Griechenland-Gespräche: Geldgeber "verhalten optimistisch"
Archivmeldung vom 01.06.2015
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittZum ersten Mal seit Wochen keimt unter den Geldgebern bei den Griechenland-Verhandlungen offenbar wieder vorsichtiger Optimismus auf: Auf der Seite der Gläubiger sei man "verhalten optimistisch, dass es in dieser Woche Fortschritte geben könnte", berichtet der "Tagesspiegel" (Dienstagsausgabe) unter Berufung auf EU-Kreise.
Strittig ist den Angaben zufolge bei den Verhandlungen zwischen den Gläubigern und der Regierung in Athen allerdings die Gestaltung des griechischen Haushalts für 2015 und 2016 sowie der folgenden Etats. Während die Regierung in Athen und der Internationale Währungsfonds (IWF) argumentierten, dass zu hohe Überschüsse das Wachstum in Griechenland weiter abwürgen würden, seien die übrigen Geldgeber der Überzeugung, dass geringe Haushaltsüberschüsse künftig höhere Hilfszahlungen der Gläubiger erfordern würden. Aber auch in diesem Punkt sei man zuversichtlich, dass in den kommenden sieben Tagen "signifikante Fortschritte" erzielbar seien.
Seit Monaten verhandelt die Regierung in Athen mit den Institutionen der Geldgeber - dem IWF, der Europäischen Zentralbank (EZB) und der EU-Kommission - über eine Auszahlung der noch ausstehenden Hilfsgelder in der Gesamthöhe von 7,2 Milliarden Euro.
DIW-Chef: Euro-Finanzminister sollten auf Athen zugehen
Angesichts eines drohenden Zahlungsausfalls Griechenlands hat der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, die Politik zum Handeln aufgefordert: "Europas Finanzminister sollten in die Offensive gehen und der griechischen Regierung ein Angebot machen, mit klaren Bedingungen für weitere Hilfen", sagte Fratzscher dem "Handelsblatt". Und: "Die griechische Regierung sollte ihre Bevölkerung über dieses Angebot in einem Referendum abstimmen lassen und ihren Bürgern die Konsequenzen eines Scheiterns, inklusive der Möglichkeit eines Austritts aus dem Euro, klarmachen."
Fratzscher kritisierte, dass seit vier Monaten in den Verhandlungen mit Griechenland "viel heiße Luft produziert, aber keine Entscheidung getroffen" werde. Dabei sei die Entscheidung denkbar einfach: "Es gibt keine Alternative für Griechenland, als den vor fünf Jahren begonnen Reformprozess fortzusetzen", betonte der Ökonom. Die offene Frage sei lediglich die Geschwindigkeit dieses Prozesses. Weitere Verzögerungen hält der DIW-Chef für kontraproduktiv. "Der Schaden für Griechenlands Wirtschaft nimmt mit jedem Tag ohne eine konkrete Entscheidung über eine Vollendung des zweiten Programms und vor allem ein neues drittes Programm zu", sagte er. "Immer mehr Kapital verlässt das Land, das Wachstum sinkt, die Arbeitslosigkeit steigt und das Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit des Landes schrumpft weiter."
Der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, sieht die Zukunft des Währungsraums auf dem Spiel. "Leider ist die Wirtschaftspolitik im Euro-Raum nunmehr in einem Zustand, der seriöse Vorhersagen über die Zukunft des Euro-Raums im Allgemeinen und Griechenlands im Besonderen nahezu unmöglich macht", sagte Horn dem "Handelsblatt". Allein diese Tatsache sei besorgniserregend. "Wenn man dann die Schlangen von Menschen in den Banken Athens sieht, die panisch ihr Geld abheben, dann weiß man: In den nächsten Tage kann alles geschehen." Nötig wäre aus Horns Sicht "ein Merkel-Steinbrück-Moment für Europa". "So wie die Bundeskanzlerin und ihr damaliger Finanzminister mitten in der Finanzmarktkrise mit ihrer Garantie für Spareinlagen Sicherheit erzeugt haben, sollte ein entsprechendes Statement der europäischen Regierungschefs Sicherheit für den Euro erzeugen - bevor es zu spät ist", sagte der IMK-Chef.
EU-Kommissar Oettinger dämpft griechische Hoffnungen auf Durchbruch
Der deutsche EU-Digitalkommissar Günther Oettinger dämpft mögliche griechische Hoffnungen, dass es auf einem Spitzentreffen von Bundeskanzlerin Merkel (CDU), Kommissionspräsident Juncker und Frankreichs Staatspräsident Hollande am Montagabend in Berlin einen Durchbruch in den laufenden Kreditverhandlungen geben könnte. "Die Herausforderungen von Griechenland sind zu groß, als dass man sie en passant lösen könnte", sagte er der "Welt". Gleichwohl schloss er eine Einigung mit Griechenland noch in der beginnenden Woche nicht aus. "Es wird Fortschritte auf Arbeitsebene brauchen, um uns - vielleicht sogar bis Ende der Woche - auf eine Reformagenda zu verständigen, die die Auszahlung der letzten Tranche aus dem laufenden Hilfsprogramm einleitet", sagte der Kommissar der "Welt". Auch wenn sich das Gesprächsklima verbesserte, so lägen die Positionen zum Teil noch immer weit auseinander. Zur letzten Verhandlungsrunde in Brüssel waren die Griechen mit Vorschlägen angereist, die im Kreis der mittlerweile "Institutionen" genannten Troika als unzureichend bezeichnet wurden.
"Es gibt Bewegung in den Verhandlungen, etwa bei der Reform der Mehrwertsteuer", so Oettinger weiter. "Aber bei zentralen Themen rund um Arbeitsmarkt und Pensionssystem sind die Gegensätze noch immer groß." Der Kommissar betonte erneut die Bereitschaft zu Zugeständnissen an Griechenland, zog aber zugleich Grenzen. "Wir können über die Schwerpunkte der Reformmaßnahmen sprechen", sagte er. "Aber einen Rabatt im eigentlichen Sinne zu bieten wäre falsch. Es muss sichergestellt werden, dass Griechenland seine Schulden auch abbezahlen kann."
Wichtig ist dem CDU-Politiker, dass die Griechen verlässliche Haushaltsüberschüsse erwirtschaften. "Man sollte die Messlatte nicht zu tief hängen. Ein Prozent Primärüberschuss für die kommenden Jahre halte ich für zu wenig."
Kauder: Kein drittes Hilfspaket für Griechenland in Sicht
Der Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag, Volker Kauder (CDU), hat einem dritten Hilfspaket für Griechenland eine klare Absage erteilt. "Aber von einem dritten Hilfspaket ist überhaupt nicht die Rede", so Kauder im "Bericht aus Berlin".
Man sei noch nicht einmal mit den Zahlungen und Vereinbarungen des zweiten Hilfspaketes fertig. "Die Griechen müssen jetzt erst mal die Voraussetzungen dafür schaffen", sagte Kauder weiter. Voraussetzung für alle weiteren Maßnahmen im Zusammenhang mit der griechischen Schuldenkrise sei die Teilnahme des Internationalen Währungsfonds IWf. Der "IWF muss dabei sein, sonst sind wir nicht mehr bereit", so Kauder. "Griechenland muss jetzt mal seine Hausaufgaben machen." Die vereinbarten Bedingungen für weitere Hilfen müssten eingehalten werden. Die griechische Führung müsse konkrete Reformvorhaben auf den Tisch legen. "Und vorher denke ich überhaupt über andere Programme gar nicht nach."
Juncker warnt eindringlich vor Euro-Aus für Athen
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat eindringlich vor dem Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion gewarnt. "Diese Vorstellung, dass wir dann weniger Sorgen und Zwänge haben, wenn Griechenland den Euro abgibt, teile ich nicht", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". An dem Tag, an dem ein Land aus dem Euro ausscheiden sollte, "würde sich die Idee in den Köpfen festsetzen, dass der Euro eben nicht irreversibel ist". Als Konsequenz könnten sich internationale Investoren zurückziehen. Japans Premier Shinzo Abe habe ihn vor wenigen Tagen bei seinem Besuch in Tokio "sehr intensiv" zu Griechenland befragt und zugleich klargemacht, dass Investitionen seines Landes in Europa "vom Vertrauen in den Euro" abhängen. Der Kommissionspräsident forderte den Internationalen Währungsfonds (IWF) auf, sich weiter an den Griechenland-Hilfen zu beteiligen. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir allein weitermachen", sagte er. IWF-Chefin Christine Lagarde hatte jüngst auf dem Treffen der G-7-Finanzminister erklärt, Griechenland zu retten, sei Sache der Euro-Länder. "Ohne den IWF wird es nicht gehen", widersprach Juncker. Dies würde auch "im deutschen Bundestag auf großen Widerstand stoßen".
Die Bundesregierung hatte die Beteiligung des IWF zu Bedingung für jegliche Finanzhilfen gemacht. Der Kommissionschef äußerte sich zurückhaltend zu Überlegungen, die griechischen Bürger über ihre Zukunft im Euro abstimmen zu lassen. Er glaube nicht, "dass ein Referendum, zu welcher Frage auch immer, die Gefühlslage des deutschen Bundestages beeindrucken würde". Allerdings könnte eine Koalitionsumbildung in Athen hilfreich sein. Solide Mehrheiten machten "Entscheidungen im Prinzip einfacher".
Quelle: dts Nachrichtenagentur