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Epidemiologe Ioannidis: Politik hatte einen schädlichen Einfluss auf die Pandemiewissenschaft

Archivmeldung vom 24.09.2021

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 24.09.2021 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Sanjo Babić
John Ioannidis (2021) Bild: Screenshot/Servus TV /Reitschuster / Eigenes Werk
John Ioannidis (2021) Bild: Screenshot/Servus TV /Reitschuster / Eigenes Werk

Der renommierte Epidemiologe John P. A. Ioannidis sprach sich bereits früh gegen harte Lockdowns aus und wurde dafür scharf kritisiert. In einem Gastbeitrag im Tablet Magazine erläutert er, wie die Wissenschaft in der Corona-Krise instrumentalisiert wurde und welchen schädlichen Einfluss Politik und Technologieunternehmen haben. Dies berichtet das Magazin "RT DE".

Weiter berichtet RT DE: "John P. A. Ioannidis, Epidemiologe an der Stanford University, zählt zu den meistzitierten Wissenschaftlern der Welt und sprach sich in der Corona-Krise bereits relativ früh gegen harte Lockdowns aus, da diese wirkungslos seien – und wurde dafür oft angefeindet. In einem Gastbeitrag im Tablet Magazine äußerte er sich nun dazu, wie die Wissenschaft in der Corona-Krise politisch instrumentalisiert und wissenschaftliche Prinzipien wie Skeptizismus und Uneigennützigkeit über Bord geworfen wurden.

Eingangs weist Ioannidis darauf hin, dass die durch COVID-19 ausgelöste Krise und die Reaktionen darauf bei zahlreichen Menschen ein übermäßiges Interesse an Wissenschaft entwickelt hätten, da alles, was von Bedeutung war, von Wissenschaftlern und von jenen, "die auf der Grundlage ihrer eigenen Interpretationen der Wissenschaft Maßnahmen im Rahmen politischer Kämpfe" durchsetzen, beeinflusst wurde.

Das Problem sei jedoch, so Ioannidis, dass die meisten Menschen, die auf einmal Interesse entwickelten, nie mit den grundlegenden Normen der Wissenschaft in Berührung gekommen sind. Nach Auffassung des Epidemiologen sollten diese auf den CUDOS-Prinzipien (Communism, Universalism, Disinterestedness, Organized Skeptizism; zu Deutsch: (Wissens-)Kommunismus, Universalismus, Uneigennützigkeit, Skeptizismus) beruhen. Begründet wurden diese Prinzipien Mitte der 1930er Jahre durch den US-amerikanischen Soziologen Robert K. Merton, der sich besorgt zeigte vom Ausschluss jüdischer Wissenschaftler aus dem Wissenschaftsbetrieb im Nationalsozialismus und der Bereitschaft deutscher Wissenschaftler, sich freiwillig in den Dienst der Nationalsozialisten zu stellen. Merton versuchte daher, eine Grenze zwischen "demokratischer und ethischer" und der "unethischen" Wissenschaft zu ziehen.

Nach dem Prinzip des Wissenskommunismus sind die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeiten das Produkt kollektiver Anstrengungen, die allen Mitgliedern der wissenschaftlichen Gemeinschaft frei zur Verfügung stehen müssen. Zudem muss die Bewertung wissenschaftlicher Forschung unabhängig von Person, Ethnie, Nationalität und Religion des verantwortlichen Wissenschaftlers erfolgen. Forscher sollten zudem nicht aus Eigennutz arbeiten, sondern aus Leidenschaft zu wachsender Erkenntnis und aus altruistischen Interessen. Man sollte zudem einen gewissen Skeptizismus mit sich bringen, um aktuelle Forschungsergebnisse immer wieder kritisch zu hinterfragen.

Des Weiteren weist Ioannidis darauf hin, dass es in der Wissenschaft bereits vor der Corona-Krise Probleme gab: So war der freie Zugang zu Daten, Protokollen und Entdeckungen auch vorher bereits begrenzt. Zudem wurde immer offensichtlicher, dass die Universalität nicht gegeben sei, da vor allem "hierarchische Eliten", also eine Minderheit von Experten, bestimmte Felder dominierten: "In der Nachbarschaft der Wissenschaft blühten gewaltige finanzielle und andere Interessen und Konflikte – und die Norm der Uneigennützigkeit blieb auf der Strecke."

Laut Ioannidis blieb auch der organisierte Skeptizismus auf der Strecke, da selbst Fachjournale mit Peer-Review (Gutachterverfahren) Ergebnisse oft mit einer gewissen Voreingenommenheit präsentierten. Dennoch gab es auch schon vor der Krise einige Stimmen, die sich für bessere wissenschaftliche Normen einsetzten. So führte beispielsweise die Krise der Reproduzierbarkeit in vielen Fachdisziplinen zu verstärkten Bemühungen um Transparenz und auch dazu, dass Rohdaten, Protokolle und Programmiercodes geteilt wurden und öffentlich einsehbar waren. Zudem gab es Bestrebungen, Interessenkonflikte transparenter zu machen, auch wenn diese insbesondere in der Medizin immer noch häufig anzutreffen sind. Man hätte hoffen können, dass es durch COVID-19 zu einem Wandel käme. Diesen gab es zwar, so Ioannidis – allerdings eher zum Schlechteren.

Als Beispiel hierfür führte er den Rückzug einer bekannten Studie über die Wirksamkeit von Hydroxychloroquin bei COVID-19 im Fachjournal Lancet an, da sich später herausstellte, dass die Publikation auf falschen Daten beruhte. Auch die Frage, ob SARS-CoV-2 natürlichen Ursprungs ist oder bei einem Laborunfall freigesetzt wurde, hätte man wesentlich leichter klären können, wenn das Institut für Virologie in Wuhan transparenter gearbeitet hätte. So bleibe die Theorie eines Laborunfalls "verlockend glaubwürdig", auch wenn Ioannidis die Theorie nicht als vorherrschende Erklärung ansehen möchte.

Auch der Universalismus habe mittlerweile erschreckende Formen angenommen, da inzwischen so gut wie jeder Forschung zu COVID-19 betreibe. Mittlerweile haben Wissenschaftler aus mehr als 174 Fachgebieten Arbeiten zu COVID-19 publiziert. Anfang 2021 gab es selbst Arbeiten von Automobilingenieuren zur COVID-19-Thematik. Auf den ersten Blick könne man meinen, diese interdisziplinäre Arbeit bringe Vorteile, doch es zeigte sich, dass die meisten Arbeiten von schlechter Qualität waren. Neben erfahrenen Wissenschaftlern traten auch zahlreiche "frischgebackene Experten" mit fragwürdigen Referenzen auf die Bühne. Insbesondere die sozialen und die Mainstream-Medien hätten zur Verbreitung solcher "falschen Experten" beigetragen: "Jeder, der kein Epidemiologe oder Spezialist für Gesundheitspolitik war, konnte plötzlich als Epidemiologe oder Spezialist für Gesundheitspolitik von Reportern zitiert werden, die oft wenig über diese Bereiche wussten, aber sofort wussten, welche Meinungen wahr waren. Umgekehrt wurden einige der besten Epidemiologen und Gesundheitspolitiker Amerikas von Leuten als ahnungslos und gefährlich verleumdet, die sich für geeignet hielten, wissenschaftliche Meinungsverschiedenheiten pauschal zu bewerten, ohne die fraglichen Methoden oder Daten zu verstehen."

Auch die Uneigennützigkeit habe stark gelitten: Während der Krise wurden Einrichtungen mit Interessenkonflikten oft zu Helden erklärt: "So produzierten beispielsweise die großen Pharmaunternehmen nützliche Medikamente, Impfstoffe und andere Dinge, die Leben retteten, obwohl bekannt war, dass ihr Hauptmotiv der Profit war und ist."

Auch vorher gängige Forderungen nach besserer medizinischer Evidenz für die Wirksamkeit und die Frage nach unerwünschten Nebenwirkungen waren während der Krise auf einmal nicht mehr erwünscht. Durch diesen "herablassenden Ansatz" habe man beispielsweise die Impfgegner-Bewegung erst bestärkt. Andere Unternehmen mit Interessenkonflikten profitierten nicht nur, sondern wurden zu den "neuen gesellschaftlichen Regulierern". Als Beispiel führt Ioannidis Technologieunternehmen an, die "mächtige Zensurmechanismen" nutzten, die die zugänglichen Informationen für die Nutzer verzerrten, während die Tech-Konzerne durch die Veränderungen des gesellschaftlichen Lebens im Lockdown enorme Gewinne einfuhren. Während Berater von Regierung und Unternehmen prestigeträchtige Positionen und Macht erhielten, wurden Forscher, die das herrschende Narrativ infrage stellten, als mit Interessenkonflikten beladene Leute diffamiert. Der Skeptizismus wurde in der Corona-Krise nunmehr als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit angesehen: "Es kam zu einem Zusammenstoß zwischen zwei Denkschulen, der autoritären öffentlichen Gesundheit und der Wissenschaft – und die Wissenschaft verlor."

Das Hinterfragen von Ergebnissen sei für eine gute Wissenschaft unerlässlich, doch wie Ioannidis erläutert, wird dies in der autoritären Version der öffentlichen Gesundheit als "Verrat" und "Fahnenflucht" gebrandmarkt. Das vorherrschende Narrativ der Corona-Krise sei, dass man sich "im Krieg befinde": "Im Krieg hat jeder Befehle zu befolgen. Wenn ein Zug den Befehl erhält, nach rechts zu gehen, und einige Soldaten das Manöver nach links erkunden, werden sie als Deserteure erschossen. Wissenschaftliche Skepsis musste erschossen werden, ohne Fragen zu stellen. Die Befehle waren klar."

Der Epidemiologe ist jedoch nicht der Auffassung, dass diese Entwicklung nicht auf einzelne Personen zurückzuführen sei, sondern auf ein "Konglomerat" ohne Namen und Gesicht, zu denen reißerische und parteiische Medien, Accounts in den sozialen Medien, schlecht regulierte Technologieunternehmen, die ihre Marktmacht nutzten, und normale Menschen, die von der Krise betroffen waren, zählten. Diese Entwicklungen haben in der Folge dazu geführt, dass Opponenten durch "Cancel Culture"-Kampagnen in den sozialen Medien und reißerische Schlagzeilen in den Mainstream-Medien Drohungen und Beschimpfungen erfuhren. In der sozialen Isolation sei es, abgeriegelt von der persönlichen Kommunikation, obendrein schwierig, auf diese Diffamierungen zu reagieren. Doch auch die Politik hatte einen deutlichen Einfluss auf die Wissenschaft: "Die Politik hatte einen schädlichen Einfluss auf die Pandemiewissenschaft. Alles, was ein unpolitischer Wissenschaftler sagte oder schrieb, konnte als Waffe für politische Ziele eingesetzt werden."

Diese Politik "im Gewand der öffentlichen Gesundheit" habe nicht nur der Wissenschaft geschadet: "Sie hat auch die partizipatorische öffentliche Gesundheit, bei der die Menschen befähigt und nicht verpflichtet und gedemütigt werden, zunichtegemacht."

Ioannidis warnte zudem davor, dass Wissenschaftler ihre Expertise nicht nach politischen Diskursen und der vorherrschenden Meinung in sozialen Medien ausrichten sollten, denn man konnte beobachten, dass ein und derselbe unpolitische Wissenschaftler an der einen Stelle von linken und an anderer Stelle von rechten Diskursteilnehmern angegriffen wurde. Diese "Selbstzensur" sei der größte Verlust für die wissenschaftliche Forschung gewesen. Am Ende des Beitrags erläutert Ioannidis, dass seiner Meinung nach keine "Verschwörung" oder "globale Planung" hinter dieser überstürzten Entwicklung stecke. Es sei trivialerweise eher so, dass in Krisenzeiten die Mächtigen gedeihen und die Schwachen noch stärker benachteiligt werden. Dabei wurden die Mächtigen und diejenigen mit Interessenkonflikten mächtiger und mächtiger, während "Millionen starben und Milliarden litten"."

Quelle: RT DE

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