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Deutscher Dokumentarfilmer: „Es ist leicht, Putin hier zu dämonisieren“

Archivmeldung vom 06.08.2016

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 06.08.2016 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Wladimir Putin (2015)
Wladimir Putin (2015)

Foto: Kremlin.ru
Lizenz: CC BY 4.0
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Attentate, Terror, Putsche – die aktuellen Nachrichten verunsichern die Menschen. Medien berichten nahezu in Echtzeit und haben schnell Interpretationen parat. Der Journalist und Dokumentarfilmer Moritz Enders hat bei Recherchen für einen Film über das Papst-Attentat festgestellt, wie Wahrheiten manipuliert und Medien instrumentalisiert werden.

Im Interview, das von Armin Siebert geführt wurde und auf der deutschen Webseite des russischen online Magazins "Sputnik"nachzulesen ist, heißt es: "Herr Enders, Ihr jüngster großer Film handelte von dem Attentat auf Papst Johannes Paul II. Anfang der Achtziger Jahre. Warum ist so ein schon fast historisches Thema heute noch interessant und relevant?

Wir haben es ja bei diesem Papst-Attentat mit einem Fall von internationalem Terrorismus zu tun, was auch heute wieder ein Thema ist. Da gibt es durchaus Parallelen zum Hier und Jetzt. Wir waren zum Drehen in Italien und der Türkei. In beiden Ländern gab es damals eine Nato-Untergrundorganisation. In Italien nannte sie sich Gladio — Stay behind. Das waren Gruppierungen, die ursprünglich gegründet wurden, um bei einem eventuellen Überfall der Sowjetunion Widerstand leisten zu können. Sie wurden dann aber auch in der sogenannten "Strategie der Spannung" eingesetzt, das heißt, man hat terroristische Akte vollzogen und die dann anderen Leuten in die Schuhe geschoben. In Italien hat man oft die Roten Brigaden beschuldigt, obwohl tatsächlich das Gladio-Netzwerk dahinter steckte. Ähnlich war das in der Türkei. Die CIA hat damals aktiv darauf hingewirkt, dass sich bürgerkriegsähnliche Zustände entwickeln, um einen Militärputsch herbeiführen zu können, wozu es dann 1980 ja auch kam.

Wie sehen sie denn dann den aktuellen Putsch in der Türkei? Sehen Sie da Parallelen zu damals?

Tatsächlich. Gladio ist ja schon damals immer im geostrategischen Interesse des Westimperiums, hauptsächlich der USA, aktiv geworden. Damals wollte man verhindern, dass die linke Regierung der Türkei aus der Nato ausbrechen könnte. Um das zu verhindern, hat man den Terrorismus instrumentalisiert. Heute ist die Türkei nach wie vor an der Südost-Flanke der Nato. Und es gibt eine große Auseinandersetzung zwischen den USA und Russland. Russland soll zurückgedrängt werden. Wenn jetzt Erdogan anfängt, sich wieder mit Putin zu verstehen und gemeinsam die Gaspipeline Turkish Stream durchs Schwarze Meer zu bauen, dann wackelt das ganze Konstrukt der Amerikaner. In diesem Zusammenhang kann man den jetzigen Putsch auch betrachten. Wenn man sich fragt, warum dann der Putsch so dilettantisch durchgeführt wurde, dann kann das durchaus auch Strategie sein, um Erdogan bloß zu warnen. Oder es war wirklich nicht gut genug gemacht und der russische Geheimdienst hat davon Wind bekommen und Erdogan gewarnt. Wir wissen noch nicht, was genau dahinter steckt.

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Die Welt ist unkontrollierbarer geworden. Zu Zeiten des Kalten Krieges gab es noch die sogenannte Logik von Jalta. Beide Großmächte konnten im Grunde in ihrem Hinterhof machen, was sie wollten. Das galt für den westlichen Block, wo zum Beispiel kommunistische Bewegungen unterdrückt wurden. Und das galt natürlich auch für den Ostblock, man denke nur an den Prager Frühling. Aber es gab immer dieses Rote Telefon zwischen Moskau und Washington. Nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes und dem Fall der Berliner Mauer gibt es ja im Moment nur noch eine Großmacht, die USA, und die versuchen, alle anderen im Zaum zu halten. Das führt zu unkontrollierbaren Reibereien. Die Ansage ist ja quasi: „Ergebt euch, werdet wie wir oder wir bereiten euch Schwierigkeiten.“ Das kann aber natürlich manchmal auch nach hinten losgehen.

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Die Amerikaner haben da einen Startvorteil. Ganz Europa ist ja durch den Marshall-Plan und durch Hollywood amerikanisch geprägt. Russland dagegen ist für die meisten ein großes unbekanntes Land.

Und diese weiße Leinwand lässt sich natürlich wunderbar bespielen durch Propaganda. Die Russen haben es da nicht leicht, weil sie ja kaum eine Stimme haben, die sie hier erheben können. So ist es leicht, Putin hier zu dämonisieren.

Im Ukraine-Konflikt ist die Stimmungsmache eskaliert und die Medien berichten vorwiegend einseitig. Man muss ja auch nicht unbedingt lügen, um einen bestimmten Eindruck zu erzeugen. Man kann doch einfach auch gewisse Dinge weglassen, oder? Rekordverdächtig: Gleich sieben deutsche Medien unter Top-10 der Russland-Basher

Wir haben auch bei unserem Papst-Film versucht, rauszukriegen, warum in Italien alle Menschen denken, dass der bulgarische Geheimdienst dahintersteckt, obwohl es der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht war. Wenn man eine Narrative konstruiert, macht man das ja nicht, indem man plumpe Lügen in die Welt setzt, sondern einzelne in sich wahre Bauteile neu montiert, so dass sich ein vollkommen neues Bild ergibt. Durch Weglassen kann man Dinge in einen anderen Kontext rücken und einen gewissen Eindruck erzeugen. Es geht darum, die Leute emotional zu packen. Den Vorfall kann man dann vielleicht irgendwann später durch Experten richtigstellen, dass zum Beispiel es der ursprüngliche Attentäter nicht gewesen ist. Aber bis dahin verfestigt sich eben ein emotionaler Eindruck bei den Leuten, auf den man dann aufbauen kann.

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Das ist sicher meist keine Absicht des einzelnen Journalisten. Das ist eher wie ein Tanker, der in eine gewisse Richtung driftet. Wenn sich eine prinzipielle Einschätzung durchgesetzt hat, ist das die Matrix, auf die sich alles andere aufbaut. Aufgrund dieser Matrix interpretiert man dann die Geschehnisse in der Welt. Schon allein durch das Wording werden ja gewissen Assoziationen geweckt. Und wenn es dann keine Gegenseite gibt, die uns die andere Position deutlich macht, ist es unheimlich schwer, sich diesem Propagandadruck zu entziehen.

Ein anderes mediales Mittel ist eine Fülle an widersprüchlichen Informationen, so dass der Konsument am Ende nur noch mit dem Kopf schüttelt und abwinkt. Wie schwierig ist es, heute überhaupt noch den Überblick zu bewahren und die Wahrheit zu erkennen?

Auch das war eine Verneblungstaktik beim Papst-Attentat, dass man die Leute überschüttet mit widersprüchlichen Informationen. Das verwirrt dann sogar Staatsanwälte. Man legt immer wieder falsche Fährten, die dann in einer Sackgasse enden. Die klingen erst ganz plausibel, wobei man da auch bewusst einen Widerspruch einbauen kann. In diesem Wust von Pisten geben dann sogar Staatsanwälte auf, so dass dieses Attentat nie restlos aufgeklärt wurde. Man hat einfach keine Chance, die ganze Wahrheit zu erkennen, wenn im Hintergrund Leute bewusst versuchen, einen auf die falsche Fährte zu locken.

Aber man kann sich natürlich immer die entscheidende Frage stellen: Cui bono? Wem nutzt das Ganze? Man sollte versuchen, einen globalen Blick auf das Weltgeschehen aus der Vogelperspektive zu haben. Wenn man das Große versteht oder zumindest erahnt, kann man auch das klein-klein besser bewerten."

Quelle: Sputnik (Deutschland)

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