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General a.D. Harald Kujat: "Wir benötigen Assad noch"

Archivmeldung vom 30.10.2015

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 30.10.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Syrien: „Nieder mit Baschar al-Assad“. Regierungskritisches Graffito aus der ersten Zeit des Aufstandes.
Syrien: „Nieder mit Baschar al-Assad“. Regierungskritisches Graffito aus der ersten Zeit des Aufstandes.

Foto: Flickr upload bot
Lizenz: CC-BY-SA-2.0
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Das militärische Eingreifen Russlands an der Seite seines Verbündeten, des syrischen Diktators Assad, hat die Bedingungen für eine Befriedung des Krieges fundamental geändert. Harald Kujat, einst Deutschlands ranghöchster Soldat und Paradebeispiel des politisch denkenden Offiziers hat Argumente für eine Allianz des Westens mit Russland, um den Krieg in Syrien zu beenden.

Wird die Flüchtlingsdiskussion mit ihrem Fokus auf Willkommenskultur versus Abschotten zu eindimensional geführt, weil so die Ursache, der Krieg in Syrien, aus dem Blickfeld rutscht?

General a.D. Harald Kujat: In der Tat. Es gilt, drei Aspekte zu berücksichtigen: Die Aufnahme der Flüchtlinge. Die Verminderung des Zustroms, indem man gegen die Schlepper vorgeht. Und schließlich die Auslöser der Flüchtlingsbewegung, also den Bürgerkrieg in Syrien und die Krisen in anderen Ländern. In der Zukunft dürfte etwa der Anteil der Flüchtlinge aus Afrika steigen. Es muss darum gehen, die Ursachen zu beseitigen. Dazu muss der Krieg in Syrien beendet und der IS aus dem Land vertrieben werden. Zudem müssen die Nachbarländer Syriens unterstützt werden, die bereits Millionen Menschen aufgenommen haben, also Libanon, Jordanien und die Türkei.

Hat Putins Eingreifen in Syrien den Finger in die Wunde gelegt, dass der Westen in Syrien vor der Verantwortung zurückgezuckt ist, gestaltend einzugreifen?

Kujat: Dieser Krieg tobt mehr als vier Jahre. So lange flüchten die Menschen bereits. Betroffenheit hat sich in Europa aber erst gezeigt, als die Flüchtlinge vor unserer Haustür standen. Das Eingreifen Russlands hat die Lage in diesem Krieg grundlegend geändert, was klarer wird, wenn man die Sache vom Ende her durchdenkt: Hätte Moskau nicht eingegriffen, wäre die syrische Armee und mit ihr das Regime Assads in einigen Wochen am Ende gewesen. Dann hätten die Verbrecherhorden vom Islamischen Staat das Regime übernommen. Die tapferen, aber unterlegenen Kurden hätten dies als einzige Gegner nicht verhindern können. Der Westen hätte sich auf Vorstöße des IS Richtung Libanon, aber darüberhinaus sogar nach Israel einrichten müssen. Deutschland, das nach den Worten der Kanzlerin die Sicherheit Israels zur eigenen Staatsräson zählt, wäre spätestens dann verwickelt worden. Diese Entwicklung hat Russlands Eingreifen unterbunden. Jetzt muss geklärt werden, wie eine politische Lösung und eine Stabilisierung erreicht werden kann, die den Flüchtlingen die Rückkehr ermöglicht. Ich bin davon überzeugt, dass die politischen Ziele Russlands und des Westens in Syrien identisch sind: Den Bürgerkrieg zu beenden und zu stabilen demokratischen Verhältnissen zu kommen. Das Problem ist, dass wir bisher unterschiedliche Wege zu diesem Ziel verfolgen. Aus westlicher Sicht steht insbesondere Assad und seine künftige Rolle einer Lösung im Wege.

Im Nahen Osten zerfällt die mit dem Sykes-Picot-Abkommen etablierte koloniale Ordnung, Staaten wie der Irak und Syrien zerbrechen. Steht der Westen in der Pflicht, eine Allianz mit Russland einzugehen, um eine Stabilisierung zu erreichen?

Kujat: Betrachtet man die Ursachen, die diese Region in die Krise stürzten, lautet die Antwort: ja. Denn der Westen trägt mit seiner Intervention Verantwortung für die Destabilisierung in Libyen, ebenso durch die Irak-Kriege für das Taumeln des Iraks. Wir tragen außerdem Verantwortung über die von Ihnen angesprochene Kolonialgeschichte. Die willkürlichen Grenzziehungen der Kolonialmächte schufen ethnisch inhomogene Staaten mit starken Zentrifugalkräften. Und weil sich dieses Drama direkt vor der Haustür Europas abspielt, haben wir ein unmittelbares Eigeninteresse. Weil wir weder die Lebensgrundlagen der Menschen sicherten, noch die Konflikte zu einem frühen Zeitpunkt eindämmten, sehen wir uns nun mit den Folgen konfrontiert und müssen handeln, auch dort, wo die Ursachen liegen.

2Muss sich der Westen sogar Assads als Verbündetem bedienen oder muss er ihn absetzen, um dem IS ein mobilisierendes Feindbild zu nehmen? Kujat: Ersteres ist genau das, was geschieht. In Deutschland heißt es vereinfachend immer: Russland unterstützt Assad. Ich sehe das anders. Tatsächlich nutzt Russland Assad für eine gewisse Zeit, um die syrischen Bodentruppen nutzbringend einsetzen zu können. Wir müssen einsehen, dass wir Assad zunächst noch benötigen. Weder die USA noch die Europäer noch die Russen waren bisher bereit, Bodentruppen in Syrien einzusetzen. Aber nur mit Luftschlägen ist der IS nicht zu besiegen. Das hat der Kreml erkannt, deshalb instrumentalisiert er Assad. Wenn wir die Gegebenheiten zunächst akzeptieren, heißt das aber nicht, dass Assad auf Dauer politisch überlebt. Der Plan Russlands ist, dass Assad noch Teil einer Übergangsregierung ist und nach freien Wahlen abtritt. Der Westen möchte Assad lieber bereits zu Beginn des Übergangsprozesses absägen, Russland am Ende. Ich denke, Moskaus Sicht ist realistischer. Inzwischen scheinen sich aber auch die Vereinigten Staaten Russlands Sicht anzunähern.

Die US-geführten Luftschläge verpufften, wie glaubwürdig sind Moskaus Jubelmeldungen über die eigenen Wunderpiloten?

Kujat: Das ist die übliche Propaganda. Aber man muss schon einräumen, dass die Russen in gut vier Wochen 1000 Einsätze geflogen haben, und dabei nach einem konkreten militärischen Plan vorgegangen sind. Erst wurden strategische Schlüsselstellungen ausgeschaltet und jetzt unterstützen die russischen Luftstreitkräfte die Bodenoperationen der syrischen Streitkräfte direkt. Ein solch klarer Plan war bisher bei den Amerikanern und ihren Verbündeten nicht erkennbar. Aber inzwischen gibt es russisch-amerikanische Absprachen über die Koordination militärischer Einsätze. Zudem hat der amerikanische Verteidigungsminister ein verstärktes Engagement einschließlich begrenzter Kommandounternehmen und den Einsatz von Kampfhubschraubern angekündigt. Dieser Strategiewechsel wird von intensiven politischen Konsultationen unter Einschluss des Iran begleitet.

2Kann der Westen mit Putin paktieren und zugleich versuchen, ihm die Ost-Ukraine als Einflussgebiet wieder zu entreißen? Kujat: Nein, das ist ein grundsätzliches Problem, dass sich aber ausblenden lässt, wie die konstruktive russisch-westliche Zusammenarbeit beim Atom-Abkommen mit dem Iran bewies. Die Ukraine darf im Falle Syrien nicht im Wege stehen, zumal eine Kooperation in Syrien das gegenseitige Misstrauen schwinden ließe, so dass auch die Ukraine davon profitieren könnte. Putin hat ja ausdrücklich erklärt, dass Syrien zum Modellfall für die Lösung von Problemen werden kann, die alle berühren. Wir müssen akzeptieren, dass Konflikte, in denen die Interessen der beiden Großmächte auf dem Spiel stehen, nur von ihnen gemeinsam gelöst werden können. Es war deshalb auch falsch, den Gesprächsfaden zwischen den Vereinigten Staaten und Russland zu kappen.

2Kann diese Sprachlosigkeit das Folgende verschärfen? In der russischen Militärdoktrin von 2010 ist festgelegt, dass das Heranrücken von NATO-Strukturen als Bedrohung gesehen wird. Wie groß ist die Gefahr, dass der Ausbau der Speerspitze den Konflikt anheizt? Kujat: Ich denke, die Aufstockung der "NATO Response Force" auf 30 000 Mann und der Aufbau einer "Speerspitze", also 4000 bis 5000 Soldaten, die innerhalb von fünf Tagen handlungsfähig sind, war richtig, um deutlich zu machen, dass die Beistandsverpflichtung der NATO gilt - und sie waren moderat. Von überzogenen Maßnahmen, wie der Stationierung größerer Kräfte im Baltikum und Polen hat man zum Glück abgesehen. Und das können die russischen Militärs sehr genau einschätzen.

2Kämpfer ohne Hoheitsabzeichen in der Ukraine, US-Söldner im Irak, Peschmerga als IS-Gegner: Lagern Großmächte die Kriegführung künftig öfter aus? Kujat: Nach dem Kalten Krieg setzten sich an der Bruchlinie der Blöcke die tektonischen Platten in Bewegung und an ihren Rändern kam es zu Konflikten: Auf dem Balkan, in Georgien, in der Ukraine. Noch heute gibt es eingefrorene Konflikte und Spannungen. Zudem spannt sich ein Krisenbogen von Nordafrika bis in den südlichen Kaukasus. In allen Fällen geht es auch um politische und strategische Interessen der Großmächte. Der internationale Terrorismus und Fundamentalismus, ethnische und religiöse Gegensätze und die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen haben das Spektrum der heterogenen Konflikte erweitert. Schon Clausewitz bezeichnete ja den Krieg als ein Chamäleon. Derartige Kriege ziehen, wie schon auf dem Balkan sichtbar wurde, irreguläre Kämpfer an. Daneben versuchen die Großmächte, den klassischen militärischen Konflikt mit vielen Truppen zu vermeiden. Sie setzen kleinere Kontingente von Spezialkräften und vermehrt Luftstreitkräfte ein. Ich glaube aber, dass es keine grundlegende Änderung des Kriegsbildes gegeben hat, wie manche Autoren sagen. Vielmehr sind neue Arten des Krieges hinzugekommen.

Welches strategische Ziel würde ein Clausewitz definieren für ein westliches Eingreifen in Syrien?

Kujat: Wenn wir uns auf Clausewitz beziehen, geht es um seine Methode des Denkens, nicht um eine schematische Übertragung seiner Aussagen. Das Ziel müssen wir selbst definieren. Wir müssen festlegen, welches unsere Interessen in dieser Auseinandersetzung sind. Und wie können wir diese Interessen in ein politisches Ziel ummünzen. Clausewitz richtig verstanden heißt das: Ein Krieg beginnt bei einem bestimmten politischen Zustand und er führt zu einem bestimmten politischen Zustand. Die gegenwärtige Lage brauche ich nicht schildern: Sie Ist gekennzeichnet durch ungehemmte Gewalt, Zerstörung sowie Flucht und Vertreibung. In Syrien haben wir derzeit ein Regime, das von seinem Volk nicht getragen wird. Dazu haben wir die Einmischung vieler Gruppierungen, überlagert von der Rivalität der beiden Regionalmächte Saudi-Arabien und Iran. Für diese komplexe Situation gibt es keine einfache Formel, aber das strategische Ziel müsste eine regionale Stabilisierung sein, also nicht nur Syriens, sondern darüberhinaus eine Befriedung des sunnitisch-schiitischen Kampfes um die Vormacht. Für Syrien bedeutet dies das Ende des Assad-Regimes durch freie, demokratische Wahlen und internationale Hilfe beim Wiederaufbau des Landes. Eine endgültige Lösung kann nur über die Zusammenarbeit der USA und Russlands gefunden werden.

2Hat die zeitweilige Eroberung von Kunduz durch die Taliban gezeigt, dass der Westen sein strategisches Ziel in Afghanistan verfehlt hat? Kujat: Wenn man sich daran erinnert, welche Ziele wir am Anfang der Mission verfolgt haben, so waren das zwei: Erstens, zu dokumentieren, dass wir nach dem 11. September mit unserem engsten Verbündeten solidarisch sind. Dieses Ziel ist erreicht worden. Zweitens, wir wollten den Terrorismus dort bekämpfen, wo er seine Wurzeln hatte. Es ging nicht darum, die Freiheit Deutschlands am Hindukusch zu verteidigen. Das hatte Peter Struck damals nur gesagt, um in der Bevölkerung mehr Unterstützung zu erzeugen. Im Laufe der Zeit wurden die Ziele ambitionierter. Und hier wurzelte das Scheitern. Denn mit einem militärischen Einsatz kann man weder eine Demokratie etablieren noch einen wirtschaftlichen Aufschwung begründen noch eine Stabilisierung erreichen. Letztlich kann man nur die Voraussetzungen dafür schaffen, dass soziale, politische und wirtschaftliche Entwicklungen beginnen, damit das Land später auf eigenen Füßen stehen kann. Das heißt, wir sind nicht militärisch gescheitert, sondern an unserem politischen Anspruch. Außerdem hätten wir nicht schlagartig von einem Kampfeinsatz auf einen reinen Ausbildungseinsatz umschalten dürfen, sondern die Ausbildungsmission durch eine kleine, hochmobile und schlagkräftige Einheit ergänzen müssen, die wie eine Feuerwehr Hilfe leisten kann, wenn die afghanischen Streitkräfte in Not geraten, wie das die Amerikaner vorgemacht haben.

Das Interview führte Joachim Zießler

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots)

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