfelder Intercampo
Norte und Carcoles. Weitere Projekte befinden sich dort in Planung.
Im Oktober 2005 übernahm CNPC für 4,2 Mrd. US-Dollar den kanadischen
Ölkonzern Petro Kazakhstan, der Ölförder- und
Verarbeitungskapazitäten in Kasachstan unterhält - 12 Prozent der
Ölreserven des rohstoffreichen Landes. Eine gegenwärtig noch im Bau
befindliche Pipeline, die in diesem Jahr fertig werden soll, bindet
die kasachischen Ölfelder an chinesische Raffinerien an.
- Im September 2005 erwarb die chinesische Andes Petroleum Company
die Öl- und Pipelinefirmen des kanadischen Ölkonzerns EnCana Corp. in
Ecuador. Gleich zu Beginn dieses Jahres, am 9. Januar 2006, gelang
den Chinesen der in diesem Jahr bislang größte Coup: Für 2,3 Mrd.
US-Dollar kaufte sich die CNOOC zu 45 Prozent an einem reichen
Ölvorkommen in Nigeria ein. Es handelt sich um das 500 Quadrat-Meilen
große Offshore-Ölfeld OML 130/Akpo im Niger-Delta.
- Noch im März verhandelte Chinas Staatspräsident Hu Jintao mit
Russlands Präsident Wladimir Putin auf höchster Regierungsebene über
Chinas Zugang zu den riesigen russischen Rohstoff-Vorkommen. Das -
bisherige - Ergebnis zeigt deutlich, dass Chinas Rohstoffhunger und
seine strategische Vorgehensweise (Zünd-)Stoff für Konflikte mit
anderen Großmächten wie etwa Russland ist: Zwar einigten sich Hu und
Putin auf den Bau zweier Gaspipelines aus der russischen Altai-Region
in die westchinesische Provinz Xinjiang und von der ostsibirischen
Halbinsel Sachalin nach Nordostchina. Doch den Wunsch Hus - eine
Zusage für eine Ölpipeline aus Sibirien nach China - wollte Putin ihm
noch nicht erfüllen. Zunächst sollen die Ergebnisse einer
Machbarkeitsstudie dazu abgewartet werden.
Erfahrungen mit der expansiven Rohstoffstrategie Chinas hat auch
die deutsche Steinkohle gesammelt, die zwar vorübergehend gute
Geschäfte erlaubt haben, aber langfristige Fragen aufwerfen: Deutsche
Bergbau- und Kohletechnik bis hin zu dem hierzulande kaum noch
gefragten Know-how der Kohleölgewinnung ist in China derzeit sehr
gefragt. Die ehedem modernste Kokerei Europas, Kaiserstuhl in
Dortmund, die hier aus wirtschaftlichen Gründen im Jahr 2000
stillgelegt werden musste, ist komplett nach China verkauft worden
und wird dort wieder aufgebaut und zur Koksproduktion in Betrieb
genommen. Wohin das führen kann, ist offensichtlich: Weltweit stammt
schon heute mehr als die Hälfte des Koksangebotes aus China.
Quelle: Pressemitteilung Gesamtverband des deutschen Steinkohlenbergbaus