Geheimdienste gegen Gerichte: „Unschuldiger Terrorist“ nach Marokko abgeschoben?
Archivmeldung vom 01.11.2018
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEin offenbar unschuldiger „9/11-Terrorhelfer“ wird „rechtswidrig“ verurteilt – und abgeschoben. „Das ist völlig konstruiert“, kritisiert Geheimdienst-Experte und Ex-Bundesminister Andreas von Bülow im exklusiven Sputnik-Interview. Er erinnert an die Schaffung des Kampfbegriffs „Verschwörungstheoretiker“ durch die CIA gegen Skeptiker.
Im Interview, das Alexander Boos, Journalist der deutschen Ausgabe des russischen Magazins, mit Andreas von Bülow geführt hat heißt es zu dem Thema: "„Ein verurteilter Helfer der 9/11-Terrorkommandos wird am Montagabend von Deutschland nach Marokko abgeschoben“, berichtete das Magazin „Der Spiegel“ am 15. Oktober. „Nach SPIEGEL-Informationen startete gegen 12 Uhr in Hamburg ein ‚Super Puma‘-Helikopter der Bundespolizei, der den Marokkaner Mounir El-Motassadeq nach Frankfurt flog.“ Vom dortigen Flughafen aus wurde er mit einer Linienmaschine nach Marokko abgeschoben.
Gut recherchiert – doch was der Beitrag verschweigt, sind offensichtliche Ungereimtheiten im Gerichtsprozess gegen den Nordafrikaner. 2007 hatte ihn das zuständige Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) in Hamburg „nach einem Marathonprozess“ für schuldig befunden. Er soll die „Hamburger Terrorzelle“ rund um Mohammed Atta bei ihren Plänen für die Anschläge am 11. September 2001 in New York und Washington unterstützt haben.
„Das ist ein abenteuerliches Fehlurteil der bundesdeutschen Strafjustiz bis hinauf zum Bundesgerichtshof“, erklärte Andreas von Bülow (SPD), ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesverteidigungsminister, gegenüber Sputnik. „Der Mann war wohl in der Wohnungsgemeinschaft mit Mohammed Atta und den anderen, die da angeblich die Flugzeuge entführt haben und hat für diese Hilfsdienste gemacht.“ Er habe lediglich für die Hamburger WG „Rechnungen bezahlt, die anfielen. Ich würde schon sagen, auch Haushaltsmittel wie Klopapier besorgt.“
Daraus habe „die deutsche Justiz dann den Tatbestand gestrickt, dass er Beihilfe geleistet hätte. Dass er von der Tat (den Anschlägen vom 11. September 2001 – Anm. d. Red.) und der ganzen Planung gewusst hätte, dass er integriert gewesen sei.“ Der Vorwurf der deutschen Gerichte, er hätte „durch seine Hilfsleistung“ auch diese Tat mit ermöglicht, „ist im Detail extrem problematisch.“
Das betonte der frühere Bundesminister unter Alt-Kanzler Helmut Schmidt (SPD), der seit Jahren die Arbeiten deutscher und US-amerikanischer Geheimdienste – auch im Hinblick auf 9/11 – kritisch untersucht und öffentlich macht. Besondere Aufmerksamkeit erfuhr sein Buch „Die CIA und der 11. September“ (Piper Verlag) aus dem Jahr 2003.
Von Bülow betonte im Interview, es sei „überhaupt nicht nachgewiesen, dass irgendeiner dieser Attentäter in diesen Flugzeugen (bei den 9/11-Terroranschlägen – Anm. d. Red.) gewesen ist. Die Täter sind tot oder beseitigt. Und: Es ist nicht ein einziger US-amerikanischer Prozess durchgeführt worden. Dafür aber dann auf deutscher Seite ein Beihilfe-Prozess, an dem man das Ganze hat festmachen können. Die deutsche Justiz hat im Grunde genommen das gesamte US-amerikanische Narrativ vom elften September kritiklos übernommen. Hat Zeugenaussagen organisiert, die in England stattgefunden haben und so weiter. Es ist ungeheuerlich, wie wahrscheinlich Geheimdienste den deutschen Gerichten auf der Nase herumtanzen.“
Das kritische Magazin „Rubikon“ machte im September in einer juristisch sauber fundierten Analyse ebenfalls auf den Justiz-Skandal aufmerksam. „Der Marokkaner Mounir El-Motassadeq wurde Opfer der Justiz“, heißt es in dem Artikel. Er „saß 15 Jahre in einem Gefängnis in Hamburg, obwohl er unschuldig ist. (…) Er wurde wegen zwei Straftatbeständen angeklagt und später verurteilt: Zum einen wegen Beihilfe zu vielfachem Mord in Verbindung mit 9/11 und zum anderen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung um Mohammed Atta.“
Als der Autor des „Rubikon-Beitrags“ über „die haarsträubenden Äußerungen“ des zuständigen Richters Albrecht Mentz las, wurde ihm „übel“ – so der Wortlaut.
„Bei der Beurteilung des Falls berücksichtigten Richter Mentz und seine Kollegen nicht das (…) aufgeführte Element des Straftatbestands ‚Beihilfe‘. Das heißt, es fehlt der Nachweis, dass die Freunde des Angeklagten die Haupttäter der Anschläge des 11. September 2001 waren. Waren El-Motassadeqs Freunde – Mohammed El-Amir, genannt Atta, Marwan Alshehhi und Ziad Jarra – an dieser Haupttat überhaupt beteiligt? Keineswegs. Zumindest gab es und gibt es dafür nicht die geringsten Beweise. Ihre Namen stehen auf keiner beglaubigten Passagierliste. Niemand hat sie in den Flughäfen gesehen. Weder wurden ihre Leichen noch Leichenteile an den Absturzstellen der mutmaßlich gekaperten Flugzeuge gefunden noch identifiziert. Wann und wo sie ermordet wurden, bleibt ein Staatsgeheimnis der USA.“
Da es „das Gericht unterließ, eine konkrete Beziehung zwischen dem Gehilfen und den Haupttätern des 9/11 nachzuwiesen, ist diese Unterlassung eine Rechtsbeugung“, konstatiert das Magazin. „Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsbeugung seinerseits stillschweigend gebilligt. (…) Durch ihr Urteil haben die Juristen in Hamburg zu den völkerrechtswidrigen Einsätzen der Bundeswehr beigetragen: Mitglieder des Bundestages verwiesen auf das Urteil des OLG Hamburg, um den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zu rechtfertigen.“ Zudem beteuerte der Marokkaner „während des gesamten Verfahrens seine Unschuld“.
Im August meldeten diverse internationale Medien „die Absicht der deutschen Behörden, El-Motassadeq ab dem 15. Oktober insgeheim nach Marokko abzuschieben und ihm bis zum 90. Lebensjahr die Einreise nach Deutschland zu verbieten. Das lässt befürchten, (…) dass die Abschiebung nach Marokko dazu dienen soll, (…) ihn nach Amerika zu verschleppen, um ihn dort endgültig zu beseitigen.“
„Ich weiß, dass er unschuldig ist“, sagte ein Insider aus dem Umfeld El-Motassadeqs, der anonym bleiben wollte, gegenüber Sputnik. „Selbst sein Vater legt die Hand für Mounir ins Feuer. Ich bin von der Gleichgültigkeit und Unmenschlichkeit der deutschen Öffentlichkeit zu diesem Fall angewidert.“
Auch der langjährige Strafverteidiger des Marokkaners, der mittlerweile verstorbene Rechtsanwalt Udo Jacob aus Hamburg, ging stets von der Unschuld seines Mandanten aus. „Ich bin persönlich davon überzeugt, dass er zu Unrecht verurteilt wurde“, zitierte das „Hamburger Abendblatt“ den Juristen im Juli 2014.
„Wenn die Medien nicht kritisch berichten, dann …“
Warum diese Zusammenhänge immer noch nicht in die Köpfe der Bevölkerung einsickern, verwundert den früheren SPD-Politiker von Bülow nicht. „Was in der Presse nicht abgehandelt wird als kritisches Material“, käme logischerweise nicht beim Publikum an. „Da kann man jeweils unterschiedlicher Meinung sein. Aber die Sachverhalte müssten unterbreitet, erörtert und geschlussfolgert werden. Das findet nicht statt. Jeder, der darüber nachdenkt, kriegt sofort den Knüppel des Verschwörungstheoretikers über den Kopf gehauen und wird damit mundtot gemacht.“
Wenn ein ehemaliger Politiker wie er selbst – mit hochdekorierten Funktionen und Ämtern – bei diesen Themen kritisch und hinterfragend einsteige, „dann wird er ebenfalls zum Verschwörungstheoretiker gemacht. Er wird sozusagen in den Blumenstrauß der lächerlich zu Machenden hineingesteckt.“ Getreu dem Motto: „Mach alle lächerlich, die die gelogene amtliche Version nicht teilen.“
Der Politiker und Geheimdienst-Experte verwies auf „einen der ersten großen Staatsstreiche in den USA“ – die Ermordung von US-Präsident John F. Kennedy (JFK) in Dallas im November 1963.
„Da die damalige Bevölkerung zu 80 Prozent nicht mehr der offiziellen Darstellung vom Einzeltäter glaubte, hat die CIA sich Gedanken gemacht, wie man denn diese ständige Skepsis und die Skeptiker lächerlich machen kann. Weil sie die Sachverhalte bis ins Kleinste erforschen. Das ist auch in großem Umfang geschehen.“
Aber selbst dieser Fakt ändere „nichts daran, dass bis heute die offizielle Linie bleibt, dass Kennedy von diesem einen Mann ermordet worden ist. Da hat man den Begriff des ‚Verschwörungstheoretikers‘ eingeführt.“
Terror-Ereignisse wie das JFK-Attentat oder 9/11 wären „ohne staatliche Hilfe nicht denkbar. Da steckt eine Organisation dahinter, die unglaublich mächtig ist. Der ‚Deep State‘, also der ‚Tiefe Staat‘, ist eben abgesetzt von den demokratisch entschiedenen politischen Vorgängen.“ Da werde „eine andere Agenda gesetzt von denen, die das Sagen haben. Das sind die unglaublich großen Vermögen, die sich wiederum Berater halten. Die sich wiederum mit den Think-Tanks zusammentun. Und die Think-Tanks wiederum tun sich mit den Geheimdiensten zusammen.“
Die Entscheider, also Politiker und Staatschefs, seien in diesem Spiel „lediglich Marionetten“. Auf diese Weise kommen unter anderem solche Ereignisketten wie das „abenteuerliche Fehlurteil“ zustande, so der frühere Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium.
Der marokkanische Staatsbürger Mounir El-Motassadeq wurde am 3. April 1974 in Marrakesch geboren. Er studierte seit 1993 an der Universität in Münster, von wo aus er 1995 an die Technische Universität Hamburg-Harburg wechselte, um dort Elektrotechnik zu studieren. Dort lernte er dann die drei angeblichen Attentäter der Anschläge des 11. September 2001 rund um Atta kennen. Er war im weltweit ersten Prozess um die Terroranschläge am 11. September 2001 als Helfer angeklagt und erstinstanzlich verurteilt worden. Bereits seit November 2001 saß er wegen Komplizenschaft bei 9/11 in Haft. Das OLG Hamburg bestätigte am 8. Januar 2007 das ursprüngliche Urteil gegen ihn wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum Mord in 246 Fällen. Es setzte das Strafmaß auf 15 Jahre Haft rechtskräftig fest, die Motassadeq vermutlich unschuldig absitzen musste.
Zur Kontinuität des Staatsterrors nach 9/11
Ergänzend zu dem obigen Interview noch ein weiteres, das ebenfalls bei "Sputnik" veröffentlicht wurde. Diesmal sprach Karl Petterson, mit dem israelisch-isländischen Komponisten und Autor Elias Davidsson: "Zunehmend verdichtet sich die Erkenntnis: Es gibt einen „sichtbaren Staat“ für das Publikum vor dem Theatervorhang der Macht und einen langfristig orientierten handlungsmächtigen „Tiefen Staat“, der sich der Öffentlichkeit entzieht und im Begriff ist, die Demokratie, wie wir sie kannten, zu zerstören.
In seinem neuen Buch analysiert Elias Davidsson die endlose Kette von Terrorereignissen, die für ihn mit 9/11 beginnt und sich fortsetzt in zahllosen Terroranschlägen in den USA und in Europa. Sein Fazit ist: Alle oder fast alle Terroranschläge, die die westliche Welt spätestens seit 2001 erlebte, sind mit hoher oder höchster Wahrscheinlichkeit das Ergebnis staatsterroristischer Planungen und damit Aktivitäten des „Tiefen Staates“. Nach Davidsson sind auch die Anschläge vom 11. September 2001 und der folgende „war on terror“ nichts anderes als Staatsterrorismus.
Herr Davidsson, Sie haben in den letzten vier Jahren drei Bücher veröffentlicht: "Hijacking America’s Mind on 9/11“ (Algora Publishers, New York, 2013), "The Betrayal of India: Revisiting the 26/11 Evidence“ (Pharos Media, New Delhi, 2017) und „Psychologische Kriegsführung und gesellschaftliche Leugnung. Die Legende des 9/11 und die Fiktion der Terrorbedrohung“ (Zambon Verlag, Frankfurt a.M., 2017). Das letztgenannte Buch mit 534 Seiten und Bildanhang geht bald in die 4. Auflage und erreicht somit eine respektable Anzahl an Lesern. Zunächst die recht naiv erscheinende Frage: Warum sollten oder sogar müssen wir uns heute noch mit 9/11 befassen?
Dafür gibt es moralische, strafrechtliche, politische und sicherheitspolitische Gründe. Aus moralischer Sicht sind wir nach meiner Überzeugung der US-amerikanischen Bevölkerung verpflichtet. Wir müssen sie bei der Aufklärung des größten Verbrechens unterstützen, das sich in den letzten Jahren in ihrem Land ereignet hat. Damit können wir unsere Solidarität mit der US-amerikanischen Bevölkerung zeigen, die eine schwere Zeit durchmacht. Zudem waren die Anschläge des 11. September 2001 auch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Daher obliegt es auch der Bundesrepublik Deutschland, sich an völkerrechtlichen Bemühungen zu beteiligen, mit dem Ziel, das Verbrechen aufzuklären und die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen. Dann möchte ich noch zu den beiden letztgenannten Gründen Stellung nehmen. Politisch und sicherheitspolitisch ist die Aufklärung der Ereignisse des 11. September 2001 für Deutschland ebenfalls wichtig. Wenn es stimmt, dass dieses Verbrechen im Auftrag der US-Regierung begangen wurde, muss die deutsche Politik epochale politische Schlussfolgerungen nicht nur in der Außenpolitik, sondern auch in der Innenpolitik ziehen. Schon ein Anfangsverdacht bezüglich der Verantwortung der US-Regierung reicht meines Erachtens aus, eine parlamentarische Kommission einzurichten bzw. eine internationale Wahrheitskommission einzufordern, damit dieses Verbrechen aufgeklärt wird.
Nach „offizieller Lesart“ ist das gigantische Verbrechen 9/11 doch längst aufgeklärt: Angeblich waren es al-Kaida, Osama Bin Laden in den Bergen Afghanistans und 19 islamistische, mit Teppichmessern bewaffnete Terroristen. Sie sollen die Twin-Towers zu Fall gebracht, außerdem ein drittes Flugzeug in das Pentagon gesteuert und ein weiteres im Boden Pennsylvanias versenkt und diese beiden rückstandslos entsorgt haben. Was stimmt an der offiziellen Darstellung?
Die kurze Antwort: Nichts. Die lange Antwort gebe ich in meinen Büchern.
Sie behaupten in Ihrem Buch, es gäbe nicht einen einzigen Beweis dafür, dass die 19 Terroristen jemals die Flugzeuge bestiegen hätten. Wenn das stimmt, bleibt die Frage: Hat es sie überhaupt gegeben? Und wenn ja, wurden sie dann als Bestandteil eines teuflischen Plans systematisch „entsorgt“, dessen Details sich immer noch unserer Kenntnis entziehen?
Es gibt zwar Indizien, dass einige der mutmaßlichen Terroristen sich in den USA getummelt hatten. Ob sie unter ihren richtigen Namen agierten, steht auf einem anderen Blatt. Die Person Mohamed Atta aus Hamburg wurde nachweislich in den USA von einem Doppelgänger gespielt. Dessen Aufgabe bestand darin, die Legende des Terroristen aufzubauen. Man kann zwar vermuten, dass die 19 mutmaßlichen Terroristen nicht mehr leben, aber darüber hinaus gibt es keinen Anhaltspunkt, wann und wo sie starben.
Wenn die 19 eine Erfindung waren oder aber „entsorgt“ wurden, dann hätten wir es mit einem gigantischen Vertuschungskomplott der damals herrschenden neokonservativen Politikakteure zu tun. Wie kann es gelingen, dass noch lebende Beteiligte nach so vielen Jahren standhaft schweigen?
Das ist eine Frage, die sich viele stellen, nicht nur ich. Der sogenannte Otto Normalverbraucher ist zu feige, ein Staatsgeheimnis ausplaudern, und macht sich keine Gedanken darüber, welche Hürden er dafür übersteigen müsste. Er müsste auch hoch motiviert sein und Belege für ein Verbrechen vorweisen können. Ferner müsste er für dieses Vorhaben unglaublich mutig sein, denn er würde eventuell sein Leben riskieren und vielleicht sogar das Leben seiner Familie. Und er müsste Journalisten kennen, die bereit wären, die Informationen zu publizieren. Die Schicksale von Mordechai Vanunu in Israel und Edward Snowden in den USA zeigen, welchen Preis solche Personen zahlen müssen. Dass Staaten ihre Geheimoperationen lange verheimlichen können, veranschaulicht die Geheimhaltung der Gladio-Netzwerke während des ganzen Kalten Krieges.
In Ihrem Buch nennen Sie einen wichtigen Aspekt, den in Europa kaum jemand kennt: Allen Hinterbliebenen wurden hohe Entschädigungssummen unter der Maßgabe gezahlt, dass sie niemals weitere Ansprüche geltend machen und keine juristische Aufarbeitung einfordern. Ist das so richtig?
Ja, das stimmt. Das ist kein Geheimnis. Die Hinterbliebenen erhielten im Durchschnitt 2,1 Millionen US-Dollar, wenn sie die Bedingungen des Staates akzeptierten. Jenen, die auf eine gerichtliche Aufklärung hofften, wurden dennoch weitere Informationen vorenthalten, dafür bekamen sie aber noch mehr Geld: im Durchschnitt 5 Millionen US-Dollar, damit sie keine peinlichen Fragen stellten.
Peter Dale Scott, Mike Lofgren und andere US-Wissenschaftler gehen längst von zwei Regierungen in den USA aus: einer sichtbaren für die offiziellen Regierungsgeschäfte – nennen wir es das Wahlspektakel und die politische Folklore – und einem langfristig orientierten „Tiefen Staat“, der die eigentlichen, langfristig orientierten Regierungsgeschäfte führt. Dieser „Tiefe Staat“ setzt sich nach diesen Analytikern u.a. aus Teilen des offiziellen Politikapparates, Wall Street, Big Oil, dem militärisch-industriellen-Kongress-Komplex, den 17 Geheimdiensten, dem Department of Homeland Security, den Medien und tausenden Kontraktfirmen zusammen. Frage: Ist dieser „Tiefe Staat“ der eigentliche Initiator des Terrors, denn Frieden ist für diesen wohl kaum ein geeignetes Geschäftsmodell?
Ich bin kein Experte des „Tiefen Staates“, glaube aber, dass die These der US-Autoren stimmt. Seine Existenz kam ja zum Vorschein bei der Aufklärung der Operation Gladio und zeigt sich in Deutschland im Verfahren über das NSU-Trio.
Wenn man Ihren Argumentationen folgt, dann waren 9/11 und der folgende, nie endende "war on terror“ eine zwingende Notwendigkeit, um den „Tiefen Staat“, vor allem den militärisch-industriellen-Kongress-Komplex, weiter am Leben zu halten. Mit der UdSSR war ja der eigentliche Systemfeind verschwunden. Aktuell bestimmen die US-Neocons immer noch die politische Agenda, um die Neue Weltordnung unter der absoluten Führerschaft der USA umzusetzen. Braucht der „Tiefe Staat“ für sein Überleben den islamistischen Terror und den „war on terror“ mit endlosen Kriegen, Unterdrückungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit?
Ich würde es anders formulieren. Das Bedürfnis, nach dem Zerfall der Sowjetunion ein neues Feindbild zu errichten, beruht auf dem offen eingestandenen Anspruch des Wirtschaftsimperiums USA auf Welthegemonie. Der „Tiefe Staat“ ist aus meiner Sicht bloß der Teil des Machtapparates, der jene Operationen ausführt, die der offizielle Staat nicht ausführen kann oder darf.
Nach 9/11 hat sich die Gesellschaft in den USA total gewandelt. „Patriot Act“ nach innen und endlose Kriege nach außen bestimmen das Bild einer quasi Militärdiktatur. Die dem Department of Homeland Security zugeordnete Federal Emergency Management Agency (FEMA) verfügt landesweit über 800 Internierungslager mit einer Kapazität für insgesamt 16 Millionen Insassen. Wozu dieser gigantische Aufwand? Bereiten sich die US-Eliten auf einen Bürgerkrieg vor?
Ein Bürgerkrieg entsteht, wenn sich zwei große Teile einer Bevölkerung bekämpfen. Wo aber eine Oligarchie gegen das Volk ihre Macht ausübt, würde ich eher von Unterdrückung sprechen. Ich glaube nicht, dass sich die amerikanische Bevölkerung auf lange Sicht mit staatlicher Unterdrückung abfinden wird. Unsere Solidarität mit der US-amerikanischen Bevölkerung spielt daher auch eine wichtige Rolle. Diese Solidarität zeigen wir u.a. in der Bekämpfung derselben polizeistaatlichen Tendenzen in Europa.
Kommen wir zu den zahlreichen Terroranschlägen, die sich nach 9/11 ereigneten. Sie analysieren in Ihrem Buch jedes Terrorereignis nach einem Fragenkatalog, ordnen jeder Antwort Punkte zu und addieren die Punkte. Ihr Ergebnis: Die Terroranschläge in Mailand 2004, in London 2005, Montauban und Toulouse 2012, Boston-Marathon 2013, Charlie Hebdo-Paris 2015, Kopenhagen 2015, eine ganze Anschlagserie in Paris 2015, Nizza 2016, Würzburg 2016 und München 2016 waren wahrscheinlich oder höchst wahrscheinlich verdeckte Staatsoperationen. Lediglich die Anschläge in Oslo und Utöya 2011 von Anders Behring Breivik fallen aus Ihrem Muster. Wer konkret hat Ihrer Auffassung nach diese Terroranschläge zu verantworten? Könnten Sie sich vorstellen, dass es eine Nato-Gladio-Folgeorganisation gibt — Gladio 2.0, die im Geheimen operiert und Angst und Schrecken unter den Völkern verbreitet? Aus Ihrem Buch folgere ich, dass diese verdeckten Staatsoperationen die Aufgabe haben, neue Mittel in den Sicherheits- und Kriegssektor zu kanalisieren, den Kapitalismus so lange wie möglich aufrecht zu erhalten und die Demokratie komplett zu entsorgen. Stimmt das?
Die kurze Antwort ist: Ja. So sehe ich es. Das kann übrigens jeder nachvollziehen, der sich mit den politischen und gesetzlichen Maßnahmen beschäftigt, die auf jeden Terroranschlag folgen. Es ist im Interesse der westlichen Staaten, in der Bevölkerung die Terrorangst mit allen Mitteln zu schüren. An dieser psychologischen Operation beteiligen sich alle Medien und die neue Sicherheitsindustrie. Echter Terrorismus hat, soweit ich das beurteilen kann, nie die territoriale Integrität eines Landes, seine politische Unabhängigkeit, seine Verteidigungsmacht, seine Wirtschaft oder das soziale Gewebe der Bevölkerung gefährdet. Auch in seinen unmittelbaren menschlichen Folgen ist echter Terrorismus eher eine Ausnahme verglichen mit den ganz normalen Morden, die in Europa täglich begangen werden. Laut offiziellen Zahlen haben mehr als 99 Prozent der Morde in Europa keinen Bezug zum Terrorismus.
Sie sprechen von einer unglaublichen Gleichschaltung der Medien. Die Journalisten würden es systematisch unterlassen, die richtigen Fragen zu stellen, und seien zu feige, durch eigene Recherchen die offiziellen Darstellungen zu überprüfen. Wie kann es sein, dass eine ganze Branche so total versagt? Journalisten als opportunistische Karrieristen? Oder sind die Medien Partner in einem psychopathologischen Vertuschungskomplott?
Diesen Aspekt möchte ich differenzierter betrachten. Ich unterscheide zwischen den empirischen Belegen zur Gleichschaltung der Medien und den Gründen dieser Gleichschaltung. In meinem letzten Buch veranschauliche ich diese Gleichschaltung in Bezug auf 9/11 und auf die sogenannte Terrorgefahr. Diese Gleichschaltung ist unbestreitbar. Warum die Medien so handeln, ist eine schwere Frage, die ich nicht eindeutig beantworten kann. Das Spektrum der Erklärungsversuche ist groß. Sie reichen von: Arbeitsstress der Journalisten, die keine Zeit haben, die Quellen zu überprüfen und daher einfach Nachrichten von Presseagenturen kopieren, Angst vor dem Arbeitsplatzverlust, über Ignoranz und Gruppendynamik bis hin zu Vorurteilen gegenüber Muslimen und der allgemein verbreiteten Präferenz der westlichen Allianz.
Wie schätzen Sie die deutschen und europäischen Eliten ein? Wollen die etwas anderes als ihre neokonservativen US-amerikanischen Kollegen? Sind sie nicht vielmehr „Partner" im aufziehenden transatlantischen Überwachungs-, Unterdrückungs- und Kriegsstaat, also Mitspieler einer deutschen beziehungsweise EU-Parallelregierung analog zum „Tiefen Staat“ in den USA?
Mit dieser Frage bin ich überfordert. Ich kenne mich gut in meinem Thema aus. Meine sonstigen politischen Meinungen beruhen – wie bei den meisten Menschen – auf dem gesunden Menschenverstand, nicht auf einer gründlichen Recherche. Ich vermute, dass Teile der deutschen und europäischen Eliten sich keinen US-amerikanischen Zustand wünschen. Ich denke, dass Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens nichts anderes anstreben als eine stabile bürgerliche Gesellschaft. Auch hoffe ich, dass sie sich über die kriminellen Herrschaftsmethoden informieren, die ich aufzuklären versuche.
Welche Entwicklung kommt auf uns zu? Haben sich die „westlichen Eliten“ nicht längst von der Demokratie verabschiedet? Wollen sie einen kapitalistischen, totalitären Staat, in dem die Masse der Menschen nur noch als beschränkte marktkonforme Heloten geduldet werden?
Diese Frage kann ich nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten. Zwar sehe ich überall in Europa innerhalb der herrschenden Klasse Tendenzen zur Militarisierung der Gesellschaft und zur Errichtung eines Polizeistaates, dies würde aber die politische Legitimation der Eliten gefährden. Ich glaube, dass es der herrschenden Klasse mit Massenmanipulationen und Lügen besser gelingt, die Bevölkerung zu zähmen und ihre Legitimation zu bewahren. Das gilt zumindest für die Länder, in denen die Grundbedürfnisse der Menschen einigermaßen gewährleistet sind. Wir werden daher noch lange mit staatlichen Lügen leben müssen. Eine grundsätzliche und interessante Frage bleibt jedoch: Ist Herrschaft ohne Lügen und Verbrechen überhaupt möglich?
Das komplette Radio-Interview mit Andreas von Bülow (SPD) zum Nachhören:
Quelle: Sputnik (Deutschland)