Experte: Italienischer Euro-Austritt? „Kurzfristige Lösung auf Kosten der Zukunft“
Archivmeldung vom 22.07.2017
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittItaliens Wirtschaft geht es heute schlechter als zur Zeit der Euroeinführung. Viele Italiener geben dem Euro die Schuld. Die Debatte über Alternativen wird intensiver. Der Finanzanalyst Folker Hellmeyer ist sich im Sputnik-Interview aber sicher: Ein Ausstieg aus der gemeinsamen Währung ist die falsche Lösung.
Im Text zum Interview ist auf der Webseite weiter zu lesen: "Die „Movimento 5 Stelle“ (Fünf-Sterne-Bewegung) um den Kabarettisten Beppe Grillo hatte Anfang Juli ins italienische Parlament geladen. Abgeordnete und Anhänger der Fünf-Sterne-Bewegung saßen ganze zwölf Stunden zusammen, um über die Frage zu diskutieren: Was würde Italien ein Euro-Austritt bringen? Sputnik stellte diese Frage zwei Experten. Folker Hellmeyer, Chefanalytiker der Bremer Landesbank, meint, Italien kann nur im Euro-Verbund zukunftsfähig bleiben. Die Meinung von Marc Friedrich, Ökonom und Bestsellerautor, gibt es hier. Er findet im Gegensatz zu Hellmeyer, Italien müsse unbedingt aus der Euro-Währung aussteigen, um zu genesen.
Die Debatte der Fünf-Sterne-Bewegung schießt für Hellmeyer am Ziel und auch an „der anekdotischen Evidenz der letzten zwanzig Jahre von Reformpolitik“ vorbei. Die Debatte über die eigene Währung und die Möglichkeit abzuwerten und damit Konkurrenzfähigkeit wieder herzustellen, gehe vollkommen in die falsche Richtung. Das Problem Südeuropas und gerade Italiens mit der Jugendarbeitslosigkeit hänge mit mangelnder Reformpolitik zusammen. Der Ökonom erklärte:
„Man hält an Strukturen fest, die aus den Achtziger-, Neunzigerjahren herrühren – aber die Welt hat sich verändert, in Richtung Global Player. Das heißt, die Konkurrenzsituation für nachhaltiges Investieren hat sich vollkommen verändert. Wer dann glaubt, mit kosmetischen Aktionen wie Währungsabwertung dauerhaft Investitionen zu binden, verliert. Denn jeder der investiert, weiß ja, dass seine Investitionen auf globaler Ebene durch die Abwertung der Währung wieder abgewertet werden. Das ist kein Geschäftsmodell. Dagegen ist natürlich eine Mitgliedschaft im Euro der Zwang, sich dem Postulat der Reformen zu stellen.“
Abwertungspolitik nutzt nur kurzfristig
Das Argument, dass ohne den Euro die Exporte wieder steigen würden, lässt der Wirtschaftsexperte nicht gelten. Dies sei nur ein kurzfristiger Effekt. In einer Volkswirtschaft würden immer wieder neue Investitionen oder Ersatzinvestitionen in den Kapitalstock – den Lebensnerv einer Wirtschaft – gebraucht, um eine Gesellschaft am Leben zu erhalten. Eine Abwertungspolitik verhindere diese Investitionen und bringe nur einen kurzfristigen Gewinn. Hellmeyer beschrieb das so:
„Das haben wir auch in Großbritannien gesehen, wo alle nach der Brexit-Entscheidung sagten, dass es gut läuft. Und jetzt nach einem Jahr sehen wir, dass es eben doch nicht so läuft. Wir wissen eines: Wirtschaft ist Marathon, nicht Sprint. Hier auf kurzfristige Effekte heischend zu schauen, ist vollkommen unangebracht. Zukunft schafft man nur, indem man sich den Herausforderungen die sich über die globalen Modalitäten stellen auch stellt und dann dementsprechende Politik umsetzt und das erkennen wir gerade in der Eurozone.“
Italien komme ja nun auch langsam in Fahrt, so der Finanzanalytiker. In den letzten Jahren seien Reformen umgesetzt und nun der Wachstumsbonus mit 1,4 Prozent für Italien auf das höchste Niveau seit zehn Jahren hochgesetzt worden – trotz der Bankenkrise, die es dort gab. Das sei alles bemerkenswert. Hellmeyer warnte vor dem „Weg einer Selbstbestimmung“ über einen Ausstieg. Dahinter stehe der „Wunsch nach der kosmetischen Droge Währungsabwertung“, um kurzfristig konkurrenzfähig zu sein bleiben. „Dann verlässt man genau das Schiff, das zukunftsträchtig ist."
Kritik an Debatte „auf Bild-Zeitungsniveau“
Die Chance eines Austritts Italiens aus der Euro-Währung sieht der Bremer Chefanalytiker bei 20 Prozent. Gerade der Brexit mache deutlich, dass ein Ausstieg mit dramatischen Folgen versehen sei. Großbritannien müsse, nur um sein außenwirtschaftliches Gleichgewicht zu erhalten, innerhalb der nächsten 18 Monate 142 Freihandelsabkommen abschließen. Dasselbe müsste auch Italien tun. Es müsse sich dann fragen: „Wie viele europäische Mittel bekommen wir dann nicht mehr, wie viel Kooperationen über Airbus, über wissenschaftliche Themen finden mit der Mittelzuführung auch Brüssel nicht mehr statt? Was bedeutet das auch für unseren ökonomischen Körper und unsere Zukunftsfähigkeit?“ Diese Dinge seien beim Brexit nicht durchdacht worden und auch in der Italienischen Debatte würde eine sehr plakative Debatte geführt. Der Experte erläuterte:
„Das ist Bild-Zeitungsniveau. Das ist erstes Abstraktionsniveau – also dass, was jeder kann. Sie müssen aber bei diesen Entscheidungen auf die zweite oder dritte Ebene schauen und was das für weiterführende Folgen hat. Das findet in dem Diskurs weder medial noch intellektuell in der Politik derzeit in Italien statt.“
Quelle: Sputnik (Deutschland)